Wenn der Mond die Axt führt
23.07.2019 Baselbiet, Serien, NaturSchon unsere Vorfahren haben Bäume nach dem Stand des Mondes gefällt weil es damit spezielle Eigenschaften erhalten sollte. Das alte Wissen ist fast verloren gegangen, erfährt nun aber ein Revival. Wie viel Volksglaube steckt im Mondholz?
Yvonne Zollinger
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Schon unsere Vorfahren haben Bäume nach dem Stand des Mondes gefällt weil es damit spezielle Eigenschaften erhalten sollte. Das alte Wissen ist fast verloren gegangen, erfährt nun aber ein Revival. Wie viel Volksglaube steckt im Mondholz?
Yvonne Zollinger
Wer dieses Jahr, drei Tage vor dem elften Vollmond, also vom 9. bis 11. November, seinen Weihnachtsbaum fällt, wird länger Freude an ihm haben, weil er seine Nadeln möglicherweise nie verlieren wird. Das verspricht nicht irgend ein gewiefter Christbaumverkäufer, sondern das durchaus nüchterne Branchenmagazin «Wald und Holz» für Förster und Baumpfleger. Immer in der Dezemberausgabe werden mit dem Mondkalender die besten Daten für das Schlagen von Holz im kommenden Jahr publiziert. Mondholz nennt man die nach den Mondphasen gefällten Bäume. Je nach Verwendungszweck und entsprechendem Fälldatum werden diesem Holz ganz spezielle Eigenschaften zugesprochen. Zu den wichtigsten gehören, dass es viel resistenter gegen Schädlinge ist, dass es sich nicht verzieht, beim Trocknen keine Risse bekommet und sein Volumen behält. Wissenschaftlich bewiesen ist das nicht.
Ein «Wow-Erlebnis»
Mondholzbestellungen machen nur einen kleinen Teil des Volumens aus, das Balz Recher, Revierförster in Bubendorf, in seinem 1100 ha grossen Wald erntet. Haus-, Möbel- und Instrumentenbauer sind Abnehmer von Mondholz. «Mit Esoterik habe ich eigentlich nichts am Hut», sagt Recher. «Aber ein, zwei Erlebnisse haben mich doch zum Staunen gebracht und mein Interesse am Mondholz geweckt.»
Da war zum Beispiel die Sache mit der vergessenen Behandlung gegen den linierten Nutzholzborkenkäfer: «Wir haben Bäume für einen Kollegen markiert, der ein Blockhaus bauen wollte. Das Mondholz sollte im Januar 2000 geschlagen werden.» Allerdings sei es anders gekommen. Am 26. Dezember warf Sturm Lothar einiges an Holz auf dieser Fläche um. «Alle markierten Bäume, die noch standen haben wir wie geplant im Januar bei abnehmendem Mond gefällt.» Danach wurde das Sturmholz mit dem Mondholz nebeneinander auf demselben Lagerplatz aufgeschichtet.
Rechers Kollege hatte den Auftrag gegeben, das Holz im März zu spritzen, damit es nicht vom linierten Nutzholzborkenkäfer angebohrt wird. «Das habe ich vollkommen vergessen.» Erst Ende März kam er wieder zum Lagerplatz. «Unglaublich. Das Sturmholz war schneeweiss vom Bohrmehl der Käfer. Daneben lag das Mondholz, völlig ohne Käferfrass. Das war für mich ein richtiges Wow-Erlebnis.»
Die meisten Forstwissenschaftler, zuletzt Fellner und Teischinger 2001 an der Technischen Universität Dresden, erteilen den besonderen Qualitäten des Mondholzes eine klare Absage. Weder auf die Resistenz gegen Pilzund Schädlingbefall, noch auf die Härte des Holzes oder die Holzfeuchte habe der Mond einen Einfluss. Dem gegenüber steht eine Studie aus den 1990er-Jahren, durchgeführt von Ernst Zürcher an der Hochschule für Forstwirtschaft. Sie hat ergeben, «… dass eine Art Prägung durch den spezifischen Fälltermin offensichtlich fortbesteht.» Der Wissenschaftler sagt auch, dass diese vom Mond beeinflussten Phänomene viel komplizierter seien als oft dargestellt.
Dessen ungeachtet sind vor allem Instrumentenbauer von den besonderen Eigenschaften des Mondholzes überzeugt.
Auch die Geigenbauerin Nicole Rohrbach aus Liestal verwendet bevorzugt Mondholz. «Das ist kein Aberglaube. Der Fälltermin im Bezug auf den Mondstand ist relevant für gutes Holz», sagt sie. Der Saftgehalt im Holz sei im Winter bei abnehmendem Mond am tiefsten. Nach dem richtigen Mondstand geschlagenes Holz verändert seine Struktur viel weniger, wenn es trocknet und ist weniger anfällig zu reissen oder sich zu verfärben.
Beliebt bei Instrumentenbauern ist das Mondholz aus den Bündner Bergen. In Bergün hat sich die Schreinerei der Familie Florinett auf Mondholz spezialisiert und beliefert damit auch hiesige Instrumentenbauer. «Ausser der Mondphase spielt auch der Standort der Bäume eine wichtige Rolle», sagt Recher. «Fichten, die 1200 Meter über Meer und darüber gewachsen sind, haben eine andere Struktur. Sie wachsen langsamer, die Wachstumsringe liegen näher beieinander.»
Venedig steht auf Mondholz
Nicht nur filigrane Klangkörper wie Geigen und Gitarren entstehen aus Mondholz. Ganz Venedig steht auf Pfeilern, deren Holz nach den Mondphasen gefällt wurde, heisst es im Mondkalender des Branchenmagazins der Förster und Baumpfleger. Laut Mondkalender wird Holz, das im Januar oder alternativ an warmen Tagen im Sommer bei zunehmendem Mond gefällt wird, mit zunehmendem Alter steinhart und fault nicht. Dieses Wissen haben sich die Erbauer der Stadt zunutze gemacht.
Holz für Möbel fällt man dieses Jahr am besten am 28. Oktober. Dann steht der Neumond im Tierkreiszeichen Skorpion. «Für eines meiner Kinder, das Schlafschwierigkeiten hatte, habe ich ein Bett aus Mondholz gebaut», sagt Recher und kommt damit zu einem weiteren Wow-Erlebnis in Sachen Mondholz. «Seither geht es sehr viel besser mit dem Schlafen.» Warum das so sei, könne er sich selber nicht erklären. Aber das sei auch nicht nötig.
Bereits erschienen: «Zwei Männer im Mond» (11. Juli); «Auf dem Mond riecht es nach Schiesspulver» (19. Juli). Wird in loser Folge fortgesetzt.