Roger Lang und der Geist des «Chöbu»
18.07.2025 Region, Gastronomie, KulturDer «Chöbu» – die letzte richtige Beiz Olten | Roger Lang (63) führt in 4. Generation das Traditionslokal
Der «Rathskeller» – im Volksmund «Chöbu» genannt – steht mit seiner urchigen Atmosphäre ...
Der «Chöbu» – die letzte richtige Beiz Olten | Roger Lang (63) führt in 4. Generation das Traditionslokal
Der «Rathskeller» – im Volksmund «Chöbu» genannt – steht mit seiner urchigen Atmosphäre für eine Gastrokultur, die im Verschwinden begriffen ist. Besitzer Roger Lang bediente einst Bundesräte – und wollte eigentlich in den USA bleiben, wo er aufgewachsen ist.
Nikolaos Schär
Sie ist ein Unikum und weitherum bekannt – und vielleicht die letzte Beiz ihrer Art in Olten: der «Rathskeller» am Klosterplatz, oder «Chöbu», wie sie die Oltnerinnen und Oltner liebevoll nennen. Schon von der Aarepromenade aus sind die imposanten Wandmalereien sichtbar. Sie verweisen auf die selbstbewusste Stellung, die der «Rathskeller» in der Stadt Olten seit jeher einnimmt – auch eine traditionsreiche.
Das reich verzierte Fassadengemälde zeigt einen Ritter zu Ross, der aus der Stadt gejagt wird. Datiert ist es auf das Jahr 1367, sein Titel lautet «Der letzte Frohburger». Es verweist auf die Geburtsstunde Oltens als Stadt und ziert das Haus am Klosterplatz, seit die Familie Lang den Gastrobetrieb um 1900 übernommen hat.
Roger Lang führt den «Rathskeller» in vierter Generation – und ist selbst eine stattliche Erscheinung. Mit festem Händedruck und wenigen Worten bittet er herein. An diesem Montag, an dem es in Strömen giesst, ist die Beiz geschlossen; durch die bemalten Butzenscheiben ist von aussen kaum etwas zu erkennen. Innen ist es dämmrig und gemütlich wie in einer Höhle. Wappen von Oltner Geschlechtern schmücken die Wände, ein kunstvoll verzierter Kachelofen zieht den Blick auf sich. Dunkle, massive Tische und Stühle, alles handgefertigt, vermitteln den Eindruck, hier sei die Zeit stehen geblieben.
«Wir haben immer wieder renoviert, aber die Einrichtung blieb mehrheitlich unverändert», sagt Lang. Er nimmt am Stammtisch Platz. Hinter ihm erstreckt sich eine historische Waffensammlung aus Pistolen und Gewehren entlang der gesamten Wand – begonnen von seinem Urgrossvater, als auf dem Klosterplatz noch der Saumarkt stattfand. Der habe damals die alten Waffen der Bauern gesammelt und an die Wand gehängt: «Die haben nicht gewusst, was sie mit dem Zeug machen sollen. Dann hat er gesagt: ‹Bring sie rauf – das Mittagessen ist dafür gratis.›»
Obwohl die Geschichte der Familie Lang eng mit dem «Rathskeller» und Olten verwoben ist, wuchs Roger Lang in den USA auf. 1977 kam er als 15-Jähriger mit seiner Schwester in die Schweiz und half den Grosseltern im Sommer in der Beiz aus. Die Region mit dem Hauenstein und dem Blick auf die Alpen habe ihn sofort eingenommen, erzählt er. Doch eigentlich wollte er nach der Hotelfachschule wieder zurück in die USA.
1980 landete er im Hotel Hilton beim Flughafen Zürich. Dort arbeitete er im Restaurant – und sah Tag für Tag, wie der Jumbo-Jet um 11 Uhr nach New York abhob. «Ich habe die Tische gedeckt, rausgeschaut und mir gedacht: Ich sitze hier drin – und die fliegen nach Hause.» Der Gedanke liess ihn nicht mehr los. Nach einem Monat sagte er seinen Eltern: «Entweder ich gehe an einen anderen Ort – oder zurück nach Amerika.»
Prinz Philip und Mitterrand
Sein Vater vermittelte ihm eine Stelle im Berner Hotel Bellevue Palace – Lang hatte keine Ausbildung und sprach nur gebrochen Deutsch. Dort öffnete sich ihm eine andere Welt: «Unsere Bundesräte gingen dort ein und aus und begrüssten mich mit Vornamen», sagt er. Er bediente das Diplomatenkorps und auch internationale Gäste wie Prinz Philip von England, den französischen Präsidenten François Mitterrand oder Indira Gandhi. «Das war eine sehr intensive, aber unglaublich spannende Zeit», erinnert er sich mit heiterer Miene.
Drei Jahre blieb er in Bern, arbeitete auch im Hotel Schweizerhof, bevor er die Hotelfachschule absolvierte – und schliesslich zurück nach Olten kam. Nicht, weil es der Plan war, sondern weil der Vater krank wurde. «Dann war klar: Jetzt braucht es mich hier.» 1991 trat er in den Familienbetrieb ein. Fünf Jahre später übernahm er die Geschäftsleitung.
Hamburger und Auberginentatar
Als sein Vater die Beiz übernahm, lief das Geschäft schlecht. Um dem «Rathskeller» neuen Schwung zu verleihen, schmuggelte er Hamburgerbrötchen im Koffer aus Kalifornien in die Schweiz – damals war das etwas Exotisches. Zuerst lachten die Kollegen, dann wollten sie selbst probieren. Der Erfolg war durchschlagend. In Spitzenzeiten gingen 300 bis 350 Hamburger pro Tag über den «Rathskeller»- Tresen. Später kamen Käseküchlein nach altem Rezept dazu. Die Langs zapften acht Biersorten – damals alles andere als üblich. Dem Bier verdankt der «Rathskeller» seinen Spitznamen «Chöbu». Er verweist auf die alten Bierkrüge mit Zinndeckel, in denen das Bier serviert wurde.
Roger Lang ist bis heute offen für Neues geblieben. Der jetzige Küchenchef, ein Deutscher, hat Gerichte wie Auberginentatar oder moderne Salatbowls eingeführt. «Ich habe gesagt, das läuft nie – aber es läuft wie gestört.» Man müsse mit der Zeit gehen, sonst sei man weg vom Fenster, sagt der Wirt.
Elf grosse Tische hat der «Rathskeller». Wer hier Platz nimmt, kommt ins Gespräch – separieren? Fehlanzeige. «Die Stammgäste sind offen. Wenn einer hereinkommt, heisst’s: ‹Komm, kannst dich dazuhocken›», sagt Lang. Das Publikum sei gemischt, die Stimmung direkt. Und er selbst? «Ich bin kein Diplomat. Ich sage immer, was ich denke.» Manchmal etwas schroff, aber fair. Alle seien willkommen – «aber benehmen muss man sich», so Lang. Die Waffen an der Wand sind heute durch Scheiben geschützt: «Es waren nie Büetzer oder Ausländer, die da drauf gelangt haben – nur Akademiker in fortgeschrittenem Alter, die gemeint haben, sie seien lustig.»
Heute kommen die meisten Gäste von ausserhalb: «Ich lebe grundsätzlich nicht von den Oltnern, sondern von den Auswärtigen.» SBB, Swisscom, Alpiq – Firmen buchen den Saal im ersten Stock. Viele Stammgäste kommen aus dem Umland: «Von Trimbach bis Hägendorf, von Starrkirch bis Uerkheim.» Früher sei das Vereinsleben intakt gewesen. Die Leute hätten in Olten gearbeitet und konsumiert. Heute wohnten viele Gewerbler in der Umgebung – und hätten in der Stadt politisch keine Stimme mehr. «Das ist tödlich», sagt Lang.
Wird es politisch, kann sich Lang in Rage reden: Er ärgert sich über die Stadtentwicklung und ist mit der rotgrünen Regierung unzufrieden. Besonders stört ihn die Sperrung der Kirchgasse in der autofreien Altstadt: «Früher konntest du mit dem Auto rein, schnell etwas holen, weiterfahren. Heute musst du mit dem Kinderwagen den Stutz der Schützenmatte rauf und mit der Kommission wieder runter – das ist für nichts.»
Von zentraleren Parkhäusern wolle die Stadt nichts wissen, Parkplätze würden mittels Salamitaktik abgebaut, die Laufkundschaft verschwinde. Auch die Mietpreise in der Altstadt seien zu hoch, die Haltung der Hauseigentümer oft gleichgültig. «Hauptsache, die Miete kommt rein. Ob es zum Ladenmix passt, interessiert niemanden.» Zwar habe die Stadt inzwischen einen Citymanager engagiert, doch die strukturellen Probleme seien tiefgreifend.
Als Gegenbeispiel nennt er Sissach: «Die haben den Mut gehabt, den Verkehr im Dorfkern zu belassen, zwar Tempo 20, dafür mit genügend Parkplätzen – und es funktioniert. Hier hätte man das auch machen können. Aber alles musste verkehrsfrei werden.» Er bedauert die Entwicklung – denn Olten habe viel Potenzial, eine gute Gastronomie und ein tolles kulturelles Angebot.
Die Gastronomie sieht Lang generell in der Krise: «Alle wollen essen – aber keiner will arbeiten.» Junge Leute forderten Teilzeitstellen, freie Wochenenden, Löhne wie bei der Bank – und seien kaum noch belastbar. «Ich hatte eine Bewerberin aus Italien am Telefon, die hat gleich gesagt, sie mache nur Frühdienst und keine Wochenenden. Da will ich gar nicht mehr weiterreden.»
Trotz des neuen Windes, der in der Gastronomie weht, hat Lang langjährige Mitarbeitende: «Wenn du fair bist und zahlst, funktioniert’s – aber es wird schwieriger.»
Corona habe das Konsumverhalten massiv verändert, sagt Lang. «Das Feierabendbier ist weggefallen, und die Handwerker kommen seltener zum Mittagessen. Das Vereinsleben hat gelitten. Musikgesellschaften, Turnvereine, Fasnachtsgruppen – alle kämpfen um Mitglieder.» Auch die jungen Leute treffe man seltener in der Beiz. Was seiner Meinung nach zum Verschwinden der klassischen Beizen beigetragen hat: «Das ‹Stadtbad›, ‹National› und die ‹Waadtländerhalle› waren einst Quartierbeizen, heute sind es Speiselokale, wo man Menüs isst», sagt Lang mit etwas Wehmut.
Ob er den «Rathskeller» vermissen werde, wenn er in ein paar Jahren in Pension geht? «Glaub ich nicht. Dann hab ich mehr Zeit für mich. Ich habe insgesamt drei bis vier Mal Ferien mit meiner Tochter gemacht», sagt Lang. Der «Chöbu» ist sein Leben – und solange er nicht das Licht löscht, bleiben seine direkte Art, die Waffensammlung und der Hamburger fester Bestandteil der urchigen Atmosphäre.
Die «Volksstimme» stellt in der sechsteiligen Serie «Ein Sommer in Olten» die Dreitannenstadt aus verschiedenen Blickwinkeln vor. Die Beiträge erscheinen im wöchentlichen Rhythmus.