«Erst das Essen, dann der Glaube»
19.12.2023 Bezirk Liestal, KircheAdrian Inniger über soziale Arbeit, die «Topfi» und seine Uniform
Diese Woche beteiligt sich die Heilsarmee Liestal an der Topfkollekte in Basel. Es wird gesungen, gesammelt, Tee verteilt und etwas Licht in die einbrechende Nacht getragen. Immer mit dabei: der rote ...
Adrian Inniger über soziale Arbeit, die «Topfi» und seine Uniform
Diese Woche beteiligt sich die Heilsarmee Liestal an der Topfkollekte in Basel. Es wird gesungen, gesammelt, Tee verteilt und etwas Licht in die einbrechende Nacht getragen. Immer mit dabei: der rote Schal und ein Lächeln.
Christian Horisberger
Herr Inniger, ich hatte erwartet, beim Treffen mit dem Leiter der Heilsarmee einem Uniformierten zu begegnen. Wo ist Ihre Uniform?
Adrian Inniger: Die hängt in meinem Schrank.
Und wann tragen Sie sie?
Während des Gottesdienstes, wenn ich Predigt-Dienst habe.
Und wenn Sie sammeln gehen?
Dann nicht. Bei der Topfkollekte trage ich eine Softshell-Jacke mit dem Heilsarmee-Logo und dazu ein rotes Halstuch als zusätzliches Erkennungsmerkmal.
Verzichtet die Heilsarmee heute bewusst auf die militärischen Attribute?
Sie passt sich der Zeit an. Die Uniform ist nicht mehr das Erkennungsmerkmal, das sie einmal gewesen ist. Früher trugen die Offiziere selbst im Büroalltag stets ihre Uniform. Heute tragen wir im Alltag Pullover oder ein T-Shirt. Unser Erkennungsmerkmal ist das rote Logo auf der Brust oder eben der rote Schal. Der Verzicht auf die Uniform während der «Topfi»-Zeit hat auch praktische Gründe: Sie gibt nicht besonders warm und man müsste sowieso eine Jacke darüber anziehen. Und wenn man in Uniform in den Zug steigt, läuft man Gefahr, mit einem Kondukteur verwechselt zu werden (lacht).
Sie haben die Topfkollekte oder «Topfi»-Zeit erwähnt – die Vorweihnachtszeit, in der die Heilsarmisten in den Städten musizieren und mit einem Spendentopf Geld sammeln. Was bedeutet Ihnen diese Zeit?
Ich mag die weihnächtliche Stimmung mit ihrem Zauber und den Lichtern. Es ist für mich auch die Zeit des Zusammenseins von Familie und Freunden und des Glaubens, in der ich mich daran erinnere, dass Jesus auf die Welt gekommen ist. Bei der «Topfi» erzählen wir von unserer Hoffnung und tragen das Licht in die früh einbrechende Nacht.
Also gehen Sie gerne hinaus an die Front?
Ja. Dabei trifft man Menschen, denen man sonst nicht begegnen würde, und es ergeben sich spannende Gespräche. Ich finde es auch schön, wenn wir Passanten auch nur ein Lächeln mit auf den Weg geben können. Oder einen unserer Teebeutel mit einem Bibelspruch darauf. Es gibt Leute, die extra wegen dieser Teebeutel zu uns an den Topf kommen …
Von heute bis Samstag werden die Liestaler Salutisten an der Topfkollekte in Basel mitwirken. In Liestal haben sie während des Weihnachtsmarkts bereits gesammelt. Wie spendenfreudig sind die Menschen in diesem Jahr?
An zwei Tagen hat es in Liestal nur geregnet, da kam nicht so viel zusammen. An den beiden weiteren Tagen bei besserem Wetter waren die Weihnachtsmarktbesucher so spendabel wie in anderen Jahren auch.
Wie wichtig ist die Topfkollekte für die Finanzen der Heilsarmee?
Das Geld, das im Topf landet, ist eine willkommene Begleiterscheinung. Im Wesentlichen finanziert sich unsere Organisation durch die Einnahmen aus der Gottesdienstkollekte und durch Spenden. Das Wichtigste an der «Topfi» ist für uns das Hinausgehen und Sichtbarmachen der Heilsarmee. Wir möchten mit unserer Präsenz Menschen erreichen, mit denen wir ansonsten nicht in Kontakt kommen.
Was erzählen Sie den Menschen über die Werte der Heilsarmee?
Mir ist wichtig zu zeigen, dass unsere Organisation für die Menschen da ist. Die Heilsarmee ist ein Ort, wo jeder Mensch, der in eine Notsituation geraten ist, schnell und unbürokratisch Hilfe bekommt. Unser Slogen lautet: «Suppe, Seife, Seelenheil». Wir geben Bedürftigen Nahrung und die Möglichkeit, sich zu waschen. Erst dann ist der Glaube an der Reihe. Unser Gründer hat einmal gesagt: Einer hungrigen Seele muss man nicht Gottes Wort predigen, sondern etwas zu Essen geben.
Ihre Kirche betreibt in Liestal ein Männerwohnheim. Aus welchen Situationen heraus kommen diese Männer zu Ihnen?
Einige von ihnen sind obdachlos, andere haben ihre Stelle verloren, sie kommen aus einer psychiatrischen Klinik oder sind vereinsamt. Entweder melden sie sich direkt bei uns oder werden von Partnerorganisationen oder vom Kanton an uns vermittelt. Unser Ziel ist es, sie wieder in den normalen Arbeitsalltag zu integrieren und sie so lange zu begleiten, bis sie wieder auf eigenen Füssen stehen können.
Welche Dienste erbringt Ihre Organisation ausserdem?
Eine Tagesstruktur, eine Passanten-Nothilfe und eine wöchentliche Lebensmittelabgabe, von der rund 30 Familien und Einzelpersonen profitieren. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Flüchtlinge. Hier arbeiten wir mit der Schweizer Tafel zusammen, welche die Lebensmittel zusammenträgt. Wir sind eine Freikirche mit starkem sozialem Fokus.
Muss man an Gott glauben, um von der Heilsarmee ein Dach über dem Kopf zu bekommen?
Nein, das ist kein Kriterium. Aber wir deklarieren gegenüber Menschen, die Interesse an unserer Unterstützung haben, klar, dass wir eine christlich motivierte Institution sind.
Die Landeskirchen verlieren laufend Mitglieder, die Freikirchen stagnieren oder legen leicht zu. Wie steht es um die Heilsarmee?
Landesweit verzeichnet sie in den vergangenen Jahrzehnten einen steten, leichten Rückgang. Wir in Liestal sind dank der Arbeit meiner Vorgänger vorübergehend stark gewachsen. Sie haben mit diversen Kinder- und Jugendangeboten Präventionsarbeit geleistet. Dadurch kamen neue Leute hinzu. Seit ungefähr fünf Jahren ist unsere Mitgliederzahl stabil. Der Sonntagsgottesdienst wird im Durchschnitt von 70 Personen besucht.
Welches sind die weiteren kirchlichen Aktivitäten?
Neben den Gottesdiensten für Erwachsene und auch für Kinder am Sonntag bieten wir ein Eltern-und-Kind-Singen an, einen Spiel-Raum, einen Teenie- und einen Jugendklub, oder es wird für ein Kinder-Musical geprobt. Am 23. Dezember veranstalten wir zudem eine interkulturelle Weihnachtsfeier, die allen offensteht.
Das alles klingt moderner und familiärer als der Name und die Uniformen vermuten lassen.
Das sind wir, auch wenn wir von vielen Menschen noch anders gesehen werden dürften.
Dann muss ich wohl auch nicht vor Ihnen salutieren, wenn ich mich nun von Ihnen verabschiede …
Nein! Ich bin ohnehin kein Offizier, sondern einfacher Salutist oder Soldat. Die Heilsarmee hat Offiziersmangel und stellt deswegen auch Leute ein, welche die Offiziersschule nicht absolviert haben, aber über eine theologische Ausbildung verfügen.
Werden Sie die Offiziersausbildung nun nachholen?
Nein. Ich bleibe Salutist.
Zur Person
ch. Adrian Inniger ist seit Mitte dieses Jahres Korps-Leiter der Heilsarmee in Liestal. Er wuchs im Berner Oberland auf, wo er sich der Jugendarbeit der Heilsarmee gewidmet hat. Nach Ausbildungen zum Bäcker/ Konditor und Zimmermann hat er am Theologischen Seminar St. Chrischona Theologie und Musik studiert. Als sich in Liestal eine personelle Lücke auftat, wurde dem 31-jährigen Theologen die Leitung angeboten und übertragen.
Als Leiter des Heilsarmeekorps Liestal ist er verantwortlich für den Betrieb der Kirchgemeinde. Sie verfügt an der Oristalstrasse über ein Kirchengebäude mit Gottesdienstsaal, Küche, diversen Neben- und Mehrzweckräumen und Büros, sowie über das angebaute Männerwohnheim «Brücke» mit neun Plätzen, das im Frühling umgebaut worden ist.