Zu aufwendig und zu unattraktiv
31.08.2023 Baselbiet, Verkehr, GemeindenViele Gemeinden geben den Verkauf der ÖV-Tageskarte auf
Die Gemeinde-Tageskarte, das preisgünstige Ein-Tages-GA für den öV, wird 2024 von der «Spartageskarte Gemeinde» abgelöst. Die Begeisterung der Gemeinden als Verkaufsstellen hält sich in Grenzen. Viele springen ab oder haben ...
Viele Gemeinden geben den Verkauf der ÖV-Tageskarte auf
Die Gemeinde-Tageskarte, das preisgünstige Ein-Tages-GA für den öV, wird 2024 von der «Spartageskarte Gemeinde» abgelöst. Die Begeisterung der Gemeinden als Verkaufsstellen hält sich in Grenzen. Viele springen ab oder haben dies bereits getan.
Christian Horisberger
Wer für einen Tag mit dem öV in der ganzen Schweiz herumreisen will, fährt mit der Gemeinde-Tageskarte oft am günstigsten. Je nach Gemeinde kostet das 2.-Klasse-Billett, ob mit oder ohne Halbtax-Abo, 42 bis 50 Franken. Legt wie in Sissach die Bürgergemeinde noch einen Batzen drauf, ist sie zumindest für Bürger ein richtiges Schnäppchen. Da die Karten rar sind, ist insbesondere an Wochenenden eine frühzeitige Reservation zu empfehlen.
Dennoch wird es die im Jahr 2003 erstmals ausgegebene Gemeinde-Tageskarte in der heutigen Form nur noch bis Ende dieses Jahres geben. Sie wird 2024 ersetzt durch die «Spartageskarte Gemeinde», ausgegeben von der «Alliance SwissPass», der ÖV-Branchenorganisation mit 250 Transportunternehmen und 18 Verbünden.
Teurer und neu auch für 1. Klasse
Geschraubt wird vor allem an den Preisen: Diese werden je nach Buchungstermin und Klasse von 39 bis 148 Franken betragen. Fahrgäste ohne Halbtax blättern im Minimum 52 Franken hin (siehe Kasten). Konnte die Karte bisher je nach Gemeinde online gebucht, bezahlt und auf postalischem Weg bezogen werden, muss der Käufer künftig persönlich das Gemeindehaus aufsuchen, seine Personalien angeben – die Tageskarte ist nicht mehr übertragbar – und vor Ort bezahlen. Ihrem Namen wird die «Spartageskarte Gemeinde» also nur noch wegen der administrativen Abwicklung durch die Gemeinde gerecht. Man könnte auch von Umtrieben sprechen, wenn man bedenkt, dass der Bezug von digitalen ÖV-Tickets via Web oder App heute Standard ist.
Mehrere Gemeinden, bei denen die Gemeinde-Tageskarte aktuell noch bezogen werden können, werden aussteigen oder sie haben den Verkauf bereits zuvor eingestellt; viele von ihnen wegen abflauendem Interesse und nach einem erheblichen Verlust im Corona-Jahr.
Den Tageskartenverkauf streichen wird beispielsweise Sissach. Wie der Gemeinderat kürzlich mitteilte, sehe er im neuen Produkt keinen spezifischen Vorteil mehr für die Einwohnerinnen und Einwohner. Es hebe sich zu wenig von den bestehenden Angeboten der SBB ab. Zudem seien Administration und Abwicklung des Verkaufs deutlich aufwendiger als bei der bisherigen Tageskarte. Mit derselben Begründung beenden auch Bubendorf, Lausen oder Zunzgen den Tageskartenverkauf.
Was das neue Konzept für die Gemeindeangestellten bedeutet, beschreibt Theres Fuchs, stellvertretende Gemeindeverwalterin von Gelterkinden: Bisher habe man das unpersönliche Einheitsticket online bestellen und auf der Verwaltung abholen können und fertig. Neu müssten auf der Verwaltung für alle Reisenden die Personalien erfasst werden, und es sei zu prüfen, ob ein Halbtax-Abo vorhanden ist. Schliesslich müssten die Tickets ausgedruckt und das Geld eingezogen werden. Und bei Stornierungen sei das Gemeindepersonal erneut gefordert, so Fuchs weiter. Von einem «Rückschritt in der heute digitalisierten Welt», spricht Franziska Mahrer vom Verwaltungsverbund Rünenberg-Kilchberg-Zeglingen mit Blick auf das neue Konzept.
Bescheidene Provision
Dem nicht genug. Die Gemeinde erhält für all diese Arbeit eine Provision in der Höhe von 5 Prozent. «Beim günstigsten Billett wären das 1.95 Franken», rechnet Theres Fuchs vor. Da setzt man die knappen Personalressourcen in den Gemeindehäusern lieber für anderes ein. Der Zunzger Verwalter Cristiano Santoro bringt es auf den Punkt: «Es ist keine Kernaufgabe einer Gemeinde, für die SBB Verkaufsschalter zu spielen.» Das will man erst recht nicht, wenn die Gefahr besteht, dass man als eher grössere (Zentrums-)Gemeinde auch die Tageskarten-Bezüger aus umliegenden Gemeinden als «Verkaufsstelle» bedienen muss. Vielleicht ist das die Erklärung, weshalb vor allem grössere Ortschaften der «Alliance SwissPass» die Liebe gekündigt haben – nach Informationen der «Volksstimme» neben Sissach, Lausen, Bubendorf, Itingen oder Gelterkinden auch Allschwil, Therwil, Arlesheim, Münchenstein oder Liestal.
Von den rund 50 Gemeinden aus dem Einzugsgebiet der «Volksstimme» haben bis gestern 37 auf eine Umfrage der «Volksstimme» reagiert. 17 von ihnen haben den Verkauf der Karten seit Corona eingestellt oder werden es bei der Systemumstellung Ende dieses Jahres tun. 9 haben die Tageskarten nie verkauft und bleiben dabei. 8 Gemeinden gaben an, die Dienstleistung nun erstmals anbieten zu wollen oder dies in Erwägung zu ziehen (1). Ein Gemeinderat hat darüber noch nicht beraten.
Aus der Reihe tanzt Läufelfingen. Als einzige der an unserer Umfrage teilnehmenden Gemeinden ist und bleibt sie Verkäuferin der Tageskarten. Man sei sich des relativ grossen Aufwands im Verhältnis zur kleinen Kommission bewusst, erklärt Gemeinderat Roman Wagner auf Anfrage. Doch wolle man der Einwohnerschaft die Dienstleistung anbieten und auf diesem Weg auch das «Läufelfingerli» unterstützen.
Kein finanzielles Risiko mehr
Bei den Neueinsteigern dürfte für den Verkauf auch der Wegfall des finanziellen Risikos sprechen. Beim heutigen Modell erwirbt die Gemeinde einen oder mehrere vollständige Jahressätze Tageskarten und verkauft diese zu einem von ihr bestimmten Tarif weiter. Die Billetts, welche die Gemeinde nicht absetzen kann, gehen zu ihren Lasten. Beim neuen Modell kann jede Gemeinde aus einem Schweizer Kontingent mit insgesamt 4000 Karten beliebig viele beziehen. Vorgängig beschaffen muss sie die Billetts nicht mehr – das finanzielle Risiko entfällt.
Zur Kritik aus den Gemeindeverwaltungen am neuen Produkt hält Susanna Wittwer Klingler von der «Alliance SwissPass» fest, dass Städte und Gemeinden in die Produkteentwicklung einbezogen worden seien. Eine gemeinsame schweizweite Vertriebsplattform sei geprüft und wegen der heterogenen IT-Lösungen verworfen worden. Unterschiedlich seien auch die Ansprüche. So sei es vielen Ortschaften ein Bedürfnis, die Tageskarte weiterhin physisch und damit auch nicht digital-affinen Einwohnenden zugänglich zu machen.
Die heutige Gemeinde-Tageskarte wird laut der «Alliance»-Sprecherin aktuell von knapp 1100 Kommunen vertrieben. Für den Verkauf der neuen Karte lägen zurzeit mehr als 850 Anmeldungen vor. Dieses Zwischenergebnis bewerte man als gut.
17 Aussteiger, 8 Einsteiger
ch. Die «Volksstimme» hat die 51 Gemeinden in ihrem Einzugsgebiet zu ihrem Umgang mit der Tageskarte befragt. 37 haben bis gestern geantwortet.
Haben Karten nie verkauft, bleibt so: Arboldswil, Bennwil, Lampenberg, Ramlinsburg, Rickenbach, Rothenfluh, Rümlingen, Titterten, Wenslingen.
Werden die Karte neu verkaufen: Bretzwil, Buckten, Diepflingen, Eptingen, Lauwil, Maisprach, Wintersingen, Wittinsburg.
Setzt Verkauf fort: Läufelfingen.
Werden Verkauf einstellen oder haben dies bereits getan: Bubendorf, Diegten, Gelterkinden, Hölstein, Itingen, Kilchberg, Lausen, Lupsingen, Niederdorf, Oberdorf, Ormalingen, Reigoldswil, Rünenberg, Sissach, Zeglingen, Ziefen, Zunzgen.
Haben sich noch nicht festgelegt: Böckten, Langenbruck.
Variabler Preis
vs. Anders als bei der bisherigen Gemeindetageskarte ist der Preis für die neue Spartageskarte variabel. Er hängt ab vom Buchungstermin, der gewählten Klasse und vom Besitz eines Halbtax-Abonnements.