Der stille Architekt der Olympischen Bewegung
31.07.2025 Gesellschaft, Kultur, BaselbietGodefroy de Blonay – ein Vordenker des Weltsports aus Füllinsdorf
Er gehörte zu den Mitbegründern der modernen Olympischen Bewegung, war der erste Schweizer im Internationalen Olympischen Komitee und leitete dieses in der schwierigen Kriegszeit: Godefroy de Blonay, ...
Godefroy de Blonay – ein Vordenker des Weltsports aus Füllinsdorf
Er gehörte zu den Mitbegründern der modernen Olympischen Bewegung, war der erste Schweizer im Internationalen Olympischen Komitee und leitete dieses in der schwierigen Kriegszeit: Godefroy de Blonay, geboren in Füllinsdorf.
Hanspeter Gautschin
Er war kein Mann der grossen Worte, sondern ein diskreter Stratege. Geboren am 25. Juli 1869 in Niederschönthal, Gemeinde Füllinsdorf, zählt Godefroy de Blonay zu den prägenden Figuren der frühen Olympischen Bewegung. Als erster Schweizer im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und enger Wegbegleiter des französischen Olympiabegründers Pierre de Coubertin wirkte er über Jahrzehnte hinweg im Hintergrund an den Strukturen des Weltsports mit. Sein diplomatisches Geschick trug entscheidend dazu bei, dass die olympische Idee selbst während des Ersten Weltkriegs nicht erlosch.
De Blonay stammte aus einem alten Waadtländer Adelsgeschlecht. Sein Vater war Bankier, die Familie residierte zeitweise auf Schloss Grandson (VD). Nach dem Gymnasium studierte er Rechtswissenschaften und Orientalistik, unter anderem in Paris. Sein Interesse galt vor allem der altindischen und buddhistischen Mythologie. 1895 veröffentlichte er eine Abhandlung über die buddhistische Göttin Târâ – ein frühes Werk der vergleichenden Religionswissenschaft. Nach Aufenthalten in Ägypten, Indien und Frankreich liess er sich in der Schweiz nieder und lebte als Privatgelehrter. Doch seine eigentliche Wirkung entfaltete sich auf einem anderen Feld.
Interimistische Leitung
1899 wurde de Blonay als erster Schweizer ins IOC berufen – auf Empfehlung von Pierre de Coubertin. Das IOC war damals noch jung, aber auf dem Weg, zur weltweiten Instanz des Sports zu werden. De Blonay war kein Athlet, sondern ein Netzwerker, Verhandler, Strukturmensch. Seine Aufgabe: die olympische Idee in neue Länder zu tragen – auch in die Schweiz, wo Sportförderung noch in den Anfängen steckte. 1912 gründete er den Schweizerischen Olympischen Verband und wurde dessen erster Präsident. Zwei Jahre spä- ter, beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs, zog sich Coubertin zurück – de Blonay übernahm interimistisch die Leitung des IOC. Mit Umsicht hielt er die Verbindung zu den nationalen Komitees aufrecht und bewahrte die olympische Bewegung durch die Kriegsjahre hindurch.
1921 wurde de Blonay erster Präsident des neu geschaffenen Exekutivrats des IOC – ein operatives Gremium, das er massgeblich mitgestaltete. Diese Struktur besteht bis heute. Auch wenn er 1925 bei der Wahl zum IOC-Präsidenten unterlag – man warf ihm übermässigen Einfluss vor – blieb er dem Komitee treu. Bis zu seinem Tod 1937 wirkte er als Vizepräsident. Seine Rolle war die eines Architekten, nicht eines Redners. Während andere den Glanz der Spiele genossen, arbeitete de Blonay im Hintergrund – mit Beharrlichkeit, diplomatischem Feingefühl und einem tiefen Verständnis für kulturelle Unterschiede.
Privat lebte Godefroy de Blonay zurückgezogen. 1901 heiratete er Elisabeth Sophie de Salis, mit der er vier Kinder hatte. Die Familie lebte in Neuenburg und Lausanne. Er hielt keine Reden, gab keine Interviews und trat selten öffentlich auf. Umso erstaunlicher, wie gross sein Einfluss innerhalb des IOC war. Er starb am 14. Februar 1937 während eines Aufenthalts im algerischen Biskra – fernab der Öffentlichkeit, wie es zu ihm passte.
Heute erinnert in seinem Geburtsort Füllinsdorf nichts mehr an ihn – keine Gedenktafel, kein Platz, keine Strasse. Dabei war er ein Mann, der auf leise Weise Weltgeschichte mitgestaltet hat. Als Vermittler zwischen Völkern, als Mitbegründer sportlicher Institutionen, als Gelehrter zwischen Ost und West. Sein Vermächtnis ist kein Denkmal aus Stein, sondern eine Struktur aus Ideen. Dass Olympische Spiele heute mehr als ein Sportereignis sind, ist auch dem stillen Architekten aus dem Baselbiet zu verdanken.
Künstler, Dichter, Macher und Visionäre
vs. In unserer Serie stellt Hanspeter Gautschin Menschen aus dem Oberbaselbiet vor, die einst prägend wirkten, heute aber fast vergessen sind. Es sind Künstlerinnen, Dichter, engagierte Macherinnen, stille Visionäre – ebenso wie Unternehmer, Tüftler und Gestalter der Industriewelt, die mit Innovationsgeist und Tatkraft die Entwicklung unserer Region vorantrieben. Persönlichkeiten, die das kulturelle, soziale, sportliche, geistige oder wirtschaftliche Leben des Oberbaselbiets nachhaltig geprägt haben. Mit erzählerischem Gespür und einem feinen Blick für das Wesentliche lässt Gautschin diese Lebensgeschichten wieder aufleuchten – als Erinnerung, Inspiration und als Beitrag zur regionalen Identität.
Hanspeter Gautschin (1956) lebt in Oberdorf und blickt auf eine facettenreiche Laufbahn im Kulturbereich zurück. Als ehemaliger Impresario, Kulturförderer und Museumsleiter erzählt er mit Vorliebe Geschichten über Menschen, Kultur und das Leben im Alltag.