Nach 35 Jahren ist Schluss
16.05.2025 Bezirk Sissach, Region, Baselbiet, ThürnenHans Gysin blickt auf seine Zeit als Betreuer von Asylbewerbern zurück
Der 65-jährige Hans Gysin leitete das Asylheim in Thürnen mit Umsicht. Die Arbeit als Betreuer von Geflüchteten war zwar nicht immer einfach – und doch hat sie ihm viel zurückgegeben. ...
Hans Gysin blickt auf seine Zeit als Betreuer von Asylbewerbern zurück
Der 65-jährige Hans Gysin leitete das Asylheim in Thürnen mit Umsicht. Die Arbeit als Betreuer von Geflüchteten war zwar nicht immer einfach – und doch hat sie ihm viel zurückgegeben. Geblieben sind Freundschaften und die Überzeugung, dass man ohne Vorurteile leben sollte.
Janis Erne
Dass jemand fast sein ganzes Berufsleben im selben Asylheim verbringt, ist selten. Auch Hans Gysin hätte sich bei seinem Stellenantritt in Thürnen im Jahr 1990 nicht vorstellen können, dreieinhalb Jahrzehnte zu bleiben. «Eigentlich bin ich jemand, der immer wieder neue Herausforderungen sucht», sagt er. Doch die Arbeit als Heimleiter und Betreuer von Asylbewerbern sei äusserst abwechslungsreich gewesen – auch, weil sich die Herkunft der Bewohner im Lauf der Jahre immer wieder änderte. Sie stammten etwa aus dem Nahen Osten, Afrika oder Sri Lanka.
Das Wichtigste, das ihn seine Arbeit gelehrt habe, sagt Gysin rückblickend, sei, nicht in Schubladen zu denken. «Jeder Mensch ist anders, auch wenn Nationen und Bevölkerungsgruppen bestimmte Charakterzüge haben können.» Ebenso prägend war für ihn die Erkenntnis, dass jeder Mensch mehrere Chancen verdiene.
Das Asylheim mit seinen 25 Plätzen und zwei Aussenwohngruppen leitete Gysin mit Umsicht. Zwischenfälle wie vor anderthalb Jahren in Buus, als zwei Asylbewerber mit Messern aneinandergerieten, gab es nie. Es blieb auffallend ruhig. Einmal sagte jemand zu ihm: Ah, in Thürnen gibt es ein Asylheim? «Eine bessere Bestätigung für meine Arbeit gibt es fast nicht», meint Gysin und schmunzelt. Etwas ernster fügt er an: «Gott sei Dank ist bei uns nie etwas Gravierendes passiert.» Denn es sei anspruchsvoll, das Zusammenleben auf engem Raum zwischen Menschen verschiedenster Herkunft zu organisieren. Dafür brauche es Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl – sowie eine Kommunikation auf Augenhöhe: «Miteinander reden ist das A und O», so Gysin. Bei Alltagsproblemen im Heim hätten vielmals vermeintlich banale Tipps geholfen – etwa der Hinweis, dass man für Sport kein teures Fitnessabo braucht, weil es Vita-Parcours oder andere öffentliche Sportanlagen gibt.
«Das nagte an einem, zweifellos»
Viele der Geflüchteten sind Gysin ans Herz gewachsen. Mit einigen ehemaligen Bewohnern des Männerheims pflegt er bis heute Kontakt. «Es sind gute Freundschaften entstanden», sagt er. Natürlich habe es auch schwierige Momente gegeben – etwa, wenn die Polizei Bewohner abholte, die einen negativen Asylentscheid erhalten hatten und ausgeschafft werden mussten. «Das nagte an einem», so der Vater von zwei erwachsenen Kindern.
Trotzdem habe er gelernt, sich abzugrenzen: «Sonst wäre ich keine 35 Jahre geblieben», sagt Gysin, der einst Lehren als Koch und Konditor-Confiseur gemacht hatte und sich nach dem Branchenwechsel entsprechend weiterbildete. In der Freizeit ist er als Mitglied des Töggeli-Clubs beider Basel aktiv. Zudem schreibt Hans Gysin Gedichte – so wie der 1969 verstorbene gleichnamige Mundartdichter aus Oltingen.
Auch politisch ist der 65-Jährige interessiert, einer Partei gehörte er jedoch nie an. Er positioniere sich mal links, mal rechts. Was sich durch sein Leben zieht, ist seine soziale Ader: Bereits als junger Erwachsener engagierte er sich bei der Freikirche Bewegung Plus in Sissach, die sich unter anderem für Migrantinnen und Migranten einsetzt. Zur Zuspitzung der Flüchtlingsdebatte seit dem Aufstieg der SVP in den 1990er-Jahren sagt Gysin: «Ohne Zweifel, die politische Stimmung hat sich gewandelt und färbt auf die Bevölkerung ab. In Thürnen gab es jedoch nie offene Anfeindungen – das Zusammenleben funktionierte gut.»
Eine weitere Entwicklung, die Gysin miterlebte, begann Ende der 1990er-Jahre, als die Zuständigkeit für das Asylwesen vom Kanton auf die Gemeinden überging. Gysin spricht von einem Systemwechsel mit Vor- und Nachteilen. Eher kritisch sieht er die uneinheitlichen Standards: «Nicht alle Gemeinden investieren gleich viel in die Betreuung und Unterbringung der Asylbewerber.» Insgesamt sei das Asylwesen im Baselbiet heute aber auf einem guten Niveau. «Die Geflüchteten werden gefördert und gefordert. Das ist zentral, damit sie selbstständig werden und aus der Sozialhilfe herauskommen.» Gysin erzählt vom Beispiel eines ehemaligen Bewohners, der heute ein eigenes Geschäft mit mehreren Angestellten führt.
Es sind solche Erfolgsgeschichten, die ihn zufrieden zurückblicken lassen. Gleichzeitig freut er sich auf die Pension. Die neu gewonnene Freizeit will der Oberbaselbieter nutzen, um zu reisen – bald geht es nach Afrika. Auch Sri Lanka reizt ihn, denn einige seiner ehemaligen Bewohner stammen von dort. Klar ist: Unterbringungsmöglichkeiten hätte er zu Genüge – die Familien seiner Bekannten hätten sich schon bereit erklärt, ihn zu beherbergen.