Ein blumiges Mundart-Herbarium
06.06.2024 Baselbiet, Kultur, NaturUmfassende Sammlung von Oberbaselbieter Pflanzennamen
Das neue Buch «Dittiblache und Hemmliglunggi» von einem Autorenteam um den Gelterkinder Andres Klein bietet eine lehrreiche und vergnügliche Reise durch die sprachliche und ...
Umfassende Sammlung von Oberbaselbieter Pflanzennamen
Das neue Buch «Dittiblache und Hemmliglunggi» von einem Autorenteam um den Gelterkinder Andres Klein bietet eine lehrreiche und vergnügliche Reise durch die sprachliche und botanische Vielfalt des Oberbaselbiets – ein Herbarium der besonderen Art.
David Thommen
Mit «Dittiblache und Hemmliglunggi» hat der Kantonsverlag Baselland ein neues Buch herausgegeben, das sich den Oberbaselbieter Mundartnamen der einheimischen Flora widmet. Man begegnet einer Vielzahl herrlich-heimeliger Bezeichnungen – von «Bachbùmbele» (Sumpf-Dotterblume) und «Cheeslichrutt» (Kleine Malve) über «Füürblueme» (Klatschmohn) und «Gùùfechüssi» (Feld-Witwenblume) bis zu «Wùlleblüemli» (Königskerze) und «Zitterli» (Mittleres Zittergras). Häufig handelt es sich um Namen, die kurz vor dem Vergessen stehen.
Das Buch wurde von einem Autorenteam unter der Leitung des Gelterkinder Botanikers Andres Klein verfasst. Die Vernissage lockte Ende vergangener Woche viele Interessierte und Liebhaberinnen der regionalen Pflanzenwelt und des Oberbaselbieter Dialekts in die Kantonsbibliothek nach Liestal, wo das Team Einblick in die Entstehung und den Inhalt des aufwendigen Werks gab. In einer Zeit, die vom rasantem Artensterben und dem vielleicht noch schnelleren Sprachwandel geprägt ist, wolle das Buch ein Zeichen für den Erhalt der kulturellen und natürlichen Vielfalt setzen, hiess es seitens des Autorenteams und des Kantonsverlags.
Das Nachschlagewerk entführt die Leserinnen und Leser mit mehr als 630 Mundartnamen für 170 Pflanzenarten oder Pflanzengruppen in eine Welt, in der die häufig blumige Sprache und die Natur eine enge Verbindung eingehen. Schon der Titel selbst – «Dittiblache und Hemmliglunggi» – verweist auf die lokale Bezeichnung der Pestwurz und des Buschwindröschens. Der Name «Dittiblache» kommt daher, dass Kinder ihre Puppen (Ditti) mit den grossen Blättern (Blachen) der Roten Pestwurz zudeckten.
Die zweite Pflanze im Buchtitel, das Buschwindröschen, trägt kein buntes Kleid und steht im weissen Unterleibchen da, weshalb sie «Hemmliglunggi» genannt wird. So jedenfalls wird es im neuen Buch erklärt. Als «Dittiblache» werden im Oberbaselbiet übrigens auch der Wiesen-Sauerampfer sowie der Stumpfblättrige Ampfer bezeichnet, wie man im Buch erfahren kann. Die letztgenannte Ampfer hat weitere Mundartnamen, die weit weniger spielerische Assoziationen wecken, nämlich «Blacke» oder «Blackte» – ein in der Landwirtschaft ziemlich gefürchtetes Unkraut.
Woher die Namen kommen
Wie die Mundartforscherin und Mitautorin Mirjam Kilchmann an der Vernissage erklärte, sind die mundartlichen Pflanzennamen oft auf Kinderspiele und -fantasien zurückzuführen. Beispiele wären «Chlöpfbeeri» (für Hartriegel), «Chrällelibeeri» (für Gemeines Pfaffenhütchen), «Gäldseckeli» (für Mittleres Zittergras) oder «Huetbletter» (wiederum für die Pestwurz). Ferner gehen die Mundartnamen häufig auf äussere Merkmale und Aussehen zurück («Ankeblueme») oder verweisen auf die traditionelle Verwendung als Heilpflanzen («Chrampfchrutt», «Säichblueme», «Männertröi» usw.).
Andere Bezeichnungen wiederum beziehen sich auf Nahrung («Franzoosesalaat»), Tiere («Voogelchrutt»), Handwerk («Chorbwyyde), aber beispielsweise auch aufs Brauchtum («Ooschterbletter», «Ooschterholz» und «Ooschterchrutt»). Häufig lägen den Namen auch Begriffe beispielsweise aus dem Mittelhochdeutsch zugrunde, die im Lauf der Zeit um- oder auch fehlgedeutet worden seien, so Sprachwissenschaftlerin Mirjam Kilchmann. Ihre Erklärungen an der Vernissage waren zum Teil recht überraschend: So geht das «Chrälleli» für eine Schmuckkette nicht etwa auf Bärenkrallen oder andere Krallen zurück, die man sich früher als Amulett um den Hals hängte, sondern das «Chrälleli» oder die «Chralle» basiert auf dem Wort Koralle.
Jeder einzelnen Pflanze ist in dem 23 × 25 Zentimeter grossen Buch jeweils eine ganze Seite gewidmet. Neben dem lateinischen und dem offiziellen deutschen Namen werden in der Folge alle bekannten Mundartnamen aufgeführt und erklärt. Dazu gibt es immer ein kurzes Pflanzenporträt sowie einen Absatz darüber, wie die Pflanze verwendet wird – oder wurde. Und schliesslich gibt es unter der Überschrift «Das auch noch» eine kurze Anekdote oder weiteres Wissenswertes zu jeder Pflanze. Nur bei einer einzigen Art hat eine Seite nicht gereicht – beim Löwenzahn, der im Oberbaselbiet am meisten verschiedene Mundartnamen aufweist, nämlich gleich 15. Dies weist auf die besondere Bedeutung und die vielfältigen Assoziationen hin, welche die Menschen mit dieser häufigen Pflanze haben.
Lustig ist etwa die Bezeichnung «Pfafferöörli». Offensichtlich fühlte sich jemand an die Tonsur von katholischen Geistlichen erinnert, nachdem nach kräftigem Pusten der kahle Fruchtboden zum Vorschein gekommen war (siehe Kasten). Das «Pfaffenröhrli» war im Baselbiet einst vor allem in Liestal gebräuchlich, wie eine 1945 in den «Baselbieter Heimatblättern» publizierte Erhebung über mundartliche Pflanzennamen nahelegt. Für diese Sammlung – sie war eine der Quellen für das neue Buch – wurden einst Lehrer befragt, die darüber Auskunft gaben, welche Pflanzennamen in ihrer Gemeinde verwendet werden.
Am neuen Buch mitgewirkt haben neben Andres Klein – er ist unseren Leserinnen und Lesern als Verfasser der Kolumne «Ahnig vo Botanik» bestens bekannt – und Mirjam Kilchmann, dann Biologin Susanne Kaufmann-Strübin (Liestal), die für die botanisch korrekten und dennoch leicht verständlichen Pflanzenporträts zuständig war, sowie der Anwiler Fotograf Beat Schaffner, der den «Volksstimme»-Leserinnen und -Lesern durch seine Naturbilder ebenfalls ein Begriff ist.
Nur aus dem Oberbaselbiet
Besonders die Mundartnamen-Recherche nahm einen grossen Teil der Forschungsarbeit ein. Klein erläuterte an der Vernissage die Vorgehensweise bei der Erfassung und Erklärung der Namen, die oft tief in der lokalen Tradition und Sprache verwurzelt sind. Vorab ist auf schriftliche Quellen – alte Verzeichnisse, Heimatkunden usw. – zurückgegriffen worden. Es wurden nur lokale Mundartbezeichnungen verwendet, die aus Gründen der Überprüfbarkeit innerhalb der vergangenen 80 Jahre noch gebräuchlich waren. Ziel war es laut dem Autorenteam, die Wörter so zu schreiben, wie sie gesprochen werden – ohne Rücksicht auf das hochdeutsche Schriftbild. Und wichtig: Aufgeführt sind ausschliesslich Pflanzennamen, die in den Bezirken Liestal, Sissach und Waldenburg verwendet werden oder wurden. Im Oberbaselbiet sei die Quellenlage deutlich besser als in den Bezirken Arlesheim und Laufen, sagte Klein. Zudem wurden nur Wildpflanzen ausgewählt, die mindestens einen tatsächlich eingeständigen Mundartnamen aufweisen und an mehr als nur drei Stellen im Kanton vorkommen. Kulturpflanzen habe man ausgeklammert, da dies sonst den Rahmen gesprengt hätte, wie Klein weiter erläuterte.
Mit seinen 236 Seiten ist das anspruchsvoll gestaltete und gedruckte Hardcover-Buch, versehen mit gelungenen Fotos der Pflanzen an ihren natürlichen Standorten, nicht nur ein wissenschaftliches Werk, sondern auch ein ästhetisches Vergnügen für Pflanzenliebhaber und Mundartinteressierte. Es lädt dazu ein, die vielfältige Pflanzenwelt des Oberbaselbiets neu zu entdecken und in die reiche hiesige sprachliche Tradition einzutauchen.
Anspruch auf Vollständigkeit bei den Pflanzennamen erhebt das Autorenteam ausdrücklich nicht. Lokal möge es eine Vielzahl weiterer Mundartausdrücke geben, sagte Klein und rief dazu auf, ihm weitere Pflanzennamen zu melden – vielleicht für eine zweite Auflage des Buchs.
Namen für den Löwenzahn
vs. Keine andere Blume hat im Oberbaselbiet mehr Namen als der Löwenzahn. Hier die Bezeichnungen und die Erklärungen aus dem neuen Buch «Dittiblache und Hemmliglunggi»:
Chetteneblueme: Kinder steckten beim Spiel die Stängel des Löwenzahns ineinander und machten damit Halsketten oder lange Leitungen.
Chettenestuude: siehe Chetteneblueme.
Franzoosesalaat: Mit den ersten Gastarbeitern um 1900 kam auch der unter der Bodenoberfläche gezogene, gelbblättrige Löwenzahn auf die Märkte. Da viele Elsässerfrauen als Gemüsehändlerinnen arbeiteten, bekam die Pflanze einen weiteren Namen.
Liechtli: Die feinen weissen Pappushaare lassen sich mit einem Liechtli (Kerze) vergleichen, das ausgeblasen werden kann.
Milchstängel: Beim Pflücken fliesst aus dem Stängel des Löwenzahns ein milchiger Saft.
Moorestuude: Die Pflanze wurde als Schweinefutter verwendet. Das weibliche, unkastrierte Schwein heisst Moore.
Moorewùùrzle: Neben den oberirdischen Pflanzenteilen wurde auch die Wurzel an die Schweine verfüttert.
Pfafferöörli: Der Blütenschaft ist röhrenförmig und der kahle Fruchtboden mit den getrockneten Hochblättern wird mit einer Tonsur verglichen, wie sie die katholischen Geistlichen trugen.
Säichblueme: Die Pflanze gilt in der Volksmedizin als harntreibend und körperreinigend.
Söiblueme: Der Name könnte wie Moorewùùrzle von der Verwendung als Schweinefutter herrühren. Da «Söi-» ein abwertender Zusatz ist, könnte mit Söiblueme auch die gar gewöhnliche, unkrautartige Pflanze mit ihrem klebrigen Milchsaft, der die Kleider beschmutzt, bezeichnet worden sein.
Sùnnewiirpel: Der Name geht zurück auf sunnewirbila (Althochdeutsch). Die Blütenköpfe drehen sich im Tagesverlauf in einer kreisenden Bewegung nach der Sonne.
Weiefäcke: Die Form des Blattes, das unregelmässig eingeschnitten ist, erinnert an die tief gefingerten Handschwingen (schweizerdeutsch Fäcke, Fäckte) des Gabelweis (Rotmilan).
Weiefäckte: siehe Weiefäcke
Weierfäckte: Der erste Wortteil wurde zu Weier (Weiher) umgeformt, da die Bedeutung von Weie- nicht mehr verstanden wurde.
Weieschwanz: Die Form des Blattes, das unregelmässig eingeschnitten ist, erinnert an den gegabelten Schwanz des Gabelweis (Rotmilan).