Der Hilferuf der leisen Fasnecht
02.07.2024 Bezirk Sissach, Fasnacht, Kultur, Gemeinden, GesellschaftZum Gässle ziehen die Zunzger Wurlitzer lieber nach Basel
Die Wurlitzer, die Nuggi-Clique und die Spoot-Zünder, die drei klassischen Fasnachtscliquen der Sissacher Fasnacht, fühlen sich zunehmend an den Rand gedrängt und klagen über Pöbeleien. Nach dem ...
Zum Gässle ziehen die Zunzger Wurlitzer lieber nach Basel
Die Wurlitzer, die Nuggi-Clique und die Spoot-Zünder, die drei klassischen Fasnachtscliquen der Sissacher Fasnacht, fühlen sich zunehmend an den Rand gedrängt und klagen über Pöbeleien. Nach dem sonntäglichen Umzug begeben sich die Wurlitzer deshalb künftig zum «Gässle» nach Basel.
Jürg Gohl
«Wie mir do öisi Wääg müen baane, als Fasnachtsclique. Nundefaane!
Zwüsch’ siibe Meter höche Wääge, wo Technomusig uusebäägge, und hundertfüfzig Bierstand-Stehtisch isch gässle eifach nit poetisch!»
So lauten sechs der insgesamt 58 Zeilen, die der Zeedel der Wurlitzer Clique an der vergangenen Sissacher Fasnacht umfasste. In ihrem traditionellen Dichtwerk ärgern sich die Pfeiferinnen und Trommler aus Zunzgen – fasnächtlich zugespitzt – über das «Malle-Bumm-Bumm», über Betrunkene, die ihnen «uf d Drummle chotze» und über selbstverliebte Gruppierungen, denen kein Jahr zu ungerade ist, um nicht als Jubiläum abgefeiert zu werden.
Die beiden anderen verbliebenen Sissacher Cliquen, die Nuggi-Clique und die Spoot-Zünder, berichten Ähnliches. Auch sie fühlen sich als letzte Vertreter der klassischen Fasnacht von den rund 70 Wagen- und Guggen-Gruppierungen zunehmend an den Rand gedrängt – optisch wie akustisch. Sie fühlen sich als Störefriede der Sissacher Fasnachtsparty und wurden deshalb auch schon angepöbelt. «Dabei gehören wir dazu und erhalten eine Tradition aufrecht», sagt Andreas Wunderlin, der Präsident der Nuggi-Clique.
Ihre Enttäuschung brachten die Wurlitzer am 18. Februar zum Ausdruck, indem sie am Umzug ihre Musikinstrumente zu Hause liessen und, wie die Klageweiber vor dem alljährlichen Flammentod des Chluris, heulend statt musizierend durch die Begegnungszone paradierten. Mit ihrem Sujet «Aadie Chluuri – salli Bebbi» verraten sie auch die Konsequenzen. Nach dem sonntäglichen Umzug verlegt die Clique ihre Aktivitäten nach Basel, wo sie sich willkommen fühlt.
Sich dem Wandel beugen
«Wir können als Clique am Dienstagund Mittwochabend nicht mehr in der Kernzone gässlen, da sie dann für das Guggenkonzert beziehungsweise für die Wagenburg gesperrt ist», stellt Wurlitzer-Präsident Patrick Schaub fest, der das Thema am liebsten gar nicht mehr «hochkochen» möchte, wie er festhält. Verschwanden früher die Wagen nach dem Umzug aus dem Zentrum, so verteidigen sie heute dort mit wummernden Bässen ihr Revier, das als einziges zum Gässle geeignet wäre. Trommelwirbel und Piccolo-Klänge entlang des menschenleeren Bahnhofs? Eine Horrorvorstellung für jeden Fasnacht-Liebhaber.
Patrick Schaub spricht relativierend von vereinzelten und zurückliegenden Pöbeleien. Seine Clique beuge sich vielmehr dem Wandel der Sissacher Fasnacht in den vergangenen Jahren: Mehr Wagen und Guggen, dafür ist die Beizenfasnacht mit dem Intrigieren eingeschlummert, und es sind abends weniger Menschen unterwegs.
Hinzu kommt, dass sich die «leise» Fasnacht der Tambouren, Pfeiferinnen und der Schnitzelbänkler jeweils am Dienstag abseits des grossen Trubels in der Oberen Fabrik ein paar Mal zur «Wäbere» getroffen habe. Doch fand der Anlass, den die drei Cliquen in Eigenregie auf die Beine stellten, nach der Corona-Zwangspause dort keine Fortsetzung mehr. Zogen es einige Wurlitzer bereits in früheren Jahren vor, abends nach Basel zu fahren, so fährt nun die ganze Clique in die Stadt, in der das Trommeln und Pfeifen eine weit höhere, ja konträre Wertschätzung erfährt.
Spoot-Zünder-Präsident Daniel Zünd hält das definitive «Aadie» der Wurlitzer für eine «Überreaktion» und bleibt mit seiner Clique der Oberbaselbieter Zentrumsgemeinde weiterhin treu. Hingegen berichtet Andreas Wunderlin, dass ein Teil «seiner» Nuggi-Clique seit dem Ende der «Wäbere» nach dem Umzug ebenfalls nach Basel disloziert.
Keine Streetparade
Die beiden Sissacher Cliquen unterscheiden sich noch in einem weiteren Punkt: Während Wunderlin betont, keine Kritik an der FGS, der Sissacher Fasnachtsgesellschaft, zu üben und von bestem Einvernehmen spricht, zünden die Spoot-Zünder die Dachorganisation an. «Etwas mehr Schutz und Wertschätzung», fordert Zünd und weist darauf hin, dass sich die beiden örtlichen Cliquen als zahlende FGS-Mitglieder beim «Blaggedde»-Verkauf hervortun und vor allem bei den Kinder-Veranstaltungen stark engagieren. Zumindest in Worten pflichtet ihnen die FGS mit ihren Richtlinien auf der Webseite bei. Dort ist nachzulesen, die Sissacher Fasnacht sei «nicht mit der Streetparade zu verwechseln».
Das erleben die Dachluckespinner nie
jg. Der Fasnachtsumzug in Oberdorf unterliegt dem gleichen Wandel, der in Sissach zu beobachten ist. «Gerade im Oberbaselbiet verschwindet die traditionelle Fasnacht zusehends», sagt Stephan Zumbrunn, der Präsident der trommelnden und pfeifenden Dachluckespinner. Auch bei ihnen stand im diesjährigen Programm abends jeweils «Gässle z Basel». Doch Anpöbeleien, wie sie von Sissacher und übrigens auch Liestaler Cliquen rapportiert werden, seien ihnen nie widerfahren. «Vielleicht hängt das auch mit der Grösse der Umzüge zusammen. Bei uns verläuft er beschaulicher, in Liestal und Sissach herrscht Party.»
Die Clique aus dem vorderen Frenkental erfährt auch von den dominierenden Guggen Wertschätzung. So treten die Dachluckespinner, quasi als Kontrastprogramm, jeweils am Guggenkonzert in Waldenburg auf. «Es würde nicht goutiert, wenn wir dort nicht erscheinen würden», sagt Stephan Zumbrunn. Klassische Cliquen seien im Oberbaselbiet inzwischen wohl «eine Randerscheinung», stellt er fest, «aber wir werden nicht an den Rand gedrängt.»