«Sie wollen möglichst lange zu Hause wohnen»
21.03.2025 Baselbiet, Gesundheit, Gesellschaft, Baselbiet, GemeindenIvana Kovacevic erklärt, wie der Übertritt ins Alters- und Pflegeheim gelingt
Viele ältere Menschen scheuen den Schritt in ein Alters- und Pflegeheim, weil sie lieber zu Hause bleiben möchten. Ivana Kovacevic vom Roten Kreuz erklärt, dass das Wohnen im Heim ...
Ivana Kovacevic erklärt, wie der Übertritt ins Alters- und Pflegeheim gelingt
Viele ältere Menschen scheuen den Schritt in ein Alters- und Pflegeheim, weil sie lieber zu Hause bleiben möchten. Ivana Kovacevic vom Roten Kreuz erklärt, dass das Wohnen im Heim viele Vorteile hat. Bei akuter Gefährdung sei jedoch ein Übertritt angezeigt.
Paul Aenishänslin
Frau Kovacevic, das Rote Kreuz Baselland plant, noch dieses Jahr den Kurs «Ich will nicht ins Pflegeheim – Ablösung unterstützen» anzubieten. An wen richtet sich der Kurs?
Ivana Kovacevic: Der Kurs richtet sich primär an Freiwillige und Angehörige, die Menschen zu Hause pflegen oder betreuen und mit dem Übertritt ins Alters- und Pflegeheim konfrontiert sind. Auch betroffene Seniorinnen und Senioren, die mit der Entscheidung hadern, sind willkommen.
Wie entstand die Idee dazu?
Die Idee entstand aus meiner Erfahrung heraus, die ich in meiner früheren Tätigkeit in der Spitex, aber auch im privaten Umfeld gemacht habe. Nur selten erklärte sich jemand freiwillig dazu bereit, ins Alters- und Pflegeheim zu gehen. Dies führte in den Familien zu grossen Spannungen und Frust, da die Vorstellungen und Bedürfnisse weit auseinandergingen. Mit unserem Kurs möchten wir dieser schwierigen Thematik die erforderliche Beachtung schenken und den Beteiligten Wege aufzeigen, wie mit der Herausforderung umgegangen werden kann.
Was erwartet die Teilnehmenden?
Es wird nach dem Kurs kein Patentrezept geben, jedoch hilfreiche Tipps und Tricks. Der Austausch unter den Kursteilnehmenden ist extrem wertvoll, es braucht nicht immer gleich eine fixfertige Lösung.
Ist es nicht sinnvoll, dass versucht wird, betagte Personen möglichst lange in ihrem gewohnten Umfeld zu belassen, anstatt sie ins Alters- und Pflegeheim zu «verlegen»?
Das ist absolut richtig. Ich denke, der grösste Teil der betagten Menschen wünscht sich, möglichst lange zu Hause wohnen und selbstständig bleiben zu können. Dieser Wille ist absolut legitim und dem soll so lange, wie es möglich und vertretbar ist, Priorität gegeben werden. Vertretbar ist es dann, wenn die Sicherheit gewährleistet ist und die Person zu Hause gut zurechtkommt – auch mit externer Unterstützung.
Wann sollte jemand den Schritt ins Heim machen?
Glücklicherweise haben wir heutzutage gute Überbrückungsmöglichkeiten mit der Spitex und anderen Organisationen, die Menschen zu Hause pflegen und betreuen. Auch den Rotkreuz-Notruf in Form eines Knopfes am Handgelenk zähle ich dazu. Jedoch kommt bei den meisten Personen früher oder später der Zeitpunkt, an dem alles schwieriger, mühsamer und vor allem gefährlicher wird und es viel mehr Betreuung braucht, als sie zu Hause organisiert werden kann. Wenn zusätzlich eine fortschreitende Demenz besteht, ist der Wechsel ins Alters- und Pflegeheim angezeigt.
Was sind konkrete Gründe, die dafür sprechen, dass pflegebedürftige Personen ins Alters- und Pflegeheim gehen sollen?
Für mich steht der Sicherheitsaspekt im Vordergrund. Beispiele von Gefahren, die zu Hause grösser sind als im Heim, sind regelmässige Stürze. Neben möglichen Brüchen kann die Person sich zusätzlich den Kopf verletzen, was an sich schon gefährlich ist. Ist dann auch noch eine medikamentös verursachte Blutverdünnung im Spiel und die Person kann nicht selber aufstehen oder alarmieren, dann liegt eine lebensbedrohliche Situation vor.
Gibt es weitere Beispiele?
Mögliche Probleme sind auch die Gegebenheiten im Haus oder in der Wohnung. Ist eine Person unsicher beim Gehen und können Treppen als Stolperfallen nicht vermieden werden, sollte der Umzug ins Heim ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Ansonsten kann es früher oder später zu einem schlimmen Sturz kommen. Weitere klassische Beispiele sind Herdplatten, die nicht ausgeschaltet werden, oder Gegenstände, die auf der heissen Herdplatte liegen gelassen werden. In solchen Fällen ist das Wohnen alleine nicht mehr zu empfehlen.
Es gibt alte Menschen, die um keinen Preis ins Alters- und Pflegeheim gehen wollen, auch wenn sie es objektiv ansehen sollten. Was spricht für einen Aufenthalt im Heim?
Ich denke, das können die einzelnen Institutionen am besten selber beantworten, wenn man sich auf eine Besichtigung einlässt. So wie ich es erlebt habe, entwickeln sich Alters- und Pflegeheime ständig weiter. Die Privatsphäre kann heute besser als früher gewährleistet werden. Die Institutionen weisen oft tolle Angebote für die Seniorinnen und Senioren auf. Die Angebote wirken einer sozialen Vereinsamung entgegen und verschaffen den Bewohnenden viele freudige Erlebnisse. Besuche können nach wie vor ausgiebig empfangen werden oder die Bewohnenden werden auch mal auf einen Ausflug mitgenommen. Die Menschen sind in einem sichereren Umfeld zu Hause, weil immer jemand da ist, der unterstützen kann. Ich denke, viele betagte Menschen nehmen diese positiven Aspekte manchmal nicht bewusst wahr.
Wie kann Ihr Kurs einer möglichen Verweigerung eines Übertritts ins Alters- und Pflegeheim entgegenwirken?
Zu viel möchte ich inhaltlich nicht verraten. Was jedoch zu betonen ist: Weil die Auseinandersetzung ein längerer Prozess ist, ist die frühe Thematisierung in der Familie extrem wichtig. Jemanden von heute auf morgen vor vollendete Tatsachen zu stellen und die Person in die Planung nicht zu involvieren, ist sicher nicht hilfreich. Ein Widerstand wird wahrscheinlich trotzdem nicht ganz vermeidbar sein, jedoch soll genügend Zeit und Raum für die Ablösung geschaffen und die Gefühle der Betroffenen anerkannt werden. Sie sind legitim. Auch legitim ist der Wunsch der Angehörigen, ihre Liebsten in sichere Hände geben zu können. Genau dieses gegenseitige Verständnis soll Schritt für Schritt aufgebaut werden. Wenn früh genug Sorgen, Ängste und vor allem Bedürfnisse angehört und ernst genommen werden, kann man gemeinsam Kompromisse aushandeln und kennt die genauen Vorlieben bei der Auswahl eines neuen Zuhauses.
Gibt es noch mehr Angebote für Betroffene, Freiwillige und pflegende Angehörige?
Derzeit können beim Roten Kreuz Baselland etwa 35 Kurse und Lehrgänge in verschiedenen Bereichen gebucht werden. Viele der Angebote führen wir mehrmals pro Jahr durch. Sie sind alle auf unserer Website zu finden und buchbar. Eine gedruckte Version der Kursprogramme kann über die Website bestellt werden.
www.srk-baselland.ch(Rubrik«Kurse»)
Zur Person
pae. Ivana Kovacevic, 39 Jahre alt, ist seit 2009 diplomierte Pflegefachfrau HF und verfügt über diverse Zusatzausbildungen und jahrelange Erfahrung in den Bereichen Bildung und Führung. Sie ist seit Juni 2023 Leiterin Bildung und Mitglied der Geschäftsleitung des Roten Kreuzes Baselland. Sie lebt mit ihrer Familie in Itingen.