Zurück in die zweite Heimat
17.01.2025 Bezirk Sissach, Gesellschaft, Baselbiet, WintersingenPfarrerin Sonja Wieland wandert nach Kalifornien aus
Vor etwas mehr als zehn Jahren hatte Sonja Wieland ihre Koffer im Pfarrhaus Wintersingen ausgepackt. Die richtigen Worte in der Stellenausschreibung hatten sie damals aus dem kalifornischen San Diego in die Schweiz zurück ...
Pfarrerin Sonja Wieland wandert nach Kalifornien aus
Vor etwas mehr als zehn Jahren hatte Sonja Wieland ihre Koffer im Pfarrhaus Wintersingen ausgepackt. Die richtigen Worte in der Stellenausschreibung hatten sie damals aus dem kalifornischen San Diego in die Schweiz zurück gelockt. Nun wird das Hab und Gut wieder verpackt: Es geht zurück in ihre zweite Heimat, die USA.
Brigitte Keller
«Heute habe ich eine Karte bekommen mit der Aufschrift ‹Der Weg entsteht unter deinen Füssen›», erzählt Sonja Wieland inmitten der schon ziemlich leer geräumten Wohnung im Pfarrhaus in Wintersingen. Aber die Worte bedingten auch, dass man den Fuss hebe, um einen nächsten Schritt zu machen, ergänzt sie. Man kann nur erahnen, wie viele Schritte – auch gedankliche – vor einer solch grossen, lebensverändernden Entscheidung wie dem Auswandern stehen. Und was es alles zu bedenken und zu organisieren gibt.
Dass sie einmal in verschiedenen Ländern und gar auf verschiedenen Kontinenten zu Hause sein würde, hätte sich Sonja Wieland (61) als Kind nicht vorstellen können. Sie sei ein sehr scheues Mädchen gewesen und habe sich sehr verbunden gefühlt mit Nordfriesland (D) und ganz besonders ihrer Oma und ihrem Opa, ihren liebsten Bezugspersonen. «Manchmal reibe ich mir schon ein bisschen die Augen, wie alles gekommen ist», sagt sie mit Blick zurück auf ihr bisheriges Leben.
Mit zwölf Jahren kam sie in die Schweiz, ihre Lizenziatsarbeit während des Theologie-Studiums schrieb sie dann bereits in den USA. Ihr Mann, Stefan Wieland, war 1997 vorausgegangen, um nach dem erreichten Doktorgrad als Molekularbiologe zu arbeiten. Sonja Wieland folgte kurz darauf, und ihnen gefiel es so gut, dass sie beschlossen, in den USA zu bleiben. Um ihr Studium abzuschliessen und das Vikariat zu machen, kehrte Sonja Wieland nochmals in die Schweiz zurück. Eine kleine Pfarr-Stellvertretung kam dazu. Dann, 2001, hat auch sie ihre Siebensachen gepackt und zügelte nach Kalifornien.
Ein befreundetes Paar in San Diego, Sonja Wieland nennt sie «Ersatzeltern», halfen ihr, eine Tätigkeit zu finden. «Ersatzvater» Tom war früher als «Army Chaplain», also Seelsorger, tätig gewesen und nun als Pastor. Dessen konservative Kirche kenne keine Ordination der Frauen und das Familienbild war und ist recht traditionell. Doch ihr Bekannter sei aus anderem Holz geschnitzt und so sei es gekommen, dass sie dort predigen und lehren konnte und einen tiefen Einblick in die Glaubensweise der Menschen kennenlernen durfte.
Arbeit mit Sterbenden
Es war zu der Zeit, in der Sonja Wieland mit einem grossen Hospiz in Kontakt kam. Erst wollte sie dort Freiwilligenarbeit leisten, doch die Chefin wollte sie als Kaplanin. Und so begann sie alsbald ihre neue Tätigkeit: die Begleitung von Patientinnen und Patienten im Hospiz. Sie habe dort viel über die menschliche Natur und über die sich verändernde Spiritualität von Menschen gelernt, die bald in eine andere Welt weiterziehen würden. «Eine Lektion, die mir die Sterbenden beigebracht haben, ist: Schiebe nichts auf, warte nicht bis irgendwann, um dir deine Träume zu erfüllen.»
Während fast elf Jahren erfüllte sie die Arbeit im Hospiz. «Es war eine wunderbare Zeit, das sage ich im wahrsten Sinn des Wortes», erzählt Sonja Wieland. Doch dann änderte sich das Regime im Haus, die gesamte Führung wurde ausgewechselt und nicht mehr die Patienten und deren Familien standen im Vordergrund. Die Arbeitslast sei auf immer weniger Schultern verteilt worden, die Zeit für Gespräche wurde reduziert und die Patientenbedürfnisse kamen erst an zweiter Stelle. Zwei Jahre habe sie noch «ausgehalten», bis sie eines Morgens ihre Kündigung einreichte.
«In den folgenden neun Monaten der Freiheit von restriktiven Arbeitsbedingungen habe ich wiederum auf mirakulöse Weise die Gemeinde Wintersingen gefunden, die im Internet eine Teilzeit-Pfarrstelle ausgeschrieben hatte», erzählt Sonja Wieland. Sie habe damals nicht gewusst, wo Wintersingen liegt, aber die Annonce habe sie sehr angesprochen.
«Eine Google-Suche zeigte mir das Kirchlein auf dem Hügel, in das ich mich dann schockverliebte.» Es sei eigentlich nicht ihre Absicht oder die ihres Mannes gewesen, wieder in die Schweiz zurückzukehren, «doch mein Schutzengel hat mir einen Tritt gegeben, und ich habe mich über den Atlantik hinweg beworben».
Wie es weiterging, fasst Sonja Wieland so zusammen: «Ich erkenne unterdessen die Überzeugungsmethoden und den Stil meines Schutzengels, sie machen lange Abwägungen überflüssig und schnelles Handeln ist angesagt. Das Ja zu einem neuen Weg steht unmissverständlich da.» Und so entschieden sich Sonja Wieland und ihr Mann, dass ihr weiterer Lebensweg sie wieder in die Schweiz führen sollte.
Die Zeit im ländlichen Pfarramt habe sich dann sehr unterschieden von der Tätigkeit im Hospiz. «Im Hospiz hat man manchmal nur wenige Möglichkeiten, um jemanden zu begleiten, der oder die ihren wahren Kern sucht und die Wiederverbindung mit ‹der Quelle› oder Gott», erklärt Sonja Wieland. Da stelle man ganz andere Fragen, tiefere, auch oft schmerzvollere Fragen – und bekäme sie auch selber gestellt. «Die Patienten haben keine Zeit mehr, um den heissen Brei herumzureden, da geht es schnell ans Eingemachte.»
Etwas anders präsentierte sich dann die Arbeit im ländlichen Schweizer Pfarramt. «Die Menschen haben meist noch viel Zeit und Gespräche finden oft auf ‹Nebenschauplätzen› statt. Die Form ist manchmal wichtiger als der Inhalt, und es braucht Durchhaltevermögen, Kreativität und manchmal auch einen flotten Spruch an der richtigen Stelle, um das Interesse zu wecken.»
«Brot und Butter»
Sonja Wieland gewöhnte sich an die Gegebenheiten, und Neues konnte auf beiden Seiten Einzug halten. Nicht ganz so einfach, wie sie es sich vorgestellt hatte, sei die Arbeit im Teilzeitpensum gewesen. «Ein grosses Stück Brot war da, doch das bisschen Butter, das überall verteilt werden sollte, reichte nie wirklich», beschreibt Wieland anschaulich. Immer sei da etwas mehr gewesen, das man hätte machen können, sollen, müssen. Dinge, die nicht zu den Kernaufgaben gehörten, aber hätten gemacht werden müssen, haben nicht selten ihre Zeitplanung zunichte gemacht und ihre Predigten seien oft in der Nacht entstanden.
«Aber das Schöne hat bei Weitem überwogen», fährt Wieland fort. «Das Leben im Dorf mit den wunderbaren Begegnungen, die Hilfsbereitschaft, das Wohlwollen und der erfrischende Pragmatismus der Menschen sind einfach nur schön und haben mich überraschenderweise in manchem an die kalifornische Mentalität erinnert.» Man helfe einander, rege sich nicht künstlich auf und mache das Beste aus dem, was man hat. Sie habe auch das Glück gehabt, dass sie einer Kirchenpflege unterstellt war, die sie habe «machen lassen», was ihr in den sonst zeitlichen Begrenzungen sehr viel wunderbare Freiheit gegeben habe, um Dinge auszuprobieren und ihren eigenen Pfarramtsstil zu entwickeln.
Gelingende Gemeinschaft
«Auch fehlen wird mir der Gemischtenchor Wintersingen. Ein kleines Häufchen unterschiedlichster Menschen, die miteinander singen wollen. Da ist etwas unglaublich Liebevolles in diesem Chor, ein ‹guter Geist›, etwas, das oft mein Herz berührt hat.»
Nun sei es Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Die Wielands freuen sich «wie Kinder», sich nochmals neu erfinden zu dürfen. «Mein Mann ist leidenschaftlicher Wissenschaftler und wird aus Lust an der Sache ein bisschen in dem Feld weiterarbeiten.» Mit von der Partie ist auch Katze «Gracie», die schon beim Umzug in umgekehrter Richtung dabei war. Wie gross deren Freude sein wird, wird sich weisen. Die Wielands sind gespannt, ob sie den alten Garten in San Diego wiedererkennen wird.
Und Sonja Wieland? Was sie machen wird, weiss sie noch nicht. Sicher werde sie weiterhin malen, vielleicht schreiben, gärtnern und wieder einen Chor suchen. Auch in den Online-Hebräischkurs der Christlich-Jüdischen Akademie in Basel wird sie sich weiterhin alle zwei Wochen einklinken, so Sonja Wieland. «Und wenn mich jemand haben will für eine gelegentliche Sonntagsvertretung oder eine Beerdigung, Hochzeit oder Taufe, werde ich mich nicht spröde anstellen. Vielleicht werde ich auch den Touristenbus im San-Diego-Zoo fahren und den Gästen die Schönheiten von Gottes Schöpfung zeigen.»
Auch hie und da einmal – wenn sie der Familie wegen in der Schweiz weilen wird – im Oberbaselbiet eine Gastpredigt zu halten oder für einen erschöpften Amtskollegen einzuspringen, kann sie sich vorstellen. «Wenn ich gelegentlich zurückschaue, dann staune ich, an wie vielen entscheidenden Weggabelungen so etwas war wie göttliche Intervention, die uns diesen und nicht jenen Weg hat einschlagen lassen», sagt Sonja Wieland.
«Es würde ein Buch füllen zu beschreiben, an wie vielen Stellen wir Bewahrung, Inspiration und den Tritt des Schutzengels erfahren haben. Welche fast unglaublichen ‹Zufälle› uns zur richtigen Zeit an den richtigen Ort geführt haben und welche Menschen wir wann kennengelernt haben, die uns wieder neue Räume eröffnet haben.»