Der Schmetterling ist tot

  19.06.2025 Bezirk Sissach, Region, Baselbiet, Sissach

Unterwegs im Nordpazifik, Teil 1: Ostwärts

Hanspeter Gsell hat in 55 Tagen acht Inseln im nördlichen Pazifik besucht. Er bringt uns mit seiner Serie «Unterwegs im Nordpazifik» exotische Länder, Menschen und ihre persönlichen Geschichten näher. Gsell macht sich heute auf die Reise.

Hanspeter Gsell

Was ich bisher nur von der Migros, von Banken und von meinem Verlag kannte, hat nun endlich überall auf der ganzen Welt Einzug gehalten: der QR-Code. Eine Abkürzung für ein Unding, das uns derart geläufig ist, dass wir gar nicht mehr wissen, was es eigentlich bedeutet. QR ist die Abkürzung für «Quick Response» und bedeutet nichts anderes als «schnelle Antwort». Es sollte richtig heissen: mit Sicherheit keine schnelle Antwort.

Generell scheint zu gelten: je kleiner ein Land, desto grösser die Einreisehindernisse. Als die Welt während der Corona-Krise stillstand, hatten Politiker und Programmierer offenbar nichts anderes im Sinn, als die Einreise in ihre Länder zu erschweren. Sie erfanden für sich den vermaledeiten QR-Code. Einen solchen benötigt man, um überhaupt Landesgrenzen überschreiten zu dürfen. Die Prüfung der Zutrittsberechtigung hat man den Fluggesellschaften delegiert. Ohne den Code, bzw. ohne die dort von Ihnen hinterlegten Daten, lässt man Sie nicht an Bord des Flugzeugs.

Was kaum einer dieser Tölpel bedacht hat: Es gibt Gegenden auf dieser Welt, die bislang nicht elektronisch verunreinigt sind. Es sind Regionen gänzlich ohne Internetverbindung. Es gibt aber auch Weltgegenden mit Internetverbindungen, jedoch ohne Zugang zu SMS oder Mails. Und dann gibt es immer noch Menschen, die Mühe haben, ein Smartphone zu bedienen. Und jetzt versuchen Sie, von einer dieser staatlichen Verhinderungsbehörden eine Einreisebewilligung zu erhalten. Guter Rat kann sehr teuer werden. Oder unmöglich.

Eines Tages werden auch Sie vor einem Grenzpolizisten stehen und in Ihren Unterlagen verzweifelt nach der Telefonnummer Ihres Reisebüros suchen. Dort lesen Sie, dass man nur von 9 bis 17 Uhr arbeitet, jedoch nicht am Wochenende und auch nicht an Feiertagen. Ebenso nicht an Tagen mit Fussballspielen der italienischen Liga, an königlichen Geburtstagen und während nordkoreanischer Bombentests. Die Liste der Ausnahmen ist unendlich.

Da es bei Weltreisen mit Sicherheit zu einer oder mehreren Zeitverschiebungen kommen wird, haben Sie noch ein zusätzliches Problem: Möglicherweise können Sie den QR-Code nämlich erst 72 Stunden vor Ihrer Einreise beantragen. Gestern war Samstag, heute ist Freitag. Was aber wird morgen sein?

Ostwärts
Ich sitze in einer dieser fliegenden Mehrzweckhallen und bin unterwegs nach Manila. «Das Ding fliegt leise und sanft wie eine zart schmelzende Mozartkugel.» Diesen grauenhaften Satz habe ich anlässlich einer früheren Reise geschrieben. Aber ich lasse ihn mal so stehen und wiederhole ihn sogar: «Das Ding fliegt leise und sanft wie eine zart schmelzende Mozartkugel.» Immerhin befinde ich mich in diesem Augenblick 11 000 Meter über Salzburg.

Es ist Nacht geworden, ich warte auf das Essen und höre mir ein Lied von Jacob Collier an. Nein, ich korrigiere mich: Leider hat es dieser Ausnahmemusiker bisher nicht in die Unterhaltungssysteme an Bord geschafft. Ich schaue mir deshalb zum wiederholten Mal den Film «National Lampoon’s Christmas Vacation» an. Chevy Chase ist darin als Clark Griswold in einer seiner Paraderollen zu sehen. Kurz nachdem der Film endet, landen wir in Singapur.

Der Flug verging in einem Zug, die Zeit wie im Flug. Der Beinahe-Vollmond hing die ganze Zeit über irgendwie schräg zwischen einem UFO und einem «Was-weiss-ichdenn-schon».

Manila, Philippinen
Manila, eine Stadt der Gegensätze, beispiellos, unbeschreiblich dreckig. Stinkender Smog, liebenswürdige Menschen. Chaotisch und trotzdem scheint alles zu funktionieren. Der Flughafen Manila, dieser Vorhof zur betonierten Hölle, könnte einem trotzdem das Reisen vermiesen.

Wir sind nicht zum ersten Mal in dieser Stadt. Unser Hotel befindet sich direkt beim Flughafen und ist über eine Passerelle zu Fuss erreichbar. Bald schon sitzen wir an der Bar auf der Dachterrasse. In der Ferne kann man im Smog die Skyline des Geschäftsviertels von Manila erahnen. Eine gefleckte Taube fliegt vorbei. Wie diese den täglichen Smog überlebt, ist mir ein Rätsel.

Ein kleiner weisser Schmetterling setzt sich neben mich. Vermutlich ist die vermeintliche Dreckluft gar nicht dermassen dreckig, wie ich gedacht habe.

Doch plötzlich fällt der Sommervogel tot zu Boden, er ist wohl doch an der Dreckluft verreckt.

Die Abreise aus Manila gestaltet sich schwieriger als die Ankunft. Kurz vor dem Einsteigen werde ich von einer Angestellten des Flughafens gebeten, mitzukommen. Noch weiss ich nicht, wohin mich der Weg führen wird. «Bin gleich zurück», sage ich zu meiner Frau und folge der uniformierten Dame. Nachdem wir einen ausgedehnten Weg durch das Flughafenareal zurückgelegt haben, erreichen wir das Kellergeschoss. Es ist feuchtheiss, trotzdem fröstle ich.Was erwartet mich in diesem Verlies? Nach einer gefühlten Ewigkeit erscheinen ein General, ein Oberst, ein Major und einige mit Maschinenpistolen bewaffnete Soldaten.

Die Zeit drängt, in wenigen Minuten beginnt das Boarding oben. Mein Koffer erscheint unten im Keller; er wird geöffnet. Man befiehlt mir, mich seitlich davorzustellen. Auf dem kargen Betonboden sind Zeichen für meine Füsse aufgepinselt. Der Major nimmt Haltung an, filmt. Sachte wird der Koffer geöffnet, schichtweise werden meine Kleider ausgeladen.

Plötzlich bekommt der General einen roten Kopf und brüllt dem Major etwas zu. Natürlich verstehe ich sie nicht, sie sprechen Tagalog, eine philippinische Sprache. Unter einer Schicht Hemden kommt endlich das böse Ding zum Vorschein. Eine kleine Plastikflasche mit einem Medikament hatte die Sicherheitsmenschen des Flughafens offensichtlich verwirrt. Nachdem der General und seine Mitarbeiter die Flasche begutachtet hatten, schmissen sie diese in eine bereits halb gefüllte Tonne.

Die Hemden wurden sorgfältig zurückgelegt, der Koffer verschlossen. Er verschwand wieder im Bauch des Flugzeugs. Ich aber werde durch die Katakomben nach oben zu meiner Frau und zum wartenden Flugzeug zurückgeführt. Als beinahe letzte Passagiere steigen wir ein.

Guam, USA
Freitag, 6. Dezember, Guam. Noch immer sind wir unterwegs nach Yap. Am Dienstag haben wir Sissach verlassen, heute ist Freitag. In der Nacht zum Sonntag werden wir auf der Insel Yap landen.

Da Guam amerikanisches Territorium ist, musste ich bei der Einreise die üblichen Fragen beantworten. So verneinte ich die Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Partei und schwor hoch und heilig, mich nicht zu prostituieren sowie die Steuern pünktlich zu bezahlen. Der Drucker spuckte nach wenigen Minuten die gewünschten Papiere aus und ich durfte in das «gelobte Land» einreisen – um nach ein paar Hundert Metern bereits wieder aus Guam auszureisen. Die amerikanische Heimatschutzbehörde hatte nämlich den Flughafen nach den Anschlägen in New York vom 11. September 2001 zur Hochsicherheitszone erklärt und dessen Transitstatus aufgehoben.

Ich hatte am eigenen Leib erfahren, dass Zwischenfälle auf Reisen unvermeidlich sind. Ich war mir deshalb sicher, dass auch die Ausreise wieder zu Problemen führen würde.

Der Sicherheitsbeamte befahl mir, meinen Gürtel abzunehmen. Ich wollte etwas erwidern, liess es dann jedoch sein. Prompt fiel mir die Hose bis zu den Knien hinunter; der Anblick war nicht schön. Aber der Beamte war nun überzeugt, dass ich keine Flugabwehr-Raketen in den Hosentaschen versteckt hatte und liess mich passieren.

In der Zwischenzeit ist es in der Abflughalle zappenduster geworden, nur vereinzelt flackert noch eine Neonröhre. Die meisten Shops sind geschlossen und haben alles verrammelt. Nur gerade ein kioskähnlicher Laden verkauft durch ein verschmutztes Seitenfenster kalte Getränke. In der angrenzenden Smokers-Lounge treffe ich auf unglaublich dicke Zöllner, fette Sicherheitsbeamte und beleibte Polizisten. Das Rauchen würde ihnen wohl beim Abnehmen auch nicht helfen.

Der Blick durch die grossen Fenster erlaubt die Sicht auf die hell erleuchteten Pisten. Die ankommenden und startenden Flugzeuge bieten ein prächtiges, farbenfrohes Spektakel.

Yap, FSM
Ich begab mich zum Gate. Dort sassen und lagen bereits eine beträchtliche Anzahl von Menschen, die nach Yap fliegen wollten. Die Frauen trugen farbige Röcke, die mich an das Doppelzelt erinnerten, in dem ich meine ersten Ferien verbracht hatte. In den Haaren oder um den Hals trugen die Damen farbige Blumengirlanden. Die Herren hatten ausnahmslos Handtaschen aus Bast dabei. Sie steckten in Jeans oder verwaschenen Shorts und trugen T-Shirts mit Slogans wie «Where the heck is Yap?» (Wo zum Teufel liegt Yap?). Da wir nicht das erste Mal nach Yap flogen, machten wir uns keine Sorgen. Der Pilot würde die Insel in jedem Fall finden.

Endlich konnten wir einsteigen. Kaum waren die Turbinen gestartet, schlief ich ein. Mit stechenden Nacken- und Kopfschmerzen erwachte ich bereits nach kurzer Zeit wieder. Neben mir hatte sich leider keine aufreizende Südseeschönheit, sondern ein mikronesischer «Doppel-Whopper», ein Brocken von einem Mann, niedergelassen. Dieser lag mehr als er sass, auf zwei Sitzen.

Nun, der Flug würde bestimmt nicht lange dauern. Und so beschloss ich, mich ganz klein zu machen, nichts zu sagen und ganz ruhig zu bleiben. Beim Anflug auf die Insel Yap war nichts zu erkennen. Es war Nacht, der Zeiger meiner Armbanduhr sprang soeben auf 1 Uhr. Nur anhand des sich verändernden Lärmpegels in der Kabine merkte ich, dass die Maschine demnächst aufsetzen würde.

Die Landegeschwindigkeit schien sehr hoch zu sein, der Flieger schlug mehrmals auf und hüpfte wieder in die Luft. Nach einer gefühlten Ewigkeit knallte der Pilot die Maschine auf die Piste, bremste stark, drehte nach rechts ab und kam vor dem winzigen Flughafengebäude von Yap zu stehen. (Fortsetzung folgt.)


Unterwegs im Nordpazifik

vs. Hanspeter Gsell (Sissach), Autor und «Volksstimme»- Kolumnist, hat es wieder getan: Zum fünften Mal ist er rund um die Welt geflogen. In loser Reihenfolge veröffentlichen wir seine zehnteilige Reportage «Unterwegs im Nordpazifik». Unser Tipp: Lesen Sie auch zwischen den Zeilen! Eine Sommerserie, nicht nur für Daheimgebliebene.


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