«Ich bin eben kein Teflon-Typ»
06.08.2024 Bezirk Sissach, Gelterkinden, GemeindenPeter Gröflin zieht nach nicht ganz vier Jahren einen Schlussstrich
Jedes Budget der letzten Amtsperiode sorgt in Gelterkinden für hitzige Diskussionen, die Zusammenarbeit im Gemeinderat verläuft nicht reibungslos: Gemeindepräsident Peter Gröflin zieht die ...
Peter Gröflin zieht nach nicht ganz vier Jahren einen Schlussstrich
Jedes Budget der letzten Amtsperiode sorgt in Gelterkinden für hitzige Diskussionen, die Zusammenarbeit im Gemeinderat verläuft nicht reibungslos: Gemeindepräsident Peter Gröflin zieht die Konsequenzen und entscheidet sich, auch aus Rücksicht auf die eigene Gesundheit, die Exekutive zu verlassen.
Jürg Gohl
«Auf den 42 Kilometern von Maloja bis S-chanf hatte ich schliesslich ausreichend Zeit zum Überlegen», sagt Peter Gröflin mit einem Augenzwinkern. Als er mit einer Gruppe von Langläuferinnen und Langläufern aus dem Baselbiet am zweiten März-Wochenende vor sieben Jahren zum Engadiner Skimarathon fährt, ermuntert ihn noch vor dem Aufbruch zum Start Martin Rüegg, der ehemalige SP-Präsident und Landrat sowie aktuelle Gelterkinder Gemeinderat, sich für die Ersatzwahl in die Exekutive zur Verfügung zu stellen. Vom Gemeindepräsidium, das in den vergangenen Jahrzehnten immer in bürgerlichen Händen war, ist dabei natürlich nicht die Rede.
Auch zuvor war ihm diese Frage bei Ersatz- oder Erneuerungswahlen wiederholt gestellt worden, und im Ziel angekommen, steht seine Antwort selbstredend noch nicht fest. Doch erstmals antwortet der Hobby-Velofahrer, -Läufer und -Langläufer nicht mit einem kategorischen Nein. Er klärt Berufliches und Familiäres ab, diskutiert und sagt schliesslich zwei Jahre später für die Kandidatur bei den Erneuerungswahlen 2020 zu. Dabei sei es ihm in erster Linie um den Dienst an der Öffentlichkeit und nie um einen politischen Karriereschritt gegangen, betont er.
Alle andern sagten nein
Als Mitglied der EVP, der Evangelischen Volkspartei, möchte er sich nicht im gängigen Links-Rechts-Schema verorten. Dass die EVP aber auf Wahlplakaten gemeinsam mit den Kandidaturen von SP und Grünen auftritt, ist ein Indiz dafür, wo sie politisch ungefähr zu verorten ist, nämlich in der damaligen linken Ratsminderheit. Bei den Erneuerungswahlen schafft es Peter Gröflin als «Neuer» mit 959 Stimmen auf den sechsten Platz im siebenköpfigen Gemeinderat.
Niemand unter den Gewählten fühlt sich aber 2020 dazu auserkoren, das Präsidentinnenamt der Freisinnigen Christine Mangold längerfristig zu übernehmen, die 24 Jahre im Gemeinderat gesessen hat, die Hälfte davon am Kopf des Tisches. Nach der Absage aller vier Bürgerlichen verzichten auch die beiden SP-Vertreter. In der Not sagt Peter Gröflin nach reiflichem Überlegen und nur einem halben Jahr Erfahrung im Gemeinderat zu, die Verantwortung zu übernehmen. Selber ging er von mindestens zwei Amtsperioden aus. Nun ist bereits nach einer Schluss. Davor hatte Stefan Degen in einem kurzen Interregnum den Rat geleitet. So konnte sich der designierte Präsident mit dem Gemeinderatsbetrieb vertraut machen. Eine kurze, im Nachhinein wohl zu kurze Schonfrist.
Auf eine harte Zeit gefasst
Dreieinhalb Jahre und neun Gemeindeversammlungen später ist er einzelne Illusionen los und um einige Erfahrungen reicher – positive wie negative. Wohl hat sich die neu formierte Exekutive vor vier Jahren entschieden, die Verantwortung innerhalb des Gemeinderats gleichmässiger auf alle sieben Schulterpaare zu verteilen. «Wir wollen das Modell Mangold nicht kopieren», wurde er bei seinem Amtsantritt in der «Volksstimme» zitiert.
«Ich wusste, dass mir eine herausfordernde Zeit bevorsteht», erzählt Gröflin, der von sich sagt, im Privaten und im Berufsleben nicht gleich die Fassung zu verlieren. «Aber», fährt er fort, «die Kritik von vielen Seiten setzte mir zu.» Sie griff auch seine Gesundheit an. Zusätzlich erschwert wurde sein Einstieg ins Präsidentenamt durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Auflagen.
Wenn an den Gemeindeversammlungen oft weniger als 2 Prozent der rund 4200 Stimmberechtigten über die Geschicke des Dorfes bestimmen und dort einzelne viel sagen und viele aber nichts, empfindet er dies für fundierte politische Entscheidungen nicht als förderlich. Und er ärgert sich über die teils ruppigen Umgangsformen. Er stellt fest, dass «wir Schweizer» immer sehr stolz auf unser Milizsystem seien. Aber wehe, ein Gemeinderat begeht einen Fehler oder dieser wird auch nur vermutet: Da werde sehr schnell mit rechtlichen Schritten gedroht.
Von Engagements beeindruckt
Zudem wurde der neue Gemeinderat für vieles verantwortlich gemacht, das noch die Vorgänger in die Wege geleitet hatte. «Zum Beispiel das Hallenbad», sagt Gröflin. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung, die am Weiterbestand des Bades für Schule und Sport interessiert war – Peter Gröflin inklusive–, sagte im September 2016 Ja zum rund 12 Millionen Franken teuren Neubau, und die überall aufgehängten Badehosen setzten die Aufbruchstimmung ins Bild. Eine umsetzbare Lösung für die hohen Betriebskosten müsse nun aber der neue Gemeinderat finden.
«Beim zurückgewiesenen Budget verhält es sich gleich», sagt der zurückgetretene Gemeindepräsident, der in seiner neuen Funktion das Departement Tiefbau behielt. Die Liste liesse sich verlängern, und das Verb «zermürben» verwendet er oft. «Ich kann schon einstecken, aber ein Teflon-Typ bin ich nicht.»
Nur hadern will er nicht. Eine Erfahrung aus den vergangenen vier Jahren hebt er besonders hervor: Obschon er bereits zuvor als interessierter Einwohner, als Mitglied in kirchlichen Gremien und mit seiner Arbeit in der Partei gut mit der lokalen Politik vertraut war, lernte er seine Gemeinde und ihre Einwohnerinnen und Einwohner noch besser kennen. Dabei wurde ihm verstärkt bewusst, wie viele Menschen sich in Vereinen und anderen Organisationen – er nennt als Beispiel die Spitex – einsetzen, um ein gutes Miteinander im Dorf zu ermöglichen.
Peter Gröflin, der sein Arbeitspensum zugunsten seines Exekutiv-Amts reduziert hat, arbeitet inzwischen wieder Vollzeit und will sich wieder mehr Zeit für seine Familie und seine Hobbys nehmen. Die Musik erhält wieder mehr Raum. «Musizieren und das Singen nehmen in unserer Familie traditionell viel Raum ein», erklärt er. Auch besucht er gerne Konzerte aller Art. Selber spielte er bis zu seiner Gemeinderatszeit in einer Brassband und davor unter anderem über Jahre bei der Blaukreuzmusik Känerkinden.
Auch will er der politisch interessierte Mensch bleiben, der er bereits vor seiner Wahl war. Sehr gerne ist Gröflin zudem in den Laufschuhen, auf dem Fahrrad und auf der Loipe unterwegs. Wettkämpfe bilden dabei die Ausnahme. «Doch zieht es mich immer wieder mal in die Garderoben, in denen es nach DUL-X riecht», hält er fest. Vielleicht reicht es ja wieder zum Engadiner Skimarathon, ohne dass er auf den 42 Kilometern wegweisende Entscheidungen treffen muss.
PETER GRÖFLIN
jg. Der 62-jährige Peter Gröflin gehörte vier Jahre lang dem Gemeinderat von Gelterkinden an. Anfang 2021 übernahm er das vakante Präsidium und entschied sich im Frühjahr, auf eine zweite Amtsperiode zu verzichten. Peter Gröflin ist Mitglied der EVP und half mit, die lokale Partei zu reaktivieren. Er vertrat die Kirchgemeinde Gelterkinden-Rickenbach-Tecknau während zehn Jahren als Synodaler in der Kantonalkirche und gehörte von 2012 bis 2016 dem Zentralvorstand der EVP Schweiz an. Als gelernter Bauingenieur arbeitet er bei einer Versicherung in der Informatik. Seine ersten Lebensjahre verbrachte er in Frenkendorf und lebt seit 1969 in Gelterkinden. Seine Eltern führten ein Männerheim, weshalb er und seine drei Schwestern schon früh als Kinder mit sozialen Themen konfrontiert wurden. Er ist verheiratet und Vater dreier erwachsener Kinder. Er betreibt Ausdauersport und geniesst englische Blasmusik, vielleicht bald wieder als Aktiver.
«Mehr Selbstbewusstsein, weniger Totengräber-Stimmung»
Herr Gröflin, was war das persönliche Glanzlicht während Ihres Präsidiums?
Peter Gröflin: Ganz eindeutig die Erneuerung und die Einweihung des Marabus, auch wenn das Projekt noch vom früheren Gesamtgemeinderat vorangetrieben wurde. Wenn ich an das Eröffnungsfest sowie an die gute Laune und die grosse Freude der vielen Interessierten denke, dann ist das schwer zu übertreffen.
Welches persönliche Ziel haben Sie verpasst?
Da kann ich kein konkretes Projekt anführen. Angetreten bin ich mit dem Vorsatz, mit dem Gemeinderat konstruktiv nach vorne zu blicken. Doch das war zu wenig möglich. Wir waren zu sehr rückwärtsgewandt und wurden zu stark von einer von aussen diktierten Agenda absorbiert.
Welche Ratschläge erteilen Sie Ihrem Nachfolger Christoph Belser?
Wir haben uns unter vier Augen bereits ausgetauscht. Ich verspreche ihm, dass ich wohl an Gemeindeversammlungen teilnehme und auch abstimme. Aber ich werde nie gegen Vorlagen des neuen Gemeinderats das Wort ergreifen.
Was wünschen Sie Ihrer Gemeinde für die Zukunft?
Gelterkinden muss sich nicht nur auf das Bewahren und die Frage, wie alles zu finanzieren sei, beschränken. Gegenwärtig nehme ich bei einigen eine Totengräber-Stimmung und viel Ablehnung wahr. Ich wünsche der Gemeinde, dass sie ihre Rolle als Zentrumsgemeinde mit Selbstbewusstsein erfüllt und diese nicht nur als Last empfindet.