Das Beste gedeiht auf eigenem Boden
11.03.2025 Bezirk Sissach, Gemeinden, Gesellschaft, Baselbiet, Kultur, FasnachtMan soll mit Superlativen ja zurückhaltend sein. Doch was am Sonntag geboten wurde, war etwas vom Besten und Originellsten, was der Sissacher Fasnachtsumzug seit Langem gesehen hat. Auffallend viele Sujets hatten einen lokalen Bezug.
Pyro Man
Chapeau! Wir ...
Man soll mit Superlativen ja zurückhaltend sein. Doch was am Sonntag geboten wurde, war etwas vom Besten und Originellsten, was der Sissacher Fasnachtsumzug seit Langem gesehen hat. Auffallend viele Sujets hatten einen lokalen Bezug.
Pyro Man
Chapeau! Wir ziehen den Hut vor allen, die uns diesen grossartigen Sonntagnachmittag beschert haben: vor der Fasnachtsgesellschaft als Veranstalterin, vor dem Himmel fürs Bauchfrei-Wetter, vor den Schaulustigen, die den Cliquen, Guggen, Wäägelern und Schissdräckzügli eine prachtvolle Kulisse boten. Vor allem aber vor den vielen Hundert Mitwirkenden.
Dieser Fasnachtsumzug hat uns Freude gemacht, angefangen bei den in Waschbärfellen schwitzenden Pfeifern und Tambouren der Nuggi-Clique, gefolgt von knapp 70 Formationen, bis hin zur knöchelhohen Schicht Konfetti in der Begegnungszone nach dem letzten Wagen. Es war der Wagen der Füürwäärk Waggis aus Gelterkinden. Wie dieses Jahr so viele Gruppen spielten auch sie ein lokales Sujet aus: Das Konzert von Baschi im «Summer of ’24» auf dem Gelterkinder Dorfplatz zum 20-Jahre-Bühnenjubiläum. Er habe ihr Dorf damit unsterblich gemacht, ist auf einer Wand des Wagens im Dorfbrunnen-Design zu lesen. Für die Grillschränzer, ebenfalls eine Wagenclique aus Gelterkinden, war Baschi ganz und gar «nid willkomme dehei». Sie fühlen sich von den Gemeindeoberen gegenüber dem ausgewanderten Barden benachteiligt. Für diesen sei der Dorfplatz während einer Woche gesperrt worden, wogegen die Fasnächtler um jede Stunde auf dem Dorfplatz kämpfen müssten. Sujettechnisch ins gleiche Horn stiessen die Grümpel-Waggis, ebenfalls aus Gälti.
Als weitere mehrfach gewählte Sujets erwiesen sich der Knastbau zu Sissach, der Sissacher Sommermarkt Vol. 2 oder das Jubiläum der Mineralquelle Eptingen. Die Wiederinbetriebnahme des Gefängnisses beim Polizeiposten inspirierte unter anderem die Sissacher Schlammsuuger (Wagen und Gugge) zu ihrem diesjährigen Auftritt – standesgemäss in schwarzweiss gestreifter Knast-Kluft. Die Freeride Rueche aus Gelterkinden haben für den Umzug ebenfalls Freigang bekommen: «Lieber Larve als Handschälle», heisst es auf ihrem Wagen. Das Gefängnis im Schlepptau hatten die Rahmdäfelifrässer, eine Kleingruppe aus Gelterkinden. In ihr Gefängnis steckten sie eine Horde Plüsch-Affen. Noch ein bisschen mehr geschmunzelt hätten wir, wenn stattdessen Waschbären hinter Schloss und Riegel gebracht worden wären. Apropos Waschbären: Wir erinnern uns, dass es der Sissacher Jagdaufseher und ehemalige «Volksstimme»- Chefredaktor Rolf Wirz gewesen ist, der einen jungen Waschbären lieber in einen Tierpark gesteckt hätte, als ihn zu erlegen. Doch auf Geheiss des Kantons musste er das Tier töten, worauf er denn die Flinte hinschmiss. Ihn ehrte die Nuggi-Clique als ihren Tambourmajor. Die Waschbär-Tragödie inspirierte auch die Wägeler Millenium Waggis zum Sujet: «Sissach verwilderet».
Aufwändige Konstruktionen
Auf «125 Johr Blööterliwasser» stiessen die Wirr-Warr Waggis Sissach auf ihrem kleinen, aber feinen Wagen alkoholfrei (!) an und die Clique Spoot-Zünder, verkleidet als prächtige, leuchtend rote Pepita-Papageien, pfiffen darauf. Ein rosaroter, gigantischer Magenbrot-Sack warb am Marktstand der Wagenclique Schlumpf-Rueche für den vielleicht doch nicht abgeschafften Sommermarkt im Bezirkshauptort. Mit leichtem Bedauern stellten wir fest, dass die Schlumpf-Rueche allerlei Süssigkeiten verteilten, aber weder Magenbrot noch gebrannte Mandeln. Hier orten wir doch einiges Optimierungspotenzial.
Rein gar nichts zu mäkeln gab es am Auftritt der Hopfestopfer aus Känerkinden. Sie haben auf ihrem Wagen einen funktionstüchtigen Sessellift zusammengeschweisst und noch dazu eine Bergbeiz gezimmert. Liegt kein Schnee, wird umso heftiger in der Hütte gefeiert, lautet ihr Sujet sinngemäss. Ebenfalls schwer ins Zeug gelegt hat sich die Konstruktionsabteilung der Guggä-Rugger (wie gewünscht, mit «ä», werte Rugger). Die «Rockstars», so das Sujet der Buusner, schränzten auf zwei riesigen E-Gitarren, die sich hydraulisch auf und ab bewegen lassen. Zwei Monate habe der Wagenbau gedauert, war von den Buusnern zu erfahren. Es hat sich gelohnt: Nicht nur uns, auch vielen Zuschauern blieb der Mund offen stehen.
Was fiel sonst noch auf? Die Weinfirma Buess schaffte es direkt und indirekt mit zwei Sujets an den Umzug: Der Kellermeister von den Saagi-Waggis kredenzen einen «Château Gammel» und die Graffti-Spränger nahmen die Unterschutzstellung der Tschudy-Villa aufs Korn: Ihr Wagen war wie das Haus zur Hälfte eine Ruine. Hätte die Bürgergemeinde den Kauf der Buess-Liegenschaften etwas früher bekannt gegeben, wäre daraus wohl ein drittes Buess-Sujet geboren.
Einfallsreiche Interpretationen
Mehrere Gruppen wählten Sujets mit einem Bezug zu ihren Dörfern. Etwa die Oltigerschnitte, die den Anschluss an den Verwaltungsverbund RüKiZe thematisierten und forderten, Leitgemeinde zu werden. Oder die Baumannschaft der Burn-Out Rugger, die für den Umzug in Sissach mit den Arbeiten an der neuen Rünenberger Kultur- und Sporthalle pausiert. Für seine Konsequenz Respekt verdient der Söidryyber, der sich im Gedenken an die teils abgeholzte Sissacher Fluh Kopf und Bart zur Hälfte rasieren liess. Wie gerne sähen wir, wie er nach der Fasnacht an seinem Arbeitsplatz erscheint … Sehr gefallen haben uns optisch und musikalisch – wie viele andere Guggen auch – die Thürner Ärdwybli, die sich vom Läufelfinger Freilichttheater «Lysistrata» inspirieren liessen, und in römischen Gewändern und Uniformen schränzten.
Wir fragen uns, wo die Zapfhähne aus Sissach die märchenhafte Aschenputtel-Kutsche zum Sujet «... und wenn sie nicht gestorben sind …» aufgetrieben haben. Und laut herausgelacht haben wir, als Kinder und Erwachsene laut «Bannannna!» riefen, als die Minions in der Rakete der Wolfloch Clique an ihnen vorbeiflogen. Anders als die Magenbrot-Bäcker konnten die Böckter Wägeler die Erwartungen übrigens erfüllen.
Sissacher Spott über Zunzger
Frei nach dem Sprichwort «Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen», liessen die Sissacher Wägeler Unchrutt den Pleitegeier über der Büchelburg beziehungsweise über dem in finanzieller Hinsicht enttäuschenden Dorffest kreisen. Wunderbar!
Alle Genannten und die vielen Ungenannten – wir bitten Letztere um Vergebung – machten den Fasnachtssonntagnachmittag trotz gelegentlicher Wartezeiten zu einem kurzweiligen und unterhaltenden Erlebnis. In vergangenen Jahren hätten wir den Ütiger Rueche sofort beigepflichtet, die wegen vieler fantasiefreier runder und unrunder Jubiläen, die oft gefeiert werden, ein «Sujet-Stärbe» beklagten. Dieser Jahrgang aber war anders: aussergewöhnlich fantasievoll und total lokal. Wobei Ausnahmen stets die Regel bestätigen: So feiert zum Beispiel die Zunzger Gugge Büchelgrübler als «Kellog’s Frosties»-Tiger («Weck den Tiger in dir») ihren 55. Geburtstag. Die Zunzger hätten die Itinger gerne an ihrem Sujet-Glücksrad drehen lassen: Bei «Ritter» verschenkten sie Schoggi, bei «Vampir» Knoblauch und bei «Jubiläum» gab’s eine Konfetti-Abreibung.
Ganz zum Abschluss möchten wir uns den Gelterkinder Röggli Rueche bedienen, die ihren ganzen Wagen ringsum mit einem Wort beschrieben haben, frei von jeder Ironie, ganz einfach, weil es heutzutage viel zu selten gesagt werde: «Danke!»