Leichte Kunst aus schweren Wälzern
07.05.2024 Bezirk Waldenburg, Waldenburg, Kultur, Gesellschaft, BaselbietAusstellung «Welt-Geschichte» im ehemaligen Bezirksgericht
An der ersten Ausstellung im neu geschaffenen Kulturraum in den früheren Räumen des Bezirksgerichts Waldenburg beteiligten sich 60 Künstlerinnen mit Beiträgen zum Thema ...
Ausstellung «Welt-Geschichte» im ehemaligen Bezirksgericht
An der ersten Ausstellung im neu geschaffenen Kulturraum in den früheren Räumen des Bezirksgerichts Waldenburg beteiligten sich 60 Künstlerinnen mit Beiträgen zum Thema «Welt-Geschichte». An der Finissage wurden Einblicke in die Entstehung der ausgestellten Werke gewährt.
Brigitte Keller
Früher tagte im Haus an der Hauptstrasse 72 das Gericht. Aktuell wird das ehemalige Bezirksgericht umgebaut. In den Obergeschossen entstehen Wohnungen, das Erdgeschoss kann neu als Raum für kulturelle Anlässe genutzt werden. Es stehen zwei grosse Räume sowie der ehemalige Archivraum und eine Teeküche zur Verfügung. Zukünftig wird hier also höchstens noch darüber «gerichtet», ob einem die präsentierte Kunst gefällt oder nicht.
Als Erste dem Urteil der Besuchenden gestellt haben sich 60 bildende Künstlerinnen aus der Region unter dem Patronat der Schweizerischen Gesellschaft Bildender Künstlerinnen (SGBK), Sektion Basel. Sie beteiligten sich am Gruppenprojekt mit zwei Schwerpunkten. Zum einen wurde der ehemalige Archivraum, der durch den Umbau kaum tangiert wurde und wo noch die originalen Regale stehen, in ein temporäres Kunstarchiv verwandelt. Wer sich die Zeit genommen hatte, diese Kunstwerke zu zählen, konnte sich zudem an einem Wettbewerb beteiligen, bei dem als Gewinn eines der ausgestellten Werke lockte.
Blickwechsel
Für die beiden grossen Ausstellungsräume hatte sich SGBK-Präsidentin Elfi Thoma etwas Besonderes überlegt: Zwanzig Künstlerinnen sollten sich je eines Bands von «Schlossers Weltgeschichte», Ausgabe 1902, annehmen und diesen zu einem Kunstobjekt umgestalten. Die Sammelbände gehörten einmal den Grosseltern einer Nachbarin Thomas. Die Idee, die Wälzer für ein Kunstprojekt umzunutzen, habe schon länger in ihr geschlummert, sagte Thoma an der Finissage. Um in den Räumen, in denen auch Geschichte geschrieben wurde, eine neue Ära einzuläuten, sei dies genau das Richtige.
«Das ist so eine schwere Aufgabe, ich weiss nicht, ob ich das schaffe.» Solche oder ähnliche Rückmeldungen hörte Thoma nach dem Verteilen der Bände von einigen Künstlerinnen, nachdem diese angefangen hatten, in den Büchern zu lesen. Umso grösser sei jedoch danach die Befreiung gewesen, die Schwere des Inhalts in etwas Neues, Positives umzudeuten.
Die Herausforderung angenommen hat auch die Sissacherin Judith Mundwiler. Sie nahm sich gar vor, den gesamten Inhalt zu lesen. Nach rund einem Drittel hatte aber auch sie genug vom teils martialischen Wortschatz. Zu deprimierend die Erkenntnis, dass «die Worte, die ich dort las, dieselben waren, die auch heute tagtäglich in den Nachrichten vorkommen». In einem nächsten Schritt markierte sie Hunderte negativ konnotierter Worte und nahm sie symbolisch – aufgelistet – aus dem Buch heraus. Sie druckte die Worte weiss auf schwarz aus und schnitt sie einzeln aus.
Gegenpol zur Schwere
«Dem Schweren muss ich noch etwas Leichtes entgegensetzen», war sich Mundwiler alsbald im Klaren. «Ich bin ein hoffnungsvoller Mensch, ich will das Gute und Schöne zeigen», sagt sie dazu. Und so entstand als Gegenpol und zum Zeigen der Hoffnung, dass alles gut kommt, ein buntes Gebilde in hellem Grün mit pinken Blüten stellvertretend für «das Spriessen und die Freude».
Entstanden ist diese Arbeit in wochenlanger Handarbeit im Sissacher Atelier der Künstlerin. Zum Einsatz kamen dabei das synthetische Material Evolon, Aquarellfarbe, Lötkolben, Leuchtstifte, Draht und allerlei mehr. Mundwiler experimentiert seit vielen Jahren mit den unterschiedlichsten Materialien, anfänglich hauptsächlich mit Textilien, nunmehr seit vielen Jahren zur Hauptsache mit alten, neuen, gebrauchten und gesammelten Papieren. Sie nutzt die Geschichte, die den eingesetzten Papieren innewohnt, um ihre Bilder zu entwickeln und ihre Gedanken zu existenziellen Fragen an sich und die Welt zu formulieren.
Wer sich das hier beschriebene Werk und weitere Arbeiten der Künstlerin anschauen möchte, hat spätestens ab 13. November wieder Gelegenheit dazu, wenn sie im «SGBK Kunst Raum» an der Spalenvorstadt 18 während zwei Wochen ausstellen wird. Die Frage, ob sie auch ihr Atelier für Ausstellungen nutzt, verneint die Künstlerin und lacht. «Nein, dort herrscht ein kreatives Chaos. Ich arbeite ja immer an mehreren Projekten parallel. Das erlaubt mir, zwischen den einzelnen Tätigkeiten abzuwechseln, und es kommt auch zu plötzlichen Ideen von einem Projekt zugunsten eines anderen.»
Den von der SGBK zur Eröffnung des neuen Kulturraums Waldenburg gesponserten Wettbewerbspreis gewann übrigens Christian Rudin. Er wählte ein Werk der Künstlerin Marianne Maritz aus.