Ein Pionier in verschiedener Hinsicht
12.08.2025 Gesellschaft, BaselbietHeute vor 200 Jahren wurde J. J. Christen geboren, ein Vorreiter in Vermessung, Verkehr und Politik
Ein Baselbieter Leben zwischen Kantonsgründung, Landesvermessung und Eisenbahnplanung: Johann Jakob Christen (1825 – 1914) war vieles – Geometer, Regierungsrat, Offizier ...
Heute vor 200 Jahren wurde J. J. Christen geboren, ein Vorreiter in Vermessung, Verkehr und Politik
Ein Baselbieter Leben zwischen Kantonsgründung, Landesvermessung und Eisenbahnplanung: Johann Jakob Christen (1825 – 1914) war vieles – Geometer, Regierungsrat, Offizier und Fabrikant. Einer, der in verschiedensten Funktionen an der Zukunft mit baute.
Dominik Wunderlin
Vor 200 Jahren lebte und «wärchte» man in Itingen genauso wie vielerorts im Baselbiet. In diese Welt wurde Johann Jakob Christen am 12. August 1825 geboren. Doch der Sohn einer Bauernfamilie, die auch eine Beiz betrieb und den eigenen Wein verwirtete, wurde Geometer, Politiker, Offizier und Fabrikgründer.
In Christens Lebensaufzeichnung wird erkennbar, wie sich seine engere Heimat und mit ihr die Schweiz in allen Teilen änderte. Er erlebte als kleiner Bub die Trennungswirren und die Gründung des Kantons Baselland. Als junger Mann engagierte er sich bei den Freischaren und im Sonderbundskrieg, ohne jedoch in Kämpfe verwickelt zu sein. Ende der 1840er-Jahre folgte die Gründung der Schweiz als Bundesstaat, der auch fortan gelegentlich herausgefordert wurde. So 1857/58 im «Neuenburgerhandel», als man auf Befehl von General Dufour die Nordgrenze sichern und Christen in Rheinfelden den Bau von zwei Schanzen befehlen musste. Im Ernstfall hätte man dort mit veralteten Gewehren auf die Preussen geschossen.
Regierungsrat, dann Landrat
Nicht unblutig verliefen jedoch im Baselbiet die 1860er-Jahre, als die Anhänger der Ordnungspartei (Anti) und der Revisionisten (Revi) um die richtige Form der Demokratie rangen. Letztere standen unter der Führung des Lausners Christoph Rolle, der als Regierungspräsident 1865 den Lausner Bärenwirt lebensgefährlich niedergestochen hatte. Wie andere Dörfer war auch Itingen damals gespalten. Häufig war Alkohol im Spiel, wenn es zu Schlägereien und eingeworfenen Scheiben kam, so auch am Haus von Jakob Christen, der 1863 nach fünf Jahren als Regierungsrat kampflos seinen Sessel geräumt hatte. In seine Amtszeit gefallen waren einige Strassenbauten und -korrekturen und in Liestal der Kasernenbau und der Erwerb des Gitterli als Exerzierfeld. Als «Anti» hatte sein Fachwissen in der «Rolle-Regierung» nichts verloren, und eine Rückkehr in die kantonale Exekutive war danach ausgeschlossen. Als freisinniger Landrat sollte er aber 1881 für lange 28 Jahre ins Regierungsgebäude zurückkehren.
Nach dem Ausscheiden aus der Kantonsregierung betätigte er sich vor allem als Geometer, bis er sich 1867 als Verwalter der Güter und der Schappefabrik der Familie Alioth einstellen liess. Nun verschob sich der Lebensmittelpunkt an die Birs – zuerst nach Arlesheim und dann mit dem Kauf der «Schweizerau» beim Schänzli nach Muttenz, wo Christen 1878 eine Zementwarenfabrik eröffnete und dort während zwanzig Jahren auch eine Wirtschaft betrieb. Vermessungsarbeiten machte er bis fast ans Lebensende im Sommer Juni 1914.
Das Vermessen und Kartieren hatte er 1840 bis 1843 von Grund auf gelernt beim Basler Strasseninspektor Friedrich Baader und in der Technischen Schule der GGG. Bei Baader hatte der blutjunge Baselbieter Christen lange kein leichtes Leben, er wurde von ihm als «Buureknorzi» bezeichnet. Nachwehen des wohl aus Gelterkinden Stammenden? Die Gemeinde war bekanntlich in den Trennungswirren baseltreu, wie auch der «Gmeindejoggeliputsch» von 1840 noch zeigte. Oder war er frustriert, weil zukunftweisende Kartierungen des Kantons Basel mit der Trennung zum Erliegen kamen? Gestützt auf trigonometrische Vermessungen zwischen 1813 und 1824 durch den Mathematikprofessor Daniel Huber hatte nämlich die Landwirtschaftliche Kommission ab 1820 zahlreiche Gemeinden kartieren lassen.
Trotz «Buureknorzi»: Der Baselbieter Jüngling (er war bloss vierzehneinhalb Jahre alt) hatte bei ihm eine Lehrstelle gefunden. Wie auch später noch zu lesen ist, schien sich also nur wenige Jahre nach dem «Bruderkampf» das Verhältnis zwischen Stadtbaslern und Landschäftlern auf persönlicher Ebene bald zu stabilisieren.
Der in die Stadt gezogene Christen lernte schnell ein selbstständiges Arbeiten und war bis Frühjahr 1842 monatelang allein mit Vermessungen im Bann Arisdorf und mit Anfertigung der Katasterpläne beschäftigt. Auf der Basis von Professor Huber folgten Vermessungen in Langenbruck, im Waldenburgertal und in Diegten. Dabei erlebte er, dass die seinerzeit bei der Huberschen Triangulation eingerammten Pfähle oft verschwunden waren. Der in den Trennungswirren entstandene Hass auf Basel war der Grund: Die Holzpfähle trugen eingebrannte Baselstäbe!
Nach Abschluss der Lehrzeit mit gutem Zeugnis blieb er zunächst noch bei seinem Lehrmeister und befasste sich vor allem mit der topografischen Vermessung des ganzen Kantons. Laut dem alten «Historisch-Biographischen Lexikon der Schweiz» (1924) machte er die topografische Aufnahme der beiden Basel für die Dufourkarte, wobei die von Baader bereits erstellten Daten zum Kartenwerk (1:100 000) von Henri Dufour beitrugen. Christen fand neben seiner Geometertätigkeit auch Zeit, beim Stadtbauinspektor Amadeus Merian zu hospitieren. Als Architekt baute er unter anderem das Hotel Dreikönig und das «Café Spitz».
Eisenbahnzeit
Durch Christens Leben zieht sich sein grosses Interesse für die Eisenbahn. Am 15. Juni 1844 fuhr erstmals ein Dampfzug auf Schweizer Boden – die von Strassburg herkommende Elsässerbahn, die bis zur Fertigstellung des Eisenbahntors vor der Basler Stadtmauer Endstation hatte. Das Gebiet des definitiven Bahnhofs (eingeweiht am 11.Dezember 1845 auf dem Areal des heutigen Biozentrums) vermass Christen, der sich auch gleich mit der Fortsetzung der Elsässerbahn ins Innere der Schweiz und mit der Frage der Bezwingung des Hauensteins befasste.
Doch bis es hier vorwärtsgehen sollte, musste zuerst Einigkeit über Finanzierung und Eigentümerschaft des künftigen Schweizer Eisenbahnnetzes herrschen. Nach der 1852 erfolgten Gründung der Schweizer Centralbahn (SCB) in Basel, unter der Führung des aus Wintersingen stammenden Finanzmanns Johann Jakob Speiser, wurde Christen als Geometer engagiert, um unter Ingenieur Karl Etzel Vermessungen zwischen Basel, Bern und Luzern auszuführen. Nötig für eine detaillierte Planung der Bahnprojektierung waren dabei Höhenvermessungen des Geländes und darauf die Erstellung von Karten mit Höhenkurven, die bei den Dufourkarten (dort nur Schraffen) fehlten. Verantwortlich war er dann für die Planung der Untergrundarbeiten der Centralbahnlinie zwischen der Birsbrücke und Frenkendorf.
Eher unangenehm war für Christen, dass er sich bald nach der Wahl zum Itinger Gemeindepräsidenten für seine Bürger mit der Entschädigungshöhe bei den Expropriationen (Enteignungen) durch die SCB bis vor Bundesgericht herumzuschlagen hatte.
Später (1870er-Jahre) engagierte er sich bei der Jurabahn zwischen Basel und Angenstein, bei Vorstudien einer Schafmattbahn und bei Trambahnprojekten nach Muttenz und Münchenstein. Er freute sich auch, dass zwei seiner Söhne ebenfalls bei Bahnunternehmen tätig wurden, so am Gotthard, in Korsika und bei der Waldenburgerbahn. Bis zu seinem Lebensende war er stets gerne auf Schienen unterwegs, und er war vielleicht der erste Baselbieter, der 1847 mit der «Spanisch-Brötli-Bahn» zwischen Zürich und Baden unterwegs gewesen war. Und im Herbst 1858 verschob er als erster Baselbieter Kommandant seine ganze Kompagnie mit dem Zug nach Aarau und dann wieder zurück.
Mit dieser Truppenverschiebung durch den Hauenstein verband Christen seine Begeisterung für das neue Massentransportmittel mit seiner früh geweckten Begeisterung für das Militär. Aus heutiger Sicht völlig überraschend ist der Beginn seiner soldatischen Karriere, wurde er doch mit nicht einmal achtzehneinhalb Jahren von Oberst Sulzberger zum Besuch eines Kurses zum Artillerieoffizier und der anschliessenden Zentralschule in Thun eingeladen. So hatte er mit weniger als 20 Lebensjahren das Brevet eines Oberleutnants in der Tasche. Der eben erwähnte Sulzberger fand übrigens bei den köstlichen Aufzeichnungen «Meine frühsten Erlebnisse» von Carl Spitteler literarischen Niederschlag.
Eindrücklich für Christen war der erste eidgenössische Wiederholungskurs, den eine Baselbieter Kompagnie ausgerechnet in Basel verrichten musste. Denn erstmals seit der Kantonstrennung waren bewaffnete Baselbieter in der Stadt zu sehen und alles verlief ruhig. Am Schluss begleitete eine halbe Kompagnie Basler die Landschäftler durch die Stadt und bis zur Birsbrücke, wo sich die Mannschaften mit einem gegenseitigen Hoch verabschiedeten.
Mit falschem Bart …
Zu diesem Erlebnis passt auch eine frühere Episode, die zeigt, dass das Verhältnis zwischen Stadt und Land nicht lange vergiftet war: Als Folge des Verbots der städtischen Regierung, sich am 2. Freischarenzug zu beteiligen, lief der in Basel wohnhafte Christen Gefahr, von der Polizei verhaftet und bestraft zu werden. Doch Bauinspektor Merian warnte ihn. Er fand aber gleich Hilfe bei Gesinnungsgenossen um Dr. Karl Johann Brenner, den er vom Gesangsverein kannte und der später an der Bundesverfassung arbeitete und Mitbegründer der «National-Zeitung» wurde.
Mit falschem Bart wurde Christen abends ins Kleinbasel begleitet und frühmorgens von einem Wirt durch ein privates Türchen an den Rhein und bis zum Grenzacher Horn geführt. Dort fand er eine Fähre, die ihn über den Strom ins Baselbiet brachte. Gerade rechtzeitig, um Verse für den Triumphbogen zu schreiben, den man den Itinger Freischärlern, zurück aus der Gefangenschaft, errichtet hatte. Als dann in Basel die Luft rein und der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben war, kehrte er zwar in die Stadt zurück, doch ohne sich nochmals niederzulassen. An seinem dritten und letzten Wohnsitz und Tätigkeitsort in der «Schweizerau» hatte er sie aber stets vor Augen.
Was für ein Leben!
dw. Gedenkveranstaltung zu Johann Jakob Christen – Geometer – Regierungsrat – Industrieller: Wortbeiträge und Musik aus Christens Flötenbuch (1835) und von der «Streichorchestergesellschaft 1870 Arlesheim». Der Anlass findet statt in der Stadtkirche Liestal am kommenden Sonntag, 17. August, um 15 Uhr.
Sonderheft der «Baselbieter Heimatblätter» 3/2025: Lebensbild von J. J. Christen, bearbeitet von Fritz und Annerose Krey/Dominik Wunderlin. Illustriert, 56 Seiten.
Weitere Informationen sind auf der Website www.heimatblaetter.ch zu finden.