Die erste Stimme der Frauenbewegung
03.06.2025 Baselbiet, Gesellschaft, Kultur, BaselbietElisabeth Thommen – Feministin, Journalistin und Pionierin des Radios
Ein Porträt der Waldenburgerin Elisabeth Thommen (1888– 1960), die als erste feministische Stimme in der Schweizer Tagespresse galt, für das Frauenstimmrecht kämpfte und als Radiopublizistin ...
Elisabeth Thommen – Feministin, Journalistin und Pionierin des Radios
Ein Porträt der Waldenburgerin Elisabeth Thommen (1888– 1960), die als erste feministische Stimme in der Schweizer Tagespresse galt, für das Frauenstimmrecht kämpfte und als Radiopublizistin zur Stimme vieler Schweizer Frauen wurde.
Hanspeter Gautschin
Geboren wurde sie am 10. April 1888 in Waldenburg, als Tochter des Unternehmers Hermann Thommen und der Anna Tanner. Ihr Vater, Leiter der Uhrenfabrik Thommen, starb früh an einer Lungenentzündung – da war Elisabeth gerade zwei Jahre alt. Aufgewachsen ist sie daraufhin in einem reinen Frauenhaushalt mit ihrer Mutter und der ledigen Tante Martha Tanner, einer Lehrerin. Diese Konstellation, wie sie später schrieb, habe sie früh mit den grossen Fragen des Frauseins konfrontiert.
Nach der Schulzeit in Basel und Liestal wurde Elisabeth Thommen Kindergärtnerin. 1912 heiratete sie den Liestaler Juristen Albert Wirth. Bald aber spürte sie, dass ihr die Rolle als Ehefrau in einem kinderlosen, bürgerlichen Haushalt nicht ausreichte. Während des Ersten Weltkriegs sprang sie kurzerhand für den Redaktor des «Landschäftlers» ein – und entdeckte dabei die Kraft des öffentlichen Wortes. Doch kaum war der Krieg vorbei, war sie als Frau wieder entlassen.
Kämpferische Feder
Im Jahr 1919 erschien ihr erster Erzählband «Das Tannenbäumchen», und im selben Jahr übernahm sie die Chefredaktion des «Schweizer Frauenblatts», das sie mit klarem Blick und kämpferischer Feder führte. Ihre Heirat mit dem sozialistischen Schriftsteller Jakob Bührer im Jahr 1921 bedeutete für sie sowohl eine neue intellektuelle Partnerschaft wie auch die Übernahme der Rolle als Stiefmutter zweier Töchter.
Elisabeth Thommen schrieb mutig, klar und oft provokativ – etwa in ihrer Analyse der damaligen Gesellschaftsordnung:
«Der heutige Staat – das ist eigentlich eine Minderheit! – die Männer! – die über eine Mehrheit – die Frauen! – regiert.»
In den 1920er- und 1930er-Jahren war sie publizistisch sehr präsent: als Redaktorin der «Saffa»- Zeitung, Autorin der «National-Zeitung», Herausgeberin der wöchentlichen Seite «Von der Frau und ihrer Arbeit». Themen wie Frauenstimmrecht, Hausfrauenlohn, Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft, Schwangerschaftsabbruch oder Gleichstellung in Politik und Medien durchziehen ihr Werk – mit frappierender Modernität.
Sie war unbequem – auch für viele Frauen. Ihre Beiträge waren ironisch, analytisch und oft ihrer Zeit weit voraus. In der Schweiz war sie eine der wenigen, die offen gegen den Faschismus Stellung bezogen und die offiziellen Frauenbilder der 1930er-Jahre konsequent hinterfragten.
«Von Frau zu Frau»
Ab 1938 wurde sie zur Leiterin der «Frauenstunden» bei Radio Beromünster. Dort entwickelte sie neue Sendeformate, initiierte die beachtliche Wohlfahrtsaktion «Von Frau zu Frau» und kämpfte für mehr Frauenstimmen in den Programmkommissionen. Während sie in der Nachkriegszeit zur beliebten Rundfunkstimme wurde, verlor ihre feministische Kritik an Schärfe – auch, weil ihr die Kräfte schwanden.
Als sie 1960 starb, hob man in allen Nachrufen ihre «Mütterlichkeit» hervor – und vergass dabei viel von dem, wofür sie ein Leben lang gekämpft hatte: für Sichtbarkeit, Mitbestimmung und sprachliche Klarheit. In einem späten Rückblick notierte sie ernüchtert:
«Da hatte ich mein ganzes Leben lang Gedichte und Erzählungen, vielleicht sogar Romane schreiben wollen. Und was liegt nun vor mir? Stösse von Zeitungsartikeln. Frauen, Frauen, Frauen – alles von und über Frauen.»
Elisabeth Thommen war nicht einfach Journalistin oder Redaktorin – sie war eine Stimme. Eine der ersten, die für Schweizer Frauen öffentlich sprachen – und eine, die gehört werden sollte.
Künstler, Dichter, Macher und Visionäre
vs. In unserer Serie stellt Hanspeter Gautschin Menschen aus dem Oberbaselbiet vor, die einst prägend wirkten, heute aber fast vergessen sind. Es sind Künstlerinnen, Dichter, engagierte Macherinnen, stille Visionäre – ebenso wie Unternehmer, Tüftler und Gestalter der Industriewelt, die mit Innovationsgeist und Tatkraft die Entwicklung unserer Region vorantrieben. Persönlichkeiten, die das kulturelle, soziale, geistige oder wirtschaftliche Leben des Oberbaselbiets nachhaltig geprägt haben. Mit erzählerischem Gespür und einem feinen Blick für das Wesentliche lässt Gautschin diese Lebensgeschichten wieder aufleuchten – als Erinnerung, Inspiration und als Beitrag zur regionalen Identität.
Hanspeter Gautschin (1956) lebt in Oberdorf und blickt auf eine facettenreiche Laufbahn im Kulturbereich zurück. Als ehemaliger Impresario, Kulturförderer und Museumsleiter erzählt er mit Vorliebe Geschichten über Menschen, Kultur und das Leben im Alltag.