Vom Tellerwäscher zum erfolgreichen Wirt
06.09.2019 Bezirk Sissach, Gastronomie, SissachPuvi Thurairajahs Flucht vor Krieg und Elend
Nach mehrmaligen Versuchen gelingt Puvi Thurairajah im Jahr 1989 als 18-Jähriger die Flucht in die Schweiz. Er verlässt seine Heimat Sri Lanka, wo der Bürgerkrieg im Norden des Landes für Angst und Chaos sorgt. In der Schweiz arbeitet sich ...
Puvi Thurairajahs Flucht vor Krieg und Elend
Nach mehrmaligen Versuchen gelingt Puvi Thurairajah im Jahr 1989 als 18-Jähriger die Flucht in die Schweiz. Er verlässt seine Heimat Sri Lanka, wo der Bürgerkrieg im Norden des Landes für Angst und Chaos sorgt. In der Schweiz arbeitet sich Puvi vom Tellerwäscher zum erfolgreichen Gastronomen empor.
Heiner Oberer
«Stocki mit Schweinsragout in der Asylunterkunft war der erste kulinarische Kontakt mit der Schweiz», erinnert sich Puvi Thurairajah. 1989, als 18-jähriger tamilischer Flüchtling, schaffte er es damals in die Schweiz. Er hatte bis da so etwas noch nie gegessen, aber es habe ihm gut geschmeckt, sagt er und lässt zum ersten Mal sein ansteckendes Lachen erschallen. Inzwischen sind 30 Jahre vergangen. Puvi, wie er von allen gerufen wird, ist Schweizer geworden und hat sich vom Tellerwäscher zum erfolgreichen Gastwirt hochgearbeitet.
Krieg hat den jungen Mann, der in einem kleinen Dorf in der Nähe von Jaffna aufgewachsen ist, aus seiner Heimat vertrieben – der Bürgerkrieg in Sri Lanka, der von 1983 bis 2009 dauerte. Ein bewaffneter Konflikt, in dem tamilische Separatisten für die Unabhängigkeit auf dem Inselstaat Sri Lanka kämpften. «Es ist nicht gut, wenn ein Jugendlicher mitten im Krieg aufwächst», sagt Puvi. Er habe Leichen gesehen mit abgeschossenen Köpfen, fehlenden Armen und Beinen. Wochenlang hätten sich seine Eltern und die drei Kinder nur von Wasser oder einer dünnen Reissuppe ernährt. «Ein Leben ohne Perspektiven.»
Mutter leidet unter der Trennung
Im Jahr 1985 unternimmt er als 14-Jähriger den ersten Versuch, zu flüchten. Von seinem Heimatdorf Jaffna wird er nach Colombo, der Hauptstadt von Sri Lanka, gebracht. Unterschlupf findet er in einer luxuriösen Villa seines Onkels. Dort sieht er zum ersten Mal ein Telefon. Elf Tage verbringt er in der Hauptstadt. Verloren und einsam. Er spricht nicht Singhalesisch, die Sprache der Städter. Er geht wieder zurück in sein Heimatdorf. Neunmal reist er nach Colombo, um die richtigen Leute zu treffen, die ihn ausser Landes bringen können. Er übernachtet jeweils in einer billigen Absteige.
Dann ist es so weit. Puvis Eltern beschliessen, den Zweitjüngsten, wie schon zuvor den ältesten Sohn, ausser Landes zu bringen. Die Schwester wird ein paar Jahre später den gleichen Weg gehen. Das Ziel ist Australien. «Da mein älterer Bruder bereits in der Schweiz Unterschlupf gefunden hat, entschlossen sich meine Eltern aber, dass ich auch in die Schweiz gehen soll.»
Die Schlepper mit ihren mafiaartigen Strukturen wollen Geld sehen. Um die Flucht zu ermöglichen, leiht sich Puvis Vater bei Freunden und Bekannten den nötigen Betrag, um seinem Sohn die Flucht zu ermöglichen. «Wir waren nicht arm, aber auch nicht reich», sagt er. Für die Mutter sei die Trennung schlimm gewesen. Sind doch alle ihre drei Kinder getrennt von ihr – in fremden Ländern – auf der Suche nach einer neuen Existenz.
Über die grüne Grenze
Da sitzt also ein 18-Jähriger, kaum Ahnung vom Leben, mit gefälschtem Pass und Visum und falschem Namen in einem Flugzeug Richtung Europa. Mit an Bord ausschliesslich Tamilen, die alle ebenfalls nur wegwollten. Im Flugzeug habe eine gespenstische Stille geherrscht. Angst lag in der Luft. Er habe sich im Flugzeugsessel möglichst klein gemacht, um nicht aufzufallen, erinnert sich Puvi. «Ich hatte keine Ahnung, wohin die Reise geht. Die Schweiz war für mich ein weisser Flecken auf der Landkarte.»
Er wusste nur, dass dort Menschen mit anderer Hautfarbe leben, die eine andere Sprache sprechen. Neben seine Muttersprache Tamilisch versteht und sprach er nur ein paar Fetzen Englisch. Das sei alles nicht wichtig gewesen: «Hauptsache, ich war dem Krieg entronnen. Ich wollte nur überleben.»
Dann die ersten Probleme beim Zwischenstopp in Sofia. Die dortigen Behörden wollten Puvi den Weiterflug verwehren. «Ich habe nicht verstanden, was die von mir wollten.» Nach einer kurzen Diskussion und dem vermutlichen Austausch von Bakschisch (Schmiergeld) sei die Reise weitergegangen – nach Frankfurt. Von dort aus geht es weiter nach Saarbrücken, wo er zusammen mit weiteren Tamilen in einem abgelegenen und halb zerfallenen Haus ausserhalb der Stadt Unterschlupf findet. Nach drei Wochen werden sie von einem italienischen Fahrer in die Nähe von Basel transportiert. In der Nacht dann die Flucht über die grüne Grenze in die Schweiz. «Alles war bestens organisiert.»
Sprache als Türöffner
Aufnahme im Bundeszentrum Bässlergut in Basel. Nach sieben Tagen im Basler Bässlergut, dem Aufnahmezentrum des Bundes, wird er als Flüchtling anerkannt und dem Kanton Baselland zugewiesen. Zusammen mit vier weiteren Flüchtlingen bezieht er eine Wohnung in Liestal.
Nach drei Monaten nimmt er eine Stelle in Lausen an, die er aber nach drei Wochen wieder aufgibt. «Wir haben den ganzen Tag Duschartikel eingeschweisst», erinnert er sich. «Keine Arbeit, die mich weiterbringen würde», sagt sich Puvi.
Für ihn ist schnell klar, dass er nur weiterkommen kann, wenn er so schnell wie möglich Deutsch lernt. Für ihn ist die Sprache Schutz und Schlüssel zum Überleben. Zudem sieht er im Gastgewerbe die einzige Möglichkeit, beruflich Fuss zu fassen. «Meine gastronomische Laufbahn begann im ‹Giuseppe Verdi› in Sissach als Tellerwäscher.» Er bezieht ein Zimmer im ersten Stock des Restaurants. 15- bis 16-Stunden-Tage seien die Regel gewesen. «Ich war jung, kräftig und ausdauernd – und wollte arbeiten.» Sein Ziel war es, einmal ein Restaurant zu übernehmen.
Tellerwäscher-Karriere
Schon bald werden ihm Aufgaben in der kalten Küche zugewiesen und er etabliert sich als Dessert-Koch. Die nächste Station ist das «Rössli» in Gelterkinden. Sein guter Ruf eilt ihm voraus und er wird nach kurzer Angewöhnungszeit in der warmen Küche eingesetzt. «Ich habe schnell gelernt und den Köchen auf die Finger geschaut und so nach und nach das Kochen erlernt», sagt der jetzige «Sydebändel»-Wirt.
In der spärlich bemessenen Freizeit lernt er Deutsch, absolviert den Wirtekurs und reist viel im Baselbiet und der restlichen Schweiz herum. Für ihn ist klar, dass die Schweiz jetzt seine Heimat ist: «Spricht man die Sprache und kennt die Kultur des Landes, fühlt man sich wohl.» Im Jahr 2010 lässt er sich einbürgern. Nach weiteren Stationen in Basel, Frenkendorf und Schönenwerd, wo er eine Bar führte, ist es 2001 so weit. Der Traum des eigenen Restaurants wird wahr. Puvi übernimmt das «Warteck» in Thürnen, das er in 14 Jahren zu lokalem Ruhm führt.
Ein Jahr vor der Übernahme des «Wartecks» reiste er für ein paar Tage nach Sri Lanka, um seine Eltern wiederzusehen. Sein Flüchtlingsstatus war nun aufgehoben. «Ich bin mit einem mulmigen Gefühl da hin», erinnert er sich. Die Geschichten, die er von seinem Vater zu hören bekam, machten ihm Angst. Er bekam die Gräuel des Krieges kaum aus dem Kopf und war froh, wieder in der Schweiz zurück zu sein.
In den Jahren 2017 und 2018, der Bürgerkrieg war seit acht Jahren beendet, besuchte Puvi dreimal seine frühere Heimat. Sein Vater und seine Mutter sind inzwischen 86 und 81 Jahre alt. «Ich wollte wissen, wer ich bin und wo meine Wurzeln sind. Ich wollte meine Eltern besser kennenlernen.» Er sei aber nicht als Einheimischer akzeptiert worden, schon eher als Verräter, der sein Land im Stich gelassen habe.
Im Verlauf der zahlreichen Gespräche mit Einheimischen fiel ihm auf, dass eine ganze Generation fehlt. «Ich finde es schade, dass wir den Krieg verloren und das Land kaputt gemacht haben», sagt Puvi. Am meisten leidet aber Puvis Mutter. Ihr fehlen die Kinder. Sie sind es, welche die Eltern im Alter normalerweise pflegen.
Klares Ziel als Lebensphilosophie
Nach seiner Rückkehr wurde ihm bewusst, dass er ein Land besucht hat, in dem er zwar 18 Jahre gelebt hat, das ihm aber nahezu unbekannt ist. Er spricht nicht mehr die gleiche Sprache wie seine Eltern. «Dem Land geht es zwar wieder besser, aber meine frühere Heimat im Norden, wo die Tamilen leben, geht verloren. Die Natur wird geschändet, die Wälder abgeholzt. Es geht nicht mehr lange und eine einst grosse Kultur ist verschwunden», sagt er. Um einen kleinen Beitrag zum Erhalt beizutragen, unterstützt er verschiedene Hilfswerke, unter anderem eine Schule in seinem ehemaligen Heimatdorf. «Als Bub hatte ich keine Zeit, um über mein Land, in dem ich geboren bin, nachzudenken. Jetzt habe ich sie – und das, was ich sehe, macht mich traurig.»
Wieder in der Schweiz, wird Puvi bewusst, wie sehr das Baselbiet sein Lebensmittelpunkt ist. Mit seiner Partnerin Nadia Bussinger und den Söhnen Janis (9) und Joel (6) lebt er in Thürnen. Annina (12), Puvis Tochter aus einer früheren Beziehung, lebt in Gelterkinden. «Für mich ist das Oberbaselbiet das Paradies. Darum habe ich auch nicht lange gezögert, als mir vor fünf Jahren das Restaurant Sydebändel in Sissach zur Pacht angeboten wurde», sagt der Wirt.
Für ihn war die Übernahme des Restaurants in der Begegnungszone ein weiterer Schritt vorwärts. «Ohne klare Zielsetzung kommt man nicht weiter», sagt er überzeugt. Das Führen eines Restaurants, zusammen mit den dreizehn Mitarbeitenden, bedeute zwar viel Arbeit. «Aber: Ich arbeite gerne. Da unterscheiden sich die meisten Tamilen nicht gross von den Schweizern.»
Puvi ist vor 30 Jahren in die Schweiz gekommen, um zu bleiben. Um zu tun, was ihm Spass macht. Immer in der Absicht, weiterzukommen. Was mit einer Bananenplantage begonnen hat (siehe Kasten), mündete in eine erfolgreiche Karriere im Gastgewerbe. Deren Ende ist nicht abzusehen.
Mit elf Jahren die eigene Bananenplantage
hob. Schon als Elfjähriger hatte Puvi Thurairajah klare Ziele und Vorstellungen, wie die Marktwirtschaft funktioniert. Darum bekniete er seinen Vater, ihm einen kleinen Flecken Land abzutreten, um eine Bananenplantage aufzubauen. Schnell pflanzte er einen ersten Bananenbaum. Er wusste von seinem Vater, dass eine Bananenpflanze nur einmal in ihrem kurzen Leben Früchte trägt und danach abstirbt. Die Früchte enthalten keine Samen und es können so auch keine neuen Bananenpflanzen aus ihnen entstehen. Darum pflanzte der junge Bananenbauer unzählige weitere Bananenbäume. In kurzer Zeit entstand so eine kleine, aber feine Bananenplantage.
Als Puvi die ersten Früchte ernten konnte, bat er seinen Vater, die Bananen auf dem nahen Markt zu verkaufen. Doch Puvis Vater winkte ab und befahl seinem Sohn, selber mit dem Fahrrad zum Markt zu fahren und dort die Früchte zu verkaufen. Immer bestrebt, ein gutes Geschäft zu machen, bot er die Bananen zu einem viel höheren Preis als die anderen Marktfahrer an. Und er hatte Erfolg: Jeden Tag kam der gleiche Kunde, der ihm die Bananen ohne Murren zum überhöhten Preis abkaufte.
Bei einem Heimatbesuch im Jahr 2017 erzählte Puvi seinem Vater die Geschichte von der Bananenplantage und dem guten Preis, den er mit seinen Früchten erzielt habe. «Mein Vater hat gelächelt und mir ein Geheimnis verraten: Der ominöse Kunde war von ihm angestellt, um mir die Früchte zu jedem Preis abzukaufen.»