Die «Barriere» schliesst endgültig
17.05.2024 Bezirk Sissach, RickenbachKarl und Denise Gassler servieren die letzten Burger und Bängeli
Nach fast fünf Jahrzehnten unter der Leitung von Denise und Karl Gassler schliesst das Restaurant Barriere Ende Mai. War das Rickenbacher Lokal einst im Fokus von Drogenfahndern, ist es heute von Familien als ...
Karl und Denise Gassler servieren die letzten Burger und Bängeli
Nach fast fünf Jahrzehnten unter der Leitung von Denise und Karl Gassler schliesst das Restaurant Barriere Ende Mai. War das Rickenbacher Lokal einst im Fokus von Drogenfahndern, ist es heute von Familien als Speiselokal geschätzt. Der Barriere-Burger ist eine Legende – wie auch sein Schöpfer «Kari».
Christian Horisberger
Karl – «Kari» – Gassler hat in seinen bisher 88 Lebensjahren einiges geleistet. Als gelernter Ofenbauer und Plattenleger führte er schon mit Mitte 20 ein eigenes Geschäft in Olten. In Rickenbach, wohin es ihn vor einem halben Jahrhundert verschlug, kaufte er den Gasthof zur Post, wurde Vermieter und Gemeinderat und die Freie Männerriege Rickenbach, die er ebenso mitgründete wie die Fasnachtsgesellschaft, machte ihn längst zum Ehrenpräsidenten. Über die Gemeindegrenze hinaus kannte und kennt man «Kari» aber als Wirt der «Barriere», dem früheren «Pöschtli».
Nachdem Kari Gassler 1977 den Gasthof Post samt Bar übernommen hat, hatte der Betrieb nicht den besten Ruf: «Ich musste mich mit Hasch und Heavy-Metal-‹Schyssdräck› herumschlagen und wegen der unter 18-Jährigen, die sich in die Bar schlichen, war das Nachtlokal als ‹Nuggi-Puff› verschrien», sagt er rückblickend. Wegen der Drogen hätten damals Polizisten in Zivil unter seinem Dach ermittelt. Das ist noch nicht alles: In den wilden Zeiten des «Pöschtli» seien öfter Biergläser zu Bruch gegangen und es habe handfeste Auseinandersetzungen gegeben.
Kämpfer
Wild und verrucht ist in der heutigen «Barriere» nichts mehr. Im ausgebauten Gewölbekeller befinden sich eine kleine Küche, eine Bar mit einigen Hockern und im Gastraum stehen etwa zehn Tische; darauf Behälter mit in Servietten eingewickeltem Besteck. «Wir sind ein Speiserestaurant für die ganze Familie, für die Kinder haben wir eine Spielecke», sagt Kari, «manche Gäste von damals kehren heute wieder bei uns ein – zusammen mit ihren Grosskindern.»
Und Gassler? Ist er auch durch und durch im Entspannungsmodus? Oder ist da noch etwas von diesem Kampfgeist, mit dem er trotz Widerstand aus dem Dorf das «Pöschtli» in «Barriere» umbenannte, die Bewilligung für längere Öffnungszeiten erwirkte und renitenten Gästen die Stirn bot? «Ich sage heute noch jedem ins Gesicht, was ich denke, auch wenn ich damit anecke», sagt er. Er habe sich mit dieser Einstellung über die Jahre mehr Freunde als Feinde gemacht. Vielleicht hält ihn ja auch das so fit: Kari ist im Gespräch mit der «Volksstimme» hellwach und schlagfertig und auch körperlich für einen fast 90-Jährigen in ausgezeichneter Verfassung. «Meine einzige Krankheit ist, dass ich immer ein wenig Durst habe», scherzt er.
Macher
Der Dialekt entlarvt Karl Gassler als nicht «Eingeborenen». In Koblenz, im Aargauer Bezirk Zurzach, wuchs er auf und geschäftete später in Olten erfolgreich als selbstständiger Ofenbauer und Plattenleger mit bis zu 20 Angestellten. Die harte Arbeit hat an ihm gezehrt und mit 40 Jahren machte er einen Schnitt. Da er gerne kochte, wollte er sich in der Gastronomie versuchen. Ein Immobilienvermittler zeigte ihm unter anderem eine Liegenschaft mit Restaurant, Bar, Gästezimmern und grossem Umschwung im Oberbaselbiet: den Gasthof Post in Rickenbach. Als Mann vom Bau erkannte er, dass das Dach zwar sehr schlecht «zwäg» war, der Dachstuhl aber in ausgezeichnetem Zustand ist. Es kam zum Handschlag.
Der Quereinsteiger hatte als Wirt keinen leichten Start. Die Bar im Keller brummte zwar, doch gab es öfter Probleme mit Gästen. Das Restaurant dagegen kam nie richtig auf Touren. Nachdem weder zwei Pächter noch er und seine Frau Denise den Gasthof rentabel betreiben konnten, schlossen sie ihn 1985. Es blieb die Kellerbar, die Gassler aufwendig umbaute und 1988 als «Dancing Bar Barriere» wiedereröffnete. Als eine Art «Wirtshausschild» stellte er an der Einfahrt zum Grundstück eine ausrangierte Eisenbahn-Barriere auf, die er in einer SBB-Werkstätte beschafft hatte. Der neue Name wie auch der Verzicht auf DJs sollten im Lokal eine neue Ära einläuten – ohne Drogen und Ärger.
Längst nicht alle im Dorf hatten Freude an der Bahnschranke und am neuen Namen. Auch gegen die Bewilligung fürs Wirten bis um 2 Uhr nachts gab es Widerstand – nicht zuletzt auch vom Gemeinderatstisch. Doch der Beizer setzte sich damit an der Gemeindeversammlung und später auch in einer Referendumsabstimmung durch. Ab 1989 galt das Freinacht-Patent. Bemerkenswertes Detail: Als über die Bewilligung abgestimmt wurde, sass Kari neu im Gemeinderat. Als Mitglied der «IG für eine vernünftige Farbgestaltung der Mehrzweckhalle», die sich gegen einen gewagten Anstrich des Gebäudes gewehrt hatte, wurde er ohne zu kandidieren in einem zweiten Wahlgang in die Exekutive gewählt, nahm die Wahl an und absolvierte zwei volle Amtsperioden.
Tüftler
In der neuen Küche des Nachtlokals bereitete der Hobbykoch und Saucentüftler alsdann unter anderem das von ihm kreierte «Barriere»-Schnitzelbrot zu: zwei Schweinsnierstückplätzli mit Zwiebeln, Gurke und selber gemachter Kräuterbutter im knusprigen Baguette. Dieser Snack, ebenso die «Bängeli» und der «Chnebel» sollten weitherum bekannt werden, denn unter den Nachtschwärmern der Region machte rasch die Runde, dass es in der «Barriere» auch noch etwas zu beissen gibt, wenn überall sonst die Küche längst geschlossen ist.
Mit der Unterstützung seiner Frau Denise und dem «Bomben-Personal» – acht bis zehn Frauen aus Rickenbach und Umgebung – führte Karl Gassler das freitags bis sonntags geöffnete Lokal weit übers Pensionsalter hinaus. Mit 75 Jahren gab er die Leitung an seine deutlich jüngere Ehefrau ab, sie sei mit Leib und Seele die ideale Wirtin, sagt ihr Ehemann. Bis heute bereitet er seine Spezialsaucen und das Fleisch vor und hilft überall dort aus, wo Not am Mann ist.
Legende
In einem Zeitungsinserat haben die Gasslers Anfang Monat bekannt gemacht, dass sie ihr Lokal Ende Monat schliessen werden. Mit seinen nun 88 Jahren fällt es Karl Gassler nicht besonders schwer, sich zurückzuziehen. Nach so vielen Jahren habe er «es gesehen», sagt er. Seine Frau sehe es da anders: «Denise würde trotz ihrer 65 Jahre liebend gerne weitermachen, aber ihre Gesundheit lässt das leider nicht zu.» Die Kinder wollen die Beiz nicht übernehmen und ein Verpachten kommt für die Gasslers nicht infrage, nachdem sie ein gescheiterter Pächter des damaligen Gasthofs Post um eine fünfstellige Summe gebracht hat: «Diesen Fehler machen wir kein zweites Mal.» Wer Karl Gassler kennt, weiss, dass es dabei bleiben wird. Denn auf das Wort des manchmal etwas kratzbürstigen und polternden «Kari» sei Verlass, heisst es im Dorf.
Vom offiziellen Rickenbach erhalten Karl und Denise Gassler zum Abschied den Ritterschlag: In der Mai-Ausgabe des Rickenbacher Gemeindeblatts würdigt der Gemeinderat das Lokal als regionale Institution und den 88-Jährigen als eine Dorf-Legende. Das muss man sich zuerst verdienen.