Zwei Ballone, ein Stern und der Vollmond
25.03.2025 Bezirk Sissach, Gesellschaft, Gemeinden, Kultur, Sissach«Gschichte vom Mischtstock» brillierte auch wegen Lisa Christ, die als Gast überzeugte
Die virtuosen Wortakrobaten Daniela Dill und Dominik Muheim haben in der siebten Ausgabe ihres erfolgreichen Formats im «Cheesmeyer» die diesjährige Gewinnerin des ...
«Gschichte vom Mischtstock» brillierte auch wegen Lisa Christ, die als Gast überzeugte
Die virtuosen Wortakrobaten Daniela Dill und Dominik Muheim haben in der siebten Ausgabe ihres erfolgreichen Formats im «Cheesmeyer» die diesjährige Gewinnerin des «Salzburger Stiers» eingeladen: Lisa Christ.
Nikolaos Schär
Zwei Luftballons, einer als Zahl 7, der andere als Astronaut, schmückten am vergangenen Donnerstag die Bühne des «Cheesmeyers». Sie verwiesen auf die siebte Ausgabe des beliebten Spoken-Word-Formats «Gschichte vom Mischtstock» von Daniela Dill und Dominik Muheim und wurden schon, nachdem die beiden Wortakrobaten die Bühne betraten, zum Gespött: Für das Thema Vollmond – von den Besuchern der letzten Ausgabe gewählt – müsse der Astronaut genügen, einen Vollmondballon hätte Muheim nicht auftreiben können. Prompt ernteten die beiden die ersten Lacher des Publikums. Muheim umkreiste das Thema in seinem ersten Text mit einer Abhandlung über den existenziellen Kampf des Einschlafens und verband dies mit einem Exkurs über die Schuld. Während er über die Härte seines Kopfkissens klagte und die vorwurfsvollen Blicke auf seinen Wecker beschrieb, ergründete er in einer langen Gedankenschleife die menschliche Neigung, für alles Erlebte einen Schuldigen zu suchen.
«Die Raubkunst in mir»
So kontrastierte die philosophische Betrachtung mit der Schilderung des banalen Aktes des Einschlafens, den Muheim genüsslich ins Absurde steigerte. In einem ständigen Ping-Pong-Spiel wechselten sich Nachdenklichkeit und Schmunzeln ab.
Einen anderen Ansatz wählte Dill für ihren Text. Mit tiefer Stimme und andächtigem Rhythmus hauchte sie ins Mikrofon und präsentierte eine Collage romantischer Erinnerungen unter dem Vollmond, die sie mit vielen schnörkeligen Wortketten zu einem kitschigen Bild überfrachtete. Nur um die Erinnerungen wenige Minuten später pointiert als «Raubkunst in mir» zu entlarven. Ihr «Rendezvous» mit Robi bei Vollmond, der ihr «die Sterne vom Himmel holen wollte» und sie sofort zur Flucht zwang, zerstörte die pathetische Aufzählung romantischer Klischees vollends.
Mit einer grotesken Szene einer «Abschlussfeier» im Lausner Feuerwehrmagazin brachte Dill das Publikum zum Lachen und trieb so die andächtige Stille des Beginns in einem Spannungsbogen bis zur Ekstase. Dill und Muheim hatten das Publikum bereits im Sack, als sie den Gast des Abends vorstellten: die Preisträgerin 2025 des «Salzburger Stiers» , Lisa Christ aus Wisen (SO).
Vom Vollmond verschont, rechnet Christ gleich zu Beginn ihres ersten Textes mit den «High Performern» der Zürcher Oberschicht ab. Im Takt einer Nähmaschine zerpflückt sie das durchgetaktete Leben der hart arbeitenden Menschen, die sich jeden Montag in den angesagten Zürcher Restaurants Sushi gönnen. Dann wechselte sie den Rhythmus und stellte dieser erfolgreichen, aber stressigen Welt ihr eigenes Künstlerleben gegenüber. In langsamen Sätzen beschreibt sie ihre ungeheure Anstrengung, sich für nur eine einzige Mahlzeit zu entscheiden.
Die Sushi-Philosophie
Immer wieder gelang es Christ, die Performance mit dem Inhalt zu verbinden: Mal schnell, mal langsam, mal laut, mal leise. So behielten die Gäste den Überblick, obwohl Christ sie mit ihrem Tempo schwindlig spielte. Vom Sushi landeten die Gäste bei der Frage, ob Entscheidungen oder Routine den Menschen frei machen. Während Christ ein Thema nach dem anderen zur Zielscheibe erklärte, schlich sich ganz nebenbei ein metaphysisches Gruseln ein.
Die anschliessende Gesprächsrunde mit Lisa Christ, die die Halbzeit des Abendprogramms einläutete, konnte nicht ganz mit der Fulminanz der ersten Darbietungen mithalten. Sie bot aber interessante Einblicke in die täglichen Herausforderungen der drei Künstlerinnen und Künstler. Christ und Muheim, der den «Salzburger Stier» im Jahr 2024 verliehen bekam, sprachen als Träger des Preises – der als wichtigster in der Kleinkunstszene gilt – über die Schwierigkeit, ihr Programm vom Dialekt ins Hochdeutsche zu übersetzen. Muheim erzählte eine Anekdote über sein Engagement als Moderator der diesjährigen Kleinkunstbörse in Thun, bei der er Teile seiner Moderation auf Italienisch und Französisch halten muss, obwohl seine Sprachkenntnisse in den anderen Schweizer Landessprachen «eher bescheiden» sind.
Christ berichtete über ihr bevorstehendes neues Bühnenprogramm «Ideal», das im Oktober im «Teufelhof» in Basel Premiere feiern wird, bisher aber nur einen Arbeitstitel hat: «Das Programm habe ich noch nicht geschrieben.» Sie warb auch für die letzten Auftritte ihres aktuellen Programms, die sie unter anderem in der Ostschweiz spielen wird, und konnte sich auch hier einen liebevollen Seitenhieb auf das Publikum nicht verkneifen: «Wenn ich ins Publikum schaue, hätten sicher noch einige Zeit, in die Ostschweiz zu fahren. Mit dem Seniorenrabatt der SBB ist die Zugfahrt auch nicht so teuer.»
Tatort Waschmaschine
Im zweiten Teil präsentierte Christ zwei Stücke aus der Radiosendung «Zytlupe», in der Kabarettistinnen und Kabarettisten das aktuelle Zeitgeschehen aufs Korn nehmen. Anhand der aktuellen Eierknappheit in den USA zeichnete sie die geopolitischen Verwerfungen nach, ausgelöst durch US-Präsident Trump und seinen Berater Elon Musk, denen sie ebenfalls einen Mangel an «Eiern» attestierte. In seinem zweiten Auftritt erzählte Muheim von seinem mentalen Innenleben, während er vor seinem Kühlschrank stand und der Milch zuschaute, wie sie auslief, weil er sie offen in den Kühlschrank gestellt hatte.
Dill schloss ihren Auftritt mit einem spannenden Krimi: Tatort Waschmaschine. Darin erzählte sie mit viel Verve, wie sie die Waschmaschine ihres Vermieters zerstörte, als sie ihren wasserdichten Rucksack waschen wollte. Eigentlich hätte Dill aus ihrem 2020 erschienenen Buch «Durzueständ» vorgelesen, gestand aber: «Ich habe es zu Hause vergessen.» Notgedrungen habe sie während der Zugfahrt in ihren Handynotizen nach Geschichten gesucht. Nach der Präsentation dürften einige Gäste erstaunt gewesen sein, welche Schätze sich in Dills Handy verbergen.
Zum Abschluss zündete Christ mit dem Text «Eure Mütter», den sich Muheim von Christ gewünscht hatte, ein Feuerwerk, das den Astronautenballon in die Stratosphäre katapultiert hätte, wäre er nicht befestigt gewesen.