Faszination Schweizergarde
03.05.2024 Baselbiet, Kirche, Gesellschaft, RegionVatikan | Was die Arbeit im Dienst des Heiligen Vaters so speziell macht
Jedes Jahr treten rund 35 Rekruten in die päpstliche Schweizergarde ein. An der diesjährigen Vereidigung, die am kommenden Montag stattfindet, ist das Baselbiet als Gastkanton dabei. Zuvor ...
Vatikan | Was die Arbeit im Dienst des Heiligen Vaters so speziell macht
Jedes Jahr treten rund 35 Rekruten in die päpstliche Schweizergarde ein. An der diesjährigen Vereidigung, die am kommenden Montag stattfindet, ist das Baselbiet als Gastkanton dabei. Zuvor blickt ein Waldenburger auf seine Gardistenzeit zurück.
Janis Erne
Nein, vergessen werde er die Zeit im Vatikan nie, sagt Lukas Eggenschwiler (31). Der Waldenburger, der heute in Singapur lebt, diente von 2015 bis 2017 in der Schweizergarde. Als 23-Jähriger trat er in das geschichtsträchtige Korps ein. Was aber macht die Faszination aus, den Papst und den Vatikan zu beschützen – notfalls mit dem eigenen Leben?
Eggenschwiler ist katholisch aufgewachsen. Die Schweizergarde geniesst in seiner Familie seit jeher hohes Ansehen. Mit einem Schmunzeln erzählt er, dass sein Vater und seine Grosseltern immer wieder einmal gewitzelt hätten, dass auch er einer für die Garde sei. Zunächst blieb es bei diesem Wunschtraum. Als Eggenschwiler während des Studiums jedoch den Wunsch nach einer Luftveränderung verspürte, bewarb er sich tatsächlich bei der Garde. «Sie bot mir auch die Gelegenheit, Italienisch zu lernen», so Eggenschwiler.
Um für die Leibgarde des Heiligen Vaters, wie der Papst in römischkatholischen Kreisen genannt wird, infrage zu kommen, musste er einige Kriterien erfüllen. Denn Gardisten können nur Schweizer im Alter von 19 bis 30 Jahren werden. Sie müssen zudem praktizierende Katholiken, männlich, ledig, mindestens 1,74 Meter gross und gesund sein. Eine Berufslehre oder Matura gehört ebenso zu den Voraussetzungen wie die Rekrutenschule der Schweizer Armee (RS). Angehende Gardisten verpflichten sich, mindestens 26 Monate Dienst zu leisten.
Diese Kriterien sind zum Teil historisch gewachsen, zum Teil religiös bedingt und zum Teil schlichtweg praktischer Natur. Stefan Wyer, Mediensprecher der Schweizergarde, sagte an einem kürzlichen Orientierungsanlass in Liestal, dass die RS die Basis für die Ausbildung der Gardisten bilde: «Dadurch haben sie bereits eine Ahnung von Hierarchie, Disziplin und Waffen, bevor sie zu uns kommen.» Die Ausbildung zum Gardisten dauert zwei Monate und erfolgt im Vatikan sowie im Tessin, in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei.
Smalltalk mit dem Papst
Frisch ausgebildete Gardisten führen in den ersten Wochen einfachen Wachdienst durch. Sie bewachen Gebäudeeingänge und stehen bei Ehrendiensten in ihrer pompösen blaugelb-roten Galauniform und mit einer Hellebarde in der Hand manchmal stundenlang still. Gardisten, die länger dabei sind, schützen die Grenzen des Kleinstaats Vatikan, kontrollieren Besuchende, sichten Überwachungsbilder im modernen Kontrollraum oder begleiten den Papst auf Auslandsreisen. Eine weniger bekannte Aufgabe der Gardisten ist es, die Kardinäle zu beschützen, wenn diese aus ihren Reihen einen neuen Papst wählen.
Lukas Eggenschwiler erzählt, dass «die Arbeit eher selten mit Action und Spannung verbunden ist». Das sei aber nicht weiter schlimm: «Der Dienst ist sehr vielseitig, insbesondere der Austausch mit Besuchenden und Mitarbeitenden des Vatikans. Als Gardist hat man auch Zugang zu zahlreichen bedeutsamen Gebäuden und sieht Kunstwerke, welche die allermeisten Menschen nie zu Gesicht bekommen.» Teil des Vatikans und seiner faszinierenden Geschichte zu sein, sei Grund genug, um dem Korps beizutreten, so Eggenschwiler.
In der langen Geschichte der Garde – sie wurde 1506 von Papst Julius II. gegründet – gab es indes auch heikle Momente. Im Jahr 1998 wurden der damalige Kommandant und seine Frau ermordet, vermutlich von einem Gardisten. Und 1981 verletzte ein türkischer Rechtsextremist Papst Paul II. bei einem Attentat auf dem Petersplatz schwer. Leibwächter der Schweizergarde warfen sich schützend auf ihn.
Um ihrem Auftrag gerecht zu werden, stehen den Gardisten, die beim Personennahschutz Anzüge tragen, nicht nur altmodische Waffen wie Degen und Hellebarde zur Verfügung, sondern auch Taser, Pfefferspray, Pistolen und Sturmgewehre. Letztere tragen sie zwar nicht auf sich, die Gewehre sind aber so gelagert, dass sie rasch eingesetzt werden können.
Offiziell gilt die Schweizergarde nicht als Armee, sondern als privater Sicherheitsdienst. Sie arbeitet eng mit der Polizei des Vatikans und anderen Sicherheitsbehörden zusammen. Im Jahr 2018 wurde ihr Bestand von 110 auf 135 Mann erhöht. Dies wegen der erhöhten Terrorgefahr, ausgehend von Islamisten, und der Entscheidung von Papst Franziskus, aus dem Apostolischen Palast auszuziehen. Franziskus, der noch immer im Amt ist, wohnt im Gasthaus des Vatikans und nutzt den Palast nur für Empfänge von Staatsgästen und besondere Audienzen. Dadurch habe sich der Aufwand für die Garde erhöht, so Mediensprecher Wyer.
Franziskus, ein 86-jähriger Argentinier, gilt als volksnaher Papst. Davon zeugen nicht nur seine Entscheidungen, aus dem luxuriösen Palast auszuziehen oder den Gardisten nach fünf Dienstjahren das Heiraten zu erlauben, sondern auch Erzählungen von Ex-Gardist Eggenschwiler. «Papst Franziskus war sehr zugänglich. Er hat mit uns jeweils ein paar Worte gewechselt und uns die Hand geschüttelt, was nicht selbstverständlich ist», so der Oberbaselbieter.
«Grösste Bewährungsprobe»
Ein Höhepunkt für jeden Gardisten ist seine Vereidigung. Diese findet alljährlich am 6. Mai statt. An diesem Tag wird auch des «Sacco di Roma» gedacht, der Plünderung Roms am 6. Mai 1527 durch deutsche, spanische und italienische Söldner. Damals starben 147 der 189 Gardisten. Die 42 Überlebenden konnten dem Papst zur Flucht verhelfen und ihn so retten. Noch heute hallt dieses tragische wie zugleich heldenhafte Ereignis nach. Stefan Wyer spricht von der «grössten Bewährungsprobe» in der Geschichte der Schweizergarde.
An der Gedenkfeier für die gefallenen Gardisten nimmt seit 2008 jeweils ein Gastkanton teil, heuer zum ersten Mal Baselland. Rund 400 Personen umfasst die Baselbieter Delegation (die «Volksstimme» berichtete). Nach Rom reisen der gesamte Regierungsrat, Landräte und Nationalräte, der Kantonsgerichtspräsident, Kirchenvertreter sowie Chorsänger und Blasmusiker. Auch Bundespräsidentin Viola Amherd, Nationalratspräsident Eric Nussbaumer und Ständeratspräsidentin Eva Herzog zählen zu den Gästen. Die Dichte an Politprominenz lässt erahnen, wie wichtig die Garde für das internationale Ansehen der Schweiz ist. Insbesondere in den USA hat sie eine grosse Fangemeinde.
Die Gardisten, die vereidigt werden, erhalten mit ihren Eltern traditionsgemäss eine kurze Audienz beim Papst. Lukas Eggenschwiler erinnert sich an seine Vereidigung, als wäre es gestern gewesen: «Es war ein toller Tag – angefangen mit den Tambouren, die einen am Morgen wecken, und abgeschlossen mit einem Essen mit Freunden und Verwandten.»
Auch dieses Jahr wird ein Baselbieter vereidigt: Carlo Frey aus Gelterkinden. Er ist der erst 26. Gardist, der aus dem Kanton Baselland stammt.
Deutlich mehr Rekruten stellten bisher das Wallis, Freiburg, Luzern oder St. Gallen.
Kameraden fürs Leben
Die meisten Gardisten leisten etwas mehr als zwei Jahre Dienst. Sie erhalten einen Monatslohn von rund 1500 Franken; Kosten für Sozialabgaben, Kost und Logis fallen dabei weitgehend weg. 70 bis 80 Prozent der Abgänger schlagen laut Wyer eine Karriere in der Sicherheitsbranche ein. Die Schweizergarde unterstützt sie dabei. So können Gardisten nach drei Dienstjahren den Fachausweis zum Sicherheitsfachmann erlangen und später zum Polizeiassistenten ausgebildet werden.
Lukas Eggenschwiler hat sich für einen anderen Weg entschieden: Er ist heute diplomierter Wirtschaftsprüfer und arbeitet als Controller bei Siemens. Missen will er die Zeit bei der Garde trotzdem nicht: Die Erlebnisse – vor allem die Auslandsaufenthalte, darunter eine Reise an die Internationale Militärwallfahrt in Lourdes oder eine Pilgerreise nach Israel und Palästina, die durch den Kulturfonds der Garde ermöglicht wurde – hätten ihn geprägt.
Wie auch die Kameradschaft unter den Gardisten, mit denen er zwei Jahre lang in der Kaserne zusammengelebt und die Freizeit verbracht hat. Noch heute treffen sie sich regelmässig. Heiratet oder stirbt ein Gardist, zollen ihm seine ehemaligen Kameraden in Uniform ihren Respekt.
Neulich traf Eggenschwiler in einer Kirche in Singapur per Zufall einen ehemaligen Gardisten. Sie kannten sich nicht, hätten aber gleich eine Verbindung zueinander gehabt und sich zum Abendessen verabredet, so Eggenschwiler. Die Garde verbindet offenbar – nicht nur im Vatikan, sondern auf der ganzen Welt.
Die «Volksstimme» wird in der Ausgabe vom Dienstag von der Gedenkfeier an den «Sacco di Roma» am Sonntag und der Vereidigung der neuen Schweizergardisten am Montag berichten.
Das Programm kann auch im Livestream verfolgt werden: www.schweizergarde.ch