Ein Schulmeister mit scharfem Blick und weichem Herz
26.06.2025 Gesellschaft, BaselbietEin Porträt des Oberbaselbieter Lehrers und Mundartdichters Emil Schreiber (1888–1972), der mit seinen Samstagversen die öffentliche Meinung prägte und das Baselbiet mit feinem Spott und grossem Herzen durchleuchtete.
Hanspeter Gautschin
Viele ...
Ein Porträt des Oberbaselbieter Lehrers und Mundartdichters Emil Schreiber (1888–1972), der mit seinen Samstagversen die öffentliche Meinung prägte und das Baselbiet mit feinem Spott und grossem Herzen durchleuchtete.
Hanspeter Gautschin
Viele kennen ihn nicht mehr – und doch hat er Jahrzehnte lang das öffentliche Wort im Baselbiet mitgeprägt. Unter dem Pseudonym «Migger» schrieb der Arisdörfer Lehrer Emil Schreiber zwischen 1928 und 1962 über tausend sogenannte Samstagverse – bissige, witzige, zuweilen unbequeme Reime, die im «Landschäftler» erschienen und oft den Nerv der Zeit trafen. Einmal schmunzelnd, einmal scharfzüngig – immer aber mit Haltung. Seine Verse kommentierten das Geschehen, nahmen Politiker und Zeitgeist aufs Korn, berichteten aber auch mit feinem Gespür von Natur, Leben und Vergänglichkeit.
Geboren wurde Emil Schreiber am 13. April 1888 in Basel. Die Familie zog nach Rothenfluh, wo der Vater das Milchgeschäft übernahm. Der Knabe besuchte die Schule im Dorf und dann die Bezirksschule in Böckten – zu Fuss, bei jedem Wetter. Früh zeigte sich seine Freude an Sprache, aber auch sein Bewegungstalent: Im Lehrerseminar Wettingen wurde er Oberturner. 1908 schloss er die Ausbildung ab und trat mit gerade 20 Jahren seine erste Stelle in Arisdorf an. Es sollte die einzige bleiben: 45 Jahre lang prägte er als Lehrer Generationen von Schulkindern.
Doch das Klassenzimmer war nur eines seiner Wirkungsfelder. Emil Schreiber war ein Mann des öffentlichen Lebens: Dirigent von Männer-, Gemischtem und später Frauenchor, Organist, Theaterregisseur, Präsident des Lehrervereins, Verfassungsrat, Mitbegründer des Lehrergesangvereins. Bei all dem blieb er sich selbst treu – ein bodenständiger, heiterer und engagierter Mensch, der sich nie in den Vordergrund drängte und doch viel bewirkte.
Seine Gedichte zeugen von dieser Haltung. Schreiber konnte grob und spitz sein, wenn er Missstände anprangerte – etwa gegen den Faschismus oder gegen Engstirnigkeit. Aber er konnte auch feinfühlig, ja fast zärtlich dichten, wie in seinem bekannten Gedicht «Dräck». Es erzählt von einem Buben, der einem Knecht nachruft, er habe «dräckigi Schueh». Doch dieser Knecht – einer, der die Welt mit anderen Augen sah – antwortet mit einer kleinen Rede über den wahren Wert der Erde. Keine Moralpredigt, sondern eine schlichte, tiefgründige Liebeserklärung an das, was uns nährt.
Ich musste dieses Gedicht in der 4. Primarklasse auswendig lernen – und trage es bis heute im Ohr:
«… aber, was bim Ach’re n
an de Schuehne hange blybbt, das isch kei Dräck,
potz Blitz! –
’s isch es Stück vo euser
Mueter Ärde …»
Das Festspiel, das Schreiber 1939 für die Landesausstellung in Zürich verfasste, wurde viel beachtet. Auch zahlreiche Liedtexte für Chöre stammen aus seiner Feder. In seiner Doppelrolle als Schulmeister und Dichter bewahrte er das Gleichgewicht zwischen Ordnung und Freiheit, zwischen Ernst und Humor.
Am 2. Mai 1972 starb Emil Schreiber im Alter von 84 Jahren. Die Gemeinde Arisdorf ehrte ihn mit der Ehrenbürgerwürde und benannte eine Strasse nach ihm. Was bleibt, sind Erinnerungen – und Verse, die noch immer etwas zu sagen haben.
Künstler, Dichter, Macher und Visionäre
vs. In unserer Serie stellt Hanspeter Gautschin Menschen aus dem Oberbaselbiet vor, die einst prägend wirkten, heute aber fast vergessen sind. Es sind Künstlerinnen, Dichter, engagierte Macherinnen, stille Visionäre – ebenso wie Unternehmer, Tüftler und Gestalter der Industriewelt, die mit Innovationsgeist und Tatkraft die Entwicklung unserer Region vorantrieben. Persönlichkeiten, die das kulturelle, soziale, geistige oder wirtschaftliche Leben des Oberbaselbiets nachhaltig geprägt haben. Mit erzählerischem Gespür und einem feinen Blick für das Wesentliche lässt Gautschin diese Lebensgeschichten wieder aufleuchten – als Erinnerung, Inspiration und als Beitrag zur regionalen Identität.
Hanspeter Gautschin (1956) lebt in Oberdorf und blickt auf eine facettenreiche Laufbahn im Kulturbereich zurück. Als ehemaliger Impresario, Kulturförderer und Museumsleiter erzählt er mit Vorliebe Geschichten über Menschen, Kultur und das Leben im Alltag.