Unangepasst, freiwillig und gewaltlos
21.02.2025 Baselbiet, Kultur, Gemeinden, Region, KircheDie Täuferbewegung ist vor 500 Jahren entstanden. Hanspeter Jecker vom Bildungszentrum Bienenberg beleuchtet für die «Volksstimme» die Geschichte der während langer Zeit verfolgten Gemeinschaft und schaut dabei speziell ins Oberbaselbiet.
Hanspeter ...
Die Täuferbewegung ist vor 500 Jahren entstanden. Hanspeter Jecker vom Bildungszentrum Bienenberg beleuchtet für die «Volksstimme» die Geschichte der während langer Zeit verfolgten Gemeinschaft und schaut dabei speziell ins Oberbaselbiet.
Hanspeter Jecker
Die Täuferbewegung ist im Kontext der europäischen Reformation entstanden. Sie setzte dort ein, wo die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Lage in Gesellschaft und Kirche immer stärker wurde. Auch die Täuferbewegung war Ausdruck dieses reformatorischen Willens zu einer grundlegenden Erneuerung. Sie war neben den altgläubigen Katholischen und den neugläubigen Evangelischen die dritte Kraft: Eine Kraft aber, der man nirgends die Freiräume gab, die sie gebraucht hätte, um sich bewähren zu können.
Am 21. Januar 1525 kam es in Zürich wohl erstmals in der frühen Neuzeit zu Taufen von Menschen, die zwar bereits als Säuglinge getauft worden waren, die sich nun aber als gläubig gewordene Erwachsene freiwillig noch einmal taufen liessen. Diese «Wieder-Taufe» war für sie Ausdruck ihrer persönlichen Entscheidung. Die Freiwilligkeit des Glaubens stellte für die damaligen Täuferinnen und Täufer etwas ganz Entscheidendes dar.
Freiwillige Mitgliedschaft
Ebenso verhielt es sich mit der Mitgliedschaft in der Kirche: Auch sie sollte ihrer Überzeugung nach freiwillig sein. Das war damals etwas völlig Neues, ja Undenkbares. Jedes Mitglied der damaligen Gesellschaft war gleichzeitig auch Mitglied der Kirche: Die Kirche war diejenige Institution, auf der das gesamte Leben der damaligen Gesellschaft basierte. Dass Kirchengemeinde und Gesamtgesellschaft nicht mehr deckungsgleich sein sollten, das galt damals im 16. Jahrhundert als nicht praktikabel, ja als utopisch.
Insofern war das Anliegen der Täufer bestimmt revolutionär, auch wenn – aus heutiger Sicht gesehen – bedacht werden sollte, dass die christliche Kirche ja genau so angefangen hatte: Als kleine Minderheit in einer Welt mit vielen anderen Meinungen! Heute nähern wir uns – wenigstens in grossen Teilen Europas – immer stärker wieder diesem Modell an: Christinnen und Christen leben zunehmend als Minderheiten auch in europäischen Ländern. Die Frage von Glaubens- und Gewissensfreiheit stellt sich damit heute erneut mit unverminderter Dringlichkeit.
Was die Täuferbewegung neben der Forderung nach Freiwilligkeit von Glaube und Kirchenmitgliedschaft ebenfalls auszeichnet, ist Folgendes: Es ist ihre Einsicht, dass bei Menschen, die gläubig geworden sind, nicht alles gleich bleibt, sondern auch Lebensvollzüge verändert werden. Diese Menschen versuchen das, was sie gemeinsam in Bibellektüre und Gespräch erkannt haben, in ihrem eigenen Leben auch umzusetzen: Das eigene Leben sollte am Vorbild Jesu ausgerichtet werden.
Das machte sie da und dort ehrlicher, friedfertiger, versöhnungsbereiter. Es machte sie aber auch demütiger und darum vertrauenswürdiger. Viele Menschen, die im Verlauf der Geschichte Täuferinnen und Täufer geworden sind, bezeugten gerade dies: Es war der veränderte Lebensstil ihrer täuferischen Nachbarn, der sie auf diese Glaubensgemeinschaft aufmerksam gemacht und der sie sich später angeschlossen hatten.
Früh im Baselbiet
Das gilt auch für das Baselbiet, wo die Täuferbewegung ebenfalls bereits früh auftauchte. Ausgehend vom ersten Täuferkreis in einem «Eckheuszlin» am Basler Barfüsserplatz im August 1525 verbreitete sich die Bewegung rasch bis ins obere Baselbiet. Mit Schwerpunkten in Lausen, Thürnen, Maisprach oder Rothenfluh behauptete sich das Täufertum trotz aller Verfolgung beharrlich gegen alle Repressionen. Man nutzte die Nähe der Grenze zu Nachbargebieten, um notfalls in andere Territorien auszuweichen. Von 1525 bis gegen 1700 gab es dieses einheimische Basler Täufertum. Dann flohen oder wanderten seine letzten Angehörigen ins Elsass, in die Pfalz oder in den Kraichgau aus.
Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts erfolgte im Baselbiet eine täuferische Neubesiedelung. Pietismus und Aufklärung hatten auch hier die Stimmung allmählich verändert. Es waren bernische Täuferfamilien, die auf hiesige landwirtschaftliche Betriebe zogen: Etwa auf den Dietisberg bei Diegten, den Arxhof bei Niederdorf, den Wildenstein bei Bubendorf – aber auch auf stadtnahe Höfe wie das Rote Haus bei Schweizerhalle, Brüglingen bei Münchenstein oder St. Jakob bei Basel. Um 1800 hiess es sogar, die Täufer pachteten «schon jetzt die besten Lehen im gesamten Canton». Mit der Verschärfung der Allgemeinen Wehrpflicht auch in der Schweiz wanderte allerdings bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die grosse Mehrheit der Schweizer Täufer weg – meistens nach Nordamerika.
Für europäische Obrigkeiten war es bis weit ins 19. Jahrhundert klar, dass man dem Täufertum keinen Raum geben wollte. Verfolgung und Güterkonfiskation, Ausweisung und Verbannung, lange oder lebenslängliche Haftstrafen bis hin zu Hinrichtungen waren die üblichen Massnahmen. Um nicht ins offene Messer zu laufen, wählten viele Täuferinnen und Täufer immer wieder den Weg von Flucht und Auswanderung. Es kann in diesem Zusammenhang darum kaum verwundern, dass es in der Schweiz heute gerade noch 2000 Angehörige dieser täuferisch-mennonitischen Gemeinschaften gibt. Hingegen zählt man allein in den USA mehrere 100 000 Personen mit schweizerischen Wurzeln als Mitglieder solcher Kirchen. Auch das ändert aber nichts daran, dass heute mittlerweile zwei Drittel aller täuferisch-mennonitischen Personen aus Afrika oder Asien stammen – und nur noch gerade einmal 3 Prozent aus Europa!
Als «täuferisch» bezeichnet man heute in der Schweiz folgende Kirchen: Die auf die Reformationszeit zurückgehenden und hier präsentierten Mennoniten, die Baptisten und die im 19. Jahrhundert entstandenen Evangelischen Täufer-Gemeinden (ETG).
Gewaltverzicht als Merkmal
Dass das Friedenszeugnis, der Gewaltverzicht, oder der Pazifismus von Täuferinnen und Täufern ein wichtiges Merkmal dieser Glaubensgemeinschaft geblieben beziehungsweise wieder geworden ist, ist nicht selbstverständlich. In Europa rückte der täuferische Gewaltverzicht im Umfeld von zwei Weltkriegen immer mehr in den Hintergrund. Erst danach wurde dieser Akzent wieder entdeckt und gefördert – mithilfe von nordamerikanischen Geschwistern, bei denen diese Überzeugungen weit lebendiger geblieben sind.
Heute sind diese Glaubens-Positionen wohl einer der Hauptgründe für die Attraktivität der Täuferbewegung: Täuferische Akzente haben wichtige Impulse gesetzt in der Mediation und Konfliktforschung, beim Ringen um gewaltfreiere Methoden der Kommunikation, in der Suche nach gangbaren und nachhaltigen Lösungen bei nationalen und internationalen Auseinandersetzungen.
Dass in diesem Jahr der 500. Geburtstag der Täuferbewegung begangen werden kann, rückt diese Glaubensgemeinschaft für eine kurze Zeit ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit. In diesem Jahr wird es Artikel und Filme, Radiosendungen und Fernseh-Features, wissenschaftliche Symposien, Podiumsgespräche und Ausstellungen geben, die täuferische Geschichte und Theologie in Vergangenheit und Gegenwart beleuchten. Damit findet auch die Tätigkeit des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte vermehrt Beachtung (www.mennonitica.ch).
Es bleibt zu hoffen, dass auf diese Weise ein stimmiges und adäquates Bild dieser Gemeinschaft entsteht, wo das Bedenkenswerte zum Tragen kommt. Und wenn daraus auch noch hilfreiche Impulse abgeleitet werden können für die je eigene Gegenwart und Zukunft, dann sind solche Gedenkveranstaltungen durchaus sinnvoll.
Hanspeter Jecker war Dozent am Bildungszentrum Bienenberg in Liestal. Er leitet dort noch heute die Fachstelle für Theologie und Geschichte des Täufertums. Mehr dazu unter https://de.bienenberg.ch
Literaturhinweis: Oliver Dürr, Urs B. Leu, Hanspeter Jecker, Tobias Jammerthal (Hg.), «Kinder des Friedens – 500 Jahre Täufertum in der Schweiz», TVZ-Verlag Zürich 2025, 224 Seiten, farbig illustriert (erscheint März 2025).
Wichtige Termine zum Jubiläum
Bis 24. Mai: «Bauernkrieg & Täuferbewegung», Ausstellung im Dreiländermuseum Lörrach (mit zahlreichen Spezial-Veranstaltungen)
13. März bis 15. Juni: Täufer-Ausstellung in der Zentralbibliothek Zürich
10. Mai bis 31. Oktober: Täufer-Ausstellung (Kapelle Jeangui / Corgémont, Kanton Bern)
29. Mai: Gedenktag zu 500 Jahre Täuferbewegung (Zürich)
2. bis 4. Juni: Internationale Fachtagung zum Täufertum (Uni Zürich)
26. bis 28. September: Täufergeschichtliches Symposium (Bienenberg/Liestal)