«Interessante Wildtiere und wertvolle Jäger»
26.07.2024 Region, Gesellschaft, Baselbiet«Interessante Wildtiere und wertvolle Jäger»
Das Baselbiet hat – wie alle anderen Kantone der Schweiz – eine Fledermauskoordinationsstelle. Im Interview spricht deren Leiterin Céline Martinez über Besonderheiten der ...
«Interessante Wildtiere und wertvolle Jäger»
Das Baselbiet hat – wie alle anderen Kantone der Schweiz – eine Fledermauskoordinationsstelle. Im Interview spricht deren Leiterin Céline Martinez über Besonderheiten der nächtlichen Insektenjäger, über Ausbruchskünstler, Flugkorridore und Mutterliebe unter Fledermäusen.
Barbara Saladin
Frau Martinez, was sind die Aufgaben einer Fledermauskoordinationsstelle?
Céline Martinez: Die Aufgaben sind unter anderem die Beratung der Bevölkerung, die Begleitung von Renovationen an Gebäuden mit Fledermausquartieren, das Führen einer Datenbank zum Fledermausvorkommen, die Ausbildung ehrenamtlicher Helfender sowie die Kooperation mit kantonalen Stellen und der schweizerischen Koordinationsstelle.
Sie sagen, Sie beraten die Bevölkerung: Können Sie mir Tipps geben, was ich machen soll, wenn sich eine Fledermaus in meine Stube verirrt hat?
Wenn die Fledermaus im Zimmer herumfliegt: Ruhe bewahren, die Türen zu anderen Räumen schliessen, das Licht ausschalten und alle Fenster im Raum öffnen, damit das Tier ins Freie fliegen kann. Einfangversuche und Herumscheuchen stressen das Tier nur unnötig und sind oft kontraproduktiv. Am besten bleibt man ruhig dabei und kontrolliert, dass die Fledermaus den Ausweg auch wirklich findet und sich nicht irgendwo verkriecht.
Und was mache ich, wenn ich eine abgestürzte Fledermaus im Garten finde?
Eine Fledermaus auf dem Boden bedeutet praktisch immer, dass sie in Not ist. Deswegen: Mit Handschuhen in eine gut verschliessbare Kartonschachtel mit etwas Haushaltspapier legen, ins Kühle stellen, das Fledermausnottelefon kontaktieren (079 330 60 60) und in die zugewiesene Pflegestelle bringen. Achtung: Die Schachtel sollte wirklich gut verschliessbar sein, denn Fledermäuse sind Ausbruchskünstler!
Fledermäuse sind ja sehr heimliche Tiere, und viele Menschen wissen nur wenig über sie. Was haben sie für Bedürfnisse?
Sie brauchen ein warmes, störungsfreies Quartier, um den Tag zu verbringen. Zudem benötigen sie strukturreiche und dunkle Verbindungskorridore in ebenfalls dunkle und insektenreiche Jagdgebiete. Und dann wären da noch hindernislose Wege in ungestörte Winterquartiere, meist Höhlen, Baumhöhlen und tiefe Mauerspalten.
Welche Fledermausarten kommen im Oberbaselbiet am häufigsten vor?
Am häufigsten ist sicherlich die Zwergfledermaus, die ihr Quartier in Ritzen an Häusern wie Rollladenkästen, Fassadenspalten oder im Zwischendach hat und in Gärten, Parks und an Waldrändern jagt. Eine Besonderheit des Oberbaselbiets sind die stark bedrohten Arten Braunes und Graues Langohr. Diese beiden Dachstock bewohnenden Arten jagen gerne in Hochstammobstgärten, die hier im schweizweiten Vergleich noch häufig zu finden sind.
Wie viele Arten gibt es im Oberbaselbiet insgesamt?
Im Oberbaselbiet sind 18 der 30 in der Schweiz vorkommenden Fledermausarten nachgewiesen.
Das klingt nach recht viel. Welche sind es denn?
Es sind die eher häufigen Arten wie die genannte Zwergfledermaus, dann die Mücken-, Rauhaut-, Weissrand- und Bartfledermaus. Aber auch das auf offene Waldflächen und Dachstöcke angewiesene Grosse Mausohr und andere bedrohte Dachstockbewohner wie das bereits erwähnte Braune und Graue Langohr kommen vor. An Höhlen und in Baumhöhlenersatzkästen wurden bereits seltene waldbewohnende Arten wie die Bechstein-, Wimperund Wasserfledermaus, Kleiner und Grosser Abendsegler entdeckt sowie das Kryptische Mausohr oder die (sehr ähnliche) Fransenfledermaus. Ganz wenige Nachweise gibt es von der vom Aussterben bedrohten Grossen Hufeisennase, der seltenen Nord- und Breitflügelfledermaus sowie der Zweifarbenfledermaus. Im Gegensatz zum Laufental scheint die Kleine Hufeisennase im Oberen Kantonsteil leider etwa seit der Mitte des letzten Jahrhunderts ausgestorben.
Was kann Fledermäusen helfen?
Wichtig wäre zum Beispiel, Quartiere nicht zu stören und bei baulichen Veränderungen Rücksicht zu nehmen – was ja auch gesetzlich so vorgegeben ist. Wenn man ein Fledermausquartier am Haus hat, kann man sich beraten lassen. Und wichtig: möglichst auf Licht und Pestizide verzichten und einen naturnahen Garten anlegen.
Bei manchen Leuten herrscht immer noch grosse Skepsis gegenüber Fledermäusen …
Es gibt sehr viel Aberglauben und Ängste, die nichts mit der Realität zu tun haben. In den Köpfen geistern immer noch Geschichten von Vampiren, in die Haare fliegenden Fledermäusen und unheimlichen Kreaturen herum. Die Corona-Pandemie hat diese Ängste teilweise wieder hervorgebracht, aber sie sind völlig unbegründet. Fledermäuse sind sehr interessante Wildtiere, die durch menschliche Veränderungen ihrer Umwelt zum Teil stark bedroht sind. Dabei sind sie sehr wertvolle Jäger von nachtaktiven Insekten und damit auch natürliche Schädlingsbekämpfer. Eine Fledermaus frisst jede Nacht rund ein Drittel ihres eigenen Körpergewichts. Da kommt einiges an Stechmücken, Apfelwickler und Co. weg!
Noch eine persönliche Frage: Wann hat die Faszination für Fledermäuse bei Ihnen angefangen?
Ich habe im Biologiestudium gesehen, dass eine Abschlussarbeit zum Thema Fledermäuse ausgeschrieben war. Dies erinnerte mich daran, wie ich selbst einmal als Kind an einem Vortrag des Fledermausforschers Dr. h.c. Jürgen Gebhard – welcher diese Abschlussarbeit auch betreute – dabei gewesen war und wie spannend ich diesen Vortrag und die oft unbekannte Lebensweise von Fledermäusen gefunden hatte.
Was ist das Sensationellste an diesen Tieren?
Oh, das ist eine schwierige Frage, denn es gibt so vieles! Es ist wohl die Kombination aus all den spannenden Besonderheiten, welche Fledermäuse für mich absolut faszinierend macht. Am meisten berührt mich aber die liebevolle und energieaufwendige Aufzucht eines Jungtieres durch die Mutter.
Zur Person
bas. Seit 2010 gibt es im Baselbiet eine kantonale Fledermauskoordinationsstelle. Angesiedelt im Ebenrain, wurde sie ins Leben gerufen, als klar wurde, dass das vorhandene ehrenamtliche Beratungsangebot in Sachen Fledermäuse nicht mehr ausreichte. Denn Fledermäuse sollen so geschützt werden, wie es gesetzlich verlangt wird.
Bereits seit ihrer Gründung wird die Koordinationsstelle von der Biologin und Biologielehrerin Céline Martinez, wohnhaft in Rodersdorf, im Nebenamt geleitet. Ehrenamtlich engagiert sich die kantonale Fledermausbeauftragte ebenfalls für die geheimnisvollen Flugkünstler: als Präsidentin des Vereins für Fledermausschutz der Region Basel, pro Chiroptera.