Zwischen Zerbrechlichkeit und Stärke
18.07.2025 Bezirk Sissach, Finanzen, Gesellschaft, KulturYoung-Gi Pursell will von ihrer Kunst leben
Young-Gi Pursell malt sich aus dem Schatten einer persönlichen Erschöpfung in eine neue Existenz. Ihre Kunst ist zum Beruf geworden und ist zugleich Rettungsanker, Mutprobe, Lebensplan – und eine Geldfrage.
...Young-Gi Pursell will von ihrer Kunst leben
Young-Gi Pursell malt sich aus dem Schatten einer persönlichen Erschöpfung in eine neue Existenz. Ihre Kunst ist zum Beruf geworden und ist zugleich Rettungsanker, Mutprobe, Lebensplan – und eine Geldfrage.
Melanie Frei
In der Schweiz leben viele Künstlerinnen und Künstler mit finanzieller Unsicherheit. Wer es dennoch wagt, von der Kunst zu leben, braucht mehr als Talent: unternehmerisches Denken, ein starkes Netzwerk – und eine tiefe Überzeugung.
Young-Gi Pursell aus Hersberg geht diesen Weg. Sie ist freischaffende Künstlerin – nicht nebenbei, sondern voll und ganz. Ihre Kunst ist ihr Beruf, ihre Mission und ihre persönliche Kraftquelle zugleich. Noch vor wenigen Jahren stand die heute 30-Jährige an einem anderen Punkt: als Primarlehrerin, pflichterfüllend, aber innerlich leer. «Ich habe zwar funktioniert, aber nicht gelebt», sagt sie. Eine Phase tiefer emotionaler Erschöpfung zwang sie, innezuhalten und sich neu zu orientieren.
In der Malerei fand sie einen Ausweg und zugleich eine neue Aufgabe. «Ich male nicht, was ich sehe, sondern was ich fühle.» Ihre Werke entstehen intuitiv, Schicht um Schicht, getragen von Emotionen und Farbe. Häufig zeigt sie fragile menschliche Körper, eingebettet in Naturformen. Das Porträt einer Frau, umgeben von leuchtenden Blumen, schwimmenden Koi-Fischen oder einem fliegenden Kranich beispielsweise. «Die Natur ist für mich Sprache und Spiegel zugleich. Sie erinnert an Wandel, Zyklen, an das, was uns trägt.» Kois, Kraniche und asiatische Figuren sowie die Verwendung von leuchtenden Farben sind Bezüge zu ihren koreanischen Wurzeln. Die Werke stehen auf ihrer Website zum Verkauf. «Ich verdiene im Moment vor allem durch einzelne Verkäufe und Auftragsarbeiten», erklärt sie. «Ich möchte mit meiner Kunst aber noch mehr Menschen erreichen und mit meiner künstlerischen Arbeit nachhaltig auf festem Boden stehen.»
Kunstprojekt als Neuanfang
Nach Herausforderungen im Berufsleben hat Young-Gi Pursell mit ihrer Kunst zwar einen Weg gefunden, sich selbst zu verwirklichen. Doch die professionelle Kunstwelt erfordert Geduld, Präsenz und Mittel, um neue Schritte zu gehen. Ihr aktuelles Projekt trägt den Titel «Mensch und Natur». Es soll ein Kunstportfolio entstehen mit 30 Werken. Sie sind poetisch, emotional und visuell kraftvoll in einem Stil zwischen Realismus und Abstraktion. Die Werke entstehen aus Mischtechnik und Ölmalerei. Diese sollen schlussendlich in Ausstellungen präsentiert werden – ein Meilenstein, um langfristig bei Galerien vorzusprechen und sich professionell zu positionieren.
Doch Material, Rahmung, Transport und Ausstellungsgebühren verursachen Kosten. Schnell knackt man hier die Tausendmarke: Pinsel, Acrylund Ölfarben, Leinwände und Papier, Transportkosten, allfällige Miete eines Ausstellungsraums. Um das zu stemmen, hat Pursell auf lokalhelden.ch ein Crowdfunding gestartet. Es läuft noch bis kommenden Montag. Ihr Zielbetrag: 8000 Franken, die Mindestschwelle: 2000 Franken. Aktuell sind knapp 1600 Franken zusammengekommen.
«Es geht mir nicht nur ums Geld», sagt die Künstlerin. «Ich möchte Menschen einladen, Teil dieses Weges zu werden.» Unterstützen heisse in diesem Fall nicht nur spenden, sondern mittragen – eine Vision, die Hoffnung, Heilung und Verbindung thematisiere.
Das Crowdfunding ist gezielt für ihr aktuelles Ausstellungsprojekt gedacht – nicht für ihren Lebensunterhalt. Es soll ermöglichen, Materialkosten, Rahmungen, Transport und Gebühren zu decken. «Damit ich den nächsten Schritt als Künstlerin gehen und meine Familie langfristig durch meine Kunst mittragen kann.»
Pursell weiss um die Herausforderungen des Kunstmarkts – gerade für Frauen mit Familie. Noch trägt ihr Mann einen Grossteil der finanziellen Last, doch langfristig will sie mit ihrer Kunst auch zur Existenz ihrer Familie beitragen. Plan B? Sie denkt an Kooperationen mit Hotels, Ausstellungen in alternativen Räumen, Workshops zu ihrer intuitiven Technik. «Das Crowdfunding würde vieles beschleunigen.» Ihre Werke sind im November erstmals an der «Arte Binningen» zu sehen.
Der Erfolg ihrer Kunst misst sich für Pursell nicht in Verkaufszahlen. Ihre Bilder sollen Räume öffnen, in denen Menschen sich selbst begegnen. «Ich wünsche mir, dass meine Kunst Vertrauen gibt, Trost, Hoffnung. Dass man sich gesehen fühlt.» Zwischen Zerbrechlichkeit und Stärke findet sie ihren Ausdruck – und lädt andere ein, ihn mitzuerleben.