Für einen Stopp ins «Stöpli»
18.04.2019 Bezirk Sissach, Gastronomie, Sissach«Schwyzerhüsli»: Seit 99 Jahren die gute Stube
Wo früher Zähne gezogen und geschröpft wurde, tauschen sich heute am Stammtisch Gäste über die Weltpolitik aus. Zwar verströmt das «Schwyzerhüsli», besser bekannt als «Stöpli», den Charme vergangener Zeiten. Für viele ist ...
«Schwyzerhüsli»: Seit 99 Jahren die gute Stube
Wo früher Zähne gezogen und geschröpft wurde, tauschen sich heute am Stammtisch Gäste über die Weltpolitik aus. Zwar verströmt das «Schwyzerhüsli», besser bekannt als «Stöpli», den Charme vergangener Zeiten. Für viele ist das schmale Haus an der Postgasse aber gerade deswegen so etwas wie ein zweites Zuhause.
Heiner Oberer
Wo früher Zähne gezogen wurden, werden heute Gartenstühle gestohlen. Aber schön der Reihe nach. Horst Reuter (63), der zusammen mit seiner Partnerin Nives Vedenik (63) das «Schwyzerhüsli» in Sissach führt, ist erbost. Am vergangenen Fasnachtssonntag sind ihm die Gartenstühle gestohlen worden. Trotz eines witzig gestalteten Inserats in der «Volksstimme», in dem er die Täterschaft bittet, die Stühle «bei Nacht und Nääbel» wieder zurückzubringen, bleibt das Corpus Delicti bis heute verschwunden. «Hätten die Diebe nach der Fasnacht die Stühle zurückgebracht, hätte ich ihnen verziehen. Aber so bleibt der bittere Nachgeschmack, dass es Leute gibt, die glauben, sich an der Fasnacht alles erlauben zu können.»
Aber der Stuhldiebstahl ist nicht das einzige Delikt, das nie richtig aufgeklärt worden ist. Das «Schwyzerhüsli», besser bekannt als «Stöpli», «war früheren Generationen wegen einer verbrecherischen Tat lange in Erinnerung», wie man dem im Jahr 1980 erschienenen Büchlein «Alt Sissach» entnehmen kann. Im Jahr 1879 wurde nämlich die ehemalige Besitzerin Barbara Wagner, «s Schmiedebäbi», beraubt und erschlagen. Schon bald brechen aber friedlichere Zeiten an.
Um 1880 erwirbt Coiffeur Carl Brodbeck-Martin das im Jahr 1750 erbaute schmale Haus an der Scheunengasse, heute Postgasse. Der gewiefte Geschäftsmann baut die ehemalige Schmiede im Parterre um und richtet sich im ersten Stock eine Coiffeurstube und einen Raum zum Ausüben der «praktischen und niederen Chirurgie» ein, wie es im Büchlein weiter heisst. Neben dem Haare- und Bartschneiden bietet Brodbeck zusätzlich Zähneziehen, Aderlassen und Schröpfen an.
Vom Coiffeur zum Fahrradhändler
1887 erhält er zudem das Recht, einen Schenke zu führen, wo sich die Kunden nach dem Aderlass bei einem Zweier Roten stärken oder den Schmerz nach dem Zähneziehen bei einem Schnaps mildern können. Benannt ist das Restaurant zum «Schwyzerhüsli» nach dem Titel eines Volkslieds. 1920 wechselt die Wirtschaft die Hand. Hans Hügli-Kirschler, der Grossvater der heutigen Besitzerin Liselotte Schneider-Eggmann (78), erwirbt die Liegenschaft. Hüglin betreibt an der Hauptstrasse 125 und später sein Sohn an der Hauptstrasse 191 ein Fahrradgeschäft. Zusätzlich bietet er eine grosse Auswahl von Nähmaschinen, Wisa-Gloria-Kinderwagen und Motorroller der Marke «Lambretta» an. Liselotte Schneider weiss aus Erzählungen, dass anfänglich im Schaufenster des «Schwyzerhüsli» ihres Grossvaters immer ein Fahrrad ausgestellt worden ist.
Inzwischen haben sich die Zeiten im «Schwyzerhüsli» geändert. Das Fahrrad ist verschwunden. Ebenso der Geruch nach Äther oder billigem Rasierwasser. Heute verströmt das heimelige Restaurant wohltuende Behaglichkeit. Die Wände zieren unzählige Fotos ehemaliger und aktueller Stammgäste. Marianne Grummel, die es sich am Stammtisch gemütlich gemacht hat, bringt es auf den Punkt: «Für mich fühlt sich der Besuch im ‹Stöpli› an wie nach Hause kommen.» Manfred Fiechter pflichtet ihr bei, nach kurzer Rücksprache mit seinem Hund, der es sich unter dem Tisch gemütlich gemacht hat.
Wirt Horst Reuter, der bis zur Übernahme des Restaurants eine eigene Transportfirma betrieben hat, zeigt sich überzeugt, dass einer der Vorzüge der familiäre Charakter des «Stöpli» mit seinen 30 Plätzen ist. «Bei uns ist es wie in einer grossen Stube. Zudem stärkt der Stammtisch, auch wenn die unterschiedlichen Gäste nicht immer einer Meinung sind, den Zusammenhalt», sagt er.
Überhaupt der Stammtisch. Wer schon einmal den hitzigen Diskussionen am «runden Tisch» lauschen durfte, weiss, hier wird Geschichte, wenn nicht Weltgeschichte, so doch Lokalhistorie betrieben. Horst Reuter hüllt sich in vornehmes Schweigen, gibt dann aber doch preis, dass es Momente gebe, wo er sich, statt an der Diskussion teilzunehmen, lieber in die Küche verabschiede.
Für kurze Zeit ein Zuhause
Für das leibliche Wohl sorgt Nives Vedenik – von ihrem Partner liebevoll Suppenkönigin gerufen. Die gebürtige Slowenin und ausgebildete Dolmetscherin kam vor rund 40 Jahren für einen Ferienjob in die Schweiz und ist hier hängen geblieben. Immer im Gastgewerbe tätig, hat sie vor 13 Jahren das «Schwyzerhüsli» übernommen. «Ein Glücksfall», sagt sie. «Klein und überschaubar. So, als wären wir eine grosse Familie.» Die Küche, neben einem «Säli», liegt im 1. Stock, wo sie unter anderem ihre beliebten Suppen, verschiedene Fondues und Obwaldner Bratkäse zubereitet. Auch beim Speiseangebot gilt die Devise: «Lieber wenig, dafür frisch.» Auf Wunsch zahlreicher Gäste bietet sie neu jeden Samstag und auf Vorbestellung ein Dreigang-Menü an.
Seit beinahe einem Jahrhundert erfüllt das «Stöpli», benannt nach der ersten Stoppstrasse in der Postgasse, so eine wichtige Funktion. Es bietet den unterschiedlichsten Menschen für kurze oder längere Zeit ein Zuhause. Einen Moment des Zusammenseins, um Sorgen, aber auch Erfreuliches auszutauschen. Über die Jahre hat das überschaubare Restaurant so inzwischen Kultstatus erreicht.
Restaurant Schwyzerhüsli (Stöpli),
Hauptstrasse 21, Sissach, 061 971 10 23.
Öffnungszeiten: Montag, 16 bis 22 Uhr,
Dienstag bis Freitag, 9 bis 24 Uhr, Samstag,
8 bis 23 Uhr, Sonntag auf Anfrage.