«Wir müssen überall Brücken bauen»
29.12.2023 Bezirk Sissach, Landwirtschaft, Bezirk Sissach, NaturLukas Kilcher blickt auf zehn Jahre als Ebenrain-Leiter zurück
Per Ende Jahr gib er seine Schlüssel in Sissach ab und tritt Anfang Jahr seine neue Stelle als Direktor der Agridea an, der landwirtschaftlichen Beratungszentrale für nachhaltige Lösungen in der Schweizer ...
Lukas Kilcher blickt auf zehn Jahre als Ebenrain-Leiter zurück
Per Ende Jahr gib er seine Schlüssel in Sissach ab und tritt Anfang Jahr seine neue Stelle als Direktor der Agridea an, der landwirtschaftlichen Beratungszentrale für nachhaltige Lösungen in der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft. Im Gespräch zieht Lukas Kilcher ein Résumé seines Wirkens und wirft einen Blick in die Landwirtschaft und Ernährung der Zukunft.
Elmar Gächter
Herr Kilcher, die «Bauernzeitung» bezeichnete Sie kürzlich als jenen Amtschef, der seine landwirtschaftliche Dienststelle extravaganter geführt habe als seine Schweizer Kollegen. Wie interpretieren Sie diese Aussage?
Lukas Kilcher: Da hat sich die Chefredakteurin ein Augenzwinkern gegönnt. Sagen wir es so: Ich habe das Amt etwas virtuoser geführt, als es das übliche Pflichtenheft des Chefs eines Landwirtschaftsamts erfordert. Dies hängt sicher auch damit zusammen, dass ich neugierig bin und gerne kommuniziere. Ich wollte den Handlungsspielraum erkunden und nutzen, den die Institution bietet, und den grundsoliden Ebenrain zu einem innovativen Kompetenzzentrum erweitern, das neben der Landwirtschaft auch die Natur und die Ernährung umfasst. Ich denke, dass uns dies dank eines äusserst kompetenten und dynamischen Teams am Ebenrain gut gelungen ist.
Sie kamen als langjähriger Mitarbeiter und Geschäftsleitungsmitglied des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) nach Sissach. Wie kamen Sie mit Ihrer «Bio-Weste» bei den Landwirten im Baselbiet an?
Es gab verschiedene Couleurs, darunter auch vereinzelt Politiker, die fanden, ich sei dem Teufel vom Karren gefallen, weil ich 20 Jahre am Fibl für den Biolandbau gearbeitet habe. Für mich war jedoch von Anfang an klar, dass ich am Ebenrain für alle Bäuerinnen und Bauern da bin. Was ich hier ganz besonders geschätzt habe, war die Nähe zu den Landwirten. Es gab viele Feedbacks von Bauern, die es begrüsst haben, dass der Ebenrain sich für unternehmerische Marktorientierung, für eine wertvolle Natur und für gesunde Ernährung aus der Region einsetzt. Daraus ist auch eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Bauernverband beider Basel und weiteren Verbänden gewachsen.
Sie sprachen vom Handlungsspielraum. Wo konnten Sie ihn vor allem nutzen?
Um sich innovativen und kreativen Ideen und Projekten widmen zu können, braucht es ein solides Fundament. Dieses besteht am Zentrum Ebenrain einerseits aus unserer qualitativ hochstehenden Bildung und Beratung, die sich stets an den aktuellen Bedürfnissen der Praxis orientiert, anderseits aus einem kompetent und effizient geführten Vollzug der Agrarpolitik. Eine meiner ersten Fragen beim Amtsantritt war, wie wir unsere Landwirtschaft vorwärtsbringen können. Ich habe besonders in der Entwicklungszusammenarbeit gelernt, dass man als Erstes seine Stärken weiterentwickeln muss. Dies ist bei uns insbesondere bei Spezialkulturen wie Obst-, Wein- und Gemüsebau der Fall. So haben wir mit der Wirtschaftsförderung ein erfolgreiches Programm auf die Beine gestellt, mit dem wir wertschöpfungsstarke Spezialkulturen fördern. Zukunftsweisend war das «Leitbild Landwirtschaft beider Basel 2020», das wir 2015 gemeinsam mit dem Bauernverband entwickelt haben. Die landwirtschaftlichen Betriebe sollen unternehmerisch und vielseitig sein, Qualität für nachhaltigen Konsum produzieren, Ressourcen schonen und dynamische Lebensräume gestalten. Darauf bauend folgten Projekte wie jenes zur regionalen Entwicklung «Genuss aus Stadt und Land» (PRE) oder neu das «Slow Water»-Projekt.
Wie weit konnten diese Ziele bis jetzt erreicht werden?
Beim Blick auf das Unternehmerische und die Vielfalt bedaure ich, dass mit dem technischen Fortschritt und dem Rationalisieren, um Lebensmittel noch günstiger zu produzieren, die Vielfalt unter die Räder gekommen ist. Denn es gibt nicht nur ein Erfolgsmodell. Ob ein moderner Stall mit Melkroboter oder ein alter Stall mit kleiner Herde, ob extensiver Ackerbau oder intensive Spezialkulturen, ob Direktvermarktung oder Produktion für den Grosshandel: Jeder Betrieb sucht seine Innovation, sein Erfolgsmodell, auf seine eigene Art. Dies unterstützen wir am Ebenrain und setzen uns für Rahmenbedingungen ein, die der Landwirtschaft eine flexible Entwicklung ermöglichen. Als kleiner Agrarkanton können wir nicht auf Massen setzen, sondern auf eine hohe Wertschöpfung durch hohe Qualität.
Sie sehen sich vor allem auch als Brückenbauer zwischen Stadt und Land. Wie ist das zu verstehen?
Wir müssen überall Brücken bauen, um Verständnis für die Landwirtschaft und die Anliegen der Bauern zu schaffen. Ich habe nirgends grössere Unterstützung für die regionale Landwirtschaft entdeckt als in der urbanen Region. Stadt und Land zusammenzubringen ist daher sehr wertvoll. Unser PRE und die ganze Bewegung der Genussstädte Liestal und Basel boten beste Gelegenheit, die regionale Landwirtschaft und ihre Spezialitäten gut zu positionieren. Mit unserem PRE kommen wir an die breitere Bevölkerung. Ich erlebe dabei ein breites Interesse für regionale Kulinarik, aber auch für Nachhaltigkeitsthemen rund um die Landwirtschaft, Natur und Ernährung.
Wo steht die Landwirtschaft heute?
Mit dem Strukturwandel gibt es jedes Jahr weniger Betriebe, damit wird die Landwirtschaft in der Gesellschaft marginalisiert. Mit jedem Betrieb, der aufgibt, geht eine Stimme verloren. Es verschwindet ein Stück Vielfalt, auch hinsichtlich ländlicher Kultur. Ganz entscheidend ist, dass die Landwirtschaft die Konsumentinnen und Konsumenten mit ins Boot holt. Wir müssen bei ihnen den Wert der regionalen Landwirtschaft und die Qualität der Produkte zur Sprache bringen. Die Landwirtschaft produziert das, was am Markt nachgefragt ist. Wenn ich mich aus dem Ladengestell mit regionalem Biofleisch eindecke, wird dieses nachgefüllt und nachbestellt und nicht billiges Importfleisch. So einfach ist das.
Wo sehen Sie die grössten Probleme?
Beim Klimawandel und dem Verlust von Kulturland. In unserer Region mit einem Bauboom sondergleichen werden laufend Flächen überbaut, die landwirtschaftlich genutzt wurden. Die Schweiz verliert jedes Jahr 3355 Hektaren Kulturland, was der Fläche von über 100 Landwirtschaftsbetrieben entspricht. Damit steigt der Druck auf das restliche Kulturland, immer mehr Menschen zu ernähren. Diese Schere öffnet sich immer weiter. Dazu kommt der Klimawandel, der ständig mehr Ernteausfälle zur Folge hat und die Produktion verteuert, weil Kulturen bewässert oder vor Klimaschädlingen geschützt werden müssen. Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz ist auf unter 50 Prozent gesunken und sinkt weiter. Die Schweiz verfügt zwar über eine grosse Kaufkraft, um sich Importe zu leisten. Aber eines Tages wird diese Rechnung nicht mehr aufgehen, weil Kulturlandverlust, Bevölkerungswachstum und Klimawandel auf der ganzen Welt stattfinden.
Was kann eine Institution wie das Zentrum Ebenrain dagegen machen?
Gegen globale Strömungen haben wir wenig Möglichkeiten. Aber wir können die Herausforderungen zur Diskussion bringen, global denken und lokal handeln. Ich habe es immer als meine Aufgaben angesehen, ob bei Vorträgen oder bei meinen Vorlesungen an der Universität Bern, diese Zusammenhänge aufzuzeigen und die Augen der Fachwelt, der breiten Gesellschaft und der Politik zu öffnen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass sparsamer mit dem Boden umgegangen wird. Ich plädiere dafür, das Landwirtschaftsland so gut zu schützen wie den Wald. Sehr wichtig ist auch, uns für alle Dimensionen der Nachhaltigkeit einzusetzen. Dazu gehören auch faire Preise für die Bauern. Die Marktmacht ist sehr ungleich verteilt. Qualitativ hochstehende Regionalprodukte sind eine wertvolle Chance für Landwirtschaftsbetriebe, ihre Produkte am Markt besser in Wert zu setzen und die Vielfalt der regionalen Landwirtschaft zum Ausdruck zu bringen.
Sie treten Anfang Januar Ihre neue Stelle als Direktor der Agridea an. Worauf freuen Sie sich ganz speziell?
Ich hatte in meiner gesamten beruflichen Laufbahn mit der Agridea zu tun und dabei einige Kolleginnen und Kollegen schätzen gelernt. Vom insgesamt gut 120-köpfigen Team an den vier Standorten Lindau, Lausanne, Cadenazzo und Bern kenne ich aber noch lange nicht alle und freue mich ganz speziell auf die Arbeit mit dem Team und dem Vorstand. Ebenfalls sehr freue ich mich auf die vielfältigen Aufgaben der Agridea im Zentrum des Landwirtschaftlichen Innovations- und Wissenssystems. Zu den Kunden und Partnern von Agridea gehören zuerst die Kantone, ihre Bildungs- und Beratungszentren und ihre Landwirtschaftsämter. So werde ich auf neue Weise mit dem Ebenrain verbunden bleiben, zum Beispiel über das «Slow Water»-Projekt, was mich ebenfalls freut.
Zur Person
emg. Der 60-jährige Lukas Kilcher ist ETH-Agraringenieur und wohnt mit seiner Familie in Binningen. Nach einem Jahr als Agrarjournalist beim Landwirtschaftlichen Informationsdienst wechselte er zum Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl), wo er 15 Jahre lang in der Geschäftsleitung tätig war. Er baute die Abteilung Internationale Zusammenarbeit auf und war Leiter der Kommunikation sowie des Beratungsdienstes. Während acht Jahren gab er Vorlesungen an der Agrar-Universität in Paris und leitet aktuell das CAS-Modul «Nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung» an der Universität Bern. 2013 übernahm er die Leitung des Zentrums Ebenrain, das er zum «Zentrum für Landwirtschaft, Natur und Ernährung» ausbaute.