«Differenziert informieren wird schwieriger»
11.02.2025 Baselbiet, Gesellschaft, Gemeinden, AbstimmungenSie sei überrascht worden von der knappen Ablehnung der Mindestlohninitiative, sagt die Direktorin des Arbeitgeberverbands. Der Präsident der SP versteht das Resultat seinerseits als Signal, die Bemühungen um einen gesetzlichen Mindestlohn weiterzuführen.
...Sie sei überrascht worden von der knappen Ablehnung der Mindestlohninitiative, sagt die Direktorin des Arbeitgeberverbands. Der Präsident der SP versteht das Resultat seinerseits als Signal, die Bemühungen um einen gesetzlichen Mindestlohn weiterzuführen.
Peter Sennhauser
«Klares Signal!», betitelt zwar der Arbeitgeberverband Region Basel sein Communiqué zur Ablehnung des Mindestlohns im Baselbiet. Dabei ist das äusserst knappe Resultat von 1,45 Prozent Unterschied eher ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Arbeitgeber selber: Offensichtlich ist die hiesige Stimmbevölkerung keineswegs «klar» der Ansicht, dass ein gesetzlicher Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde ihren Interessen schadet.
Das «Signal» in der Überschrift sei als eines an die Schweiz zu verstehen, korrigiert Saskia Schenker, Direktorin des Arbeitgeberverbands Region Basel, auf Anfrage der «Volksstimme». «Mit dem Nein in Solothurn und Baselland wird deutlich, dass der erfolgreiche liberale Schweizer Arbeitsmarkt nicht weiter zu einem Flickenteppich mit Insellösungen umfunktioniert wird. Diese Gefahr hat bestanden.»
Dass das Resultat auf lokaler Ebene aber nicht ihren Erwartungen entspricht, daraus macht Schenker keinen Hehl. Sie habe mit einer sehr viel deutlicheren Ablehnung gerechnet: Schliesslich seien Regierung und Landrat und ein Grossteil der Parteien gegen die Initiative eingestanden. «Wir hatten eine Regierungsvorlage, die klar aufzeigte, in welchen Bereichen die Initiative der gesamten, mehrschichtigen Arbeitsmarkt-Strategie der Regierung, von der Berufsbildung bis hin zu Wiedereingliederung, widerspricht.» Dabei wolle sie nicht beschönigen, dass es der Gegnerschaft nicht genug gelungen sei, verständlich zu machen, warum und in welchen Punkten der Mindestlohnvorschlag alles andere als sozial gewesen wäre. Diese Diskussion müsse man weiter führen – «aber es ist ja nicht so, dass wir das nicht stetig tun würden.»
SP: «Gibt uns Rückenwind»
«Uns gibt dieses Resultat trotz Ablehnung Rückenwind», sagt dagegen Nils Jocher, Präsident der Baselbieter SP. «Ich interpretiere es als Auftrag, am Thema ‹gerechte Löhne› dran zu bleiben. Die Arbeitgeber müssten das eigentlich als klares Zeichen dafür interpretieren, dass sie jetzt stärker in der Pflicht sind.» Jocher will das Lohnthema zwar weiter bearbeiten, aber «es ist nicht gerade ein Traktandum für morgen». Regierung und Parlament seien gegen die Initiative gewesen, so gesehen sei ein nächster Anlauf am ehesten nach den Wahlen 2027 wieder denkbar. «Es müssen ja nicht wieder zehn Jahre ins Land ziehen wie nach der letzten Abstimmung. Aber seit damals spüren die Menschen inzwischen den Druck offensichtlich stärker», sagt er und verweist auf den Anstieg der Ja-Stimmen von 23 auf 48,5 Prozent.
Damals stimmte keine einzige Gemeinde dem Anliegen zu. Jetzt gab es im Gegensatz dazu Ja-Mehrheiten in 17 Gemeinden, darunter fast der ganze «Speckgürtel» um die Stadt Basel, über die Hülftenschanz das Ergolztal hinauf und mit Unterbruch bis nach Gelterkinden. Neben den Ausreissern Buckten, Anwil und Ziefen stimmten auch drei Laufentaler Gemeinden deutlich zu.
Baustelle Kommunikation
Dass die Nähe zu Basel-Stadt, dem einzigen Kanton mit einem Mindestlohngesetz, Auswirkungen zeige, damit sei zu rechnen gewesen, sagt Saskia Schenker. Dass aber auch im traditionell bürgerlichen Oberbaselbiet nur eine dünne Mehrheit erreicht werden konnte, erklärt sie sich mit der Mehrschichtigkeit einer auf den ersten Blick einfachen Vorlage. «Es wird zusehends schwieriger, differenzierte Argumente zu vermitteln. Vor allem, wenn die Gegenseite mit einfachen Schlagwörtern wie ‹gerechte Löhne› operieren kann. Wer kann da schon dagegen sein?» Spätestens in der Abstimmung über die 13. AHV-Rente habe sich eine grundlegende Verschiebung des Abstimmungsverhaltens manifestiert; in der neuen Welt von 10-Sekunden-Soundbytes und 20-Zeichen-Slogans gingen kompliziertere Sachverhalte schnell unter. Handlungsbedarf sieht Schenker weniger in der Mindestlohnfrage als generell in der demokratischen Kommunikation. «Parteien und Verbände müssen sich mehr damit auseinandersetzen, in welchen Kanälen und mit welchen Mitteln sie noch komplexe Zusammenhänge wirksam erklären können.»