Wenn es eng wird auf der Strasse
29.08.2023 Bezirk Sissach, RickenbachRobert Bussinger amtet als freiwilliger Verkehrsregler
Über Schönheit lässt sich bekanntlich streiten. Die Lage der Sitzbank mitten in Rickenbach würde diesbezüglich wohl nicht obenaus schwingen. Einer aber schätzt sie sehr: Robert Bussinger. Er ist dort täglich ...
Robert Bussinger amtet als freiwilliger Verkehrsregler
Über Schönheit lässt sich bekanntlich streiten. Die Lage der Sitzbank mitten in Rickenbach würde diesbezüglich wohl nicht obenaus schwingen. Einer aber schätzt sie sehr: Robert Bussinger. Er ist dort täglich anzutreffen.
Brigitte Keller
Mitten in Rickenbach – dort, wo die Strasse so eng wird, dass jeweils nur ein Fahrzeug aufs Mal passieren kann – hat es eine Sitzbank. Und darauf sitzt täglich ein älterer Herr, meistens zwischen 10.30 und 12.15 Uhr. Während dieser Zeit amtet er als selbsternannter «Verkehrslotse», denn er hebt bei jedem herannahenden Auto die Hand und gibt ein Zeichen. Das Zeichen für «freie Fahrt» oder das Zeichen für «bitte halten».
Der Mann, Robert Bussinger, tut dies schon seit Jahren. Alle, die regelmässig dort vorbeifahren, kennen ihn nur zu gut. Viele heben die Hand, als Dankeschön oder einfach zum Gruss. Ein paar schenken ihm aber keine Beachtung. Ob sie ihn gar nicht wahrnehmen oder ganz bewusst ignorieren, ist nicht bekannt. Bussinger nimmt es, wie es kommt.
Eine Autofahrerin hält kurz bei der Bank an, bedankt sich beim «Verkehrsregler» und sagt, dass er ja eine kleine Berühmtheit sei und sie den Bericht über ihn gelesen habe. Bussingers doch ziemlich ungewöhnlichem Tun wurde im Frühling von Journalist Peter Knechtli eine Reportage auf dem Online-Portal «OnlineReports» gewidmet. Die «Volksstimme» wollte nun noch etwas mehr wissen über den Herrn am Strassenrand mit weissem Bart, Brille und Schirmmütze.
An diesem heissen Augusttag trägt er einen leichten Strohhut anstelle der Schirmmütze. Ganz ohne Kopfbedeckung sieht man ihn nie. Dies hat nicht nur mit der jeweiligen Temperatur zu tun, Bussinger tut es noch aus einem anderen Grund. Davon erzählt er uns etwas später in seinem kleinen «Biergarten» beim nahe gelegenen Zuhause.
Dieses befindet sich an der Klostergasse, wo Robert Bussinger 1955 zur Welt kam. Nach der Schule und einem Welschlandjahr lernte er Möbelschreiner. Eine Zeit lang betätigte er sich danach als Staplerfahrer und machte die Prüfung zum Lastwagenfahrer. Nach rund zehn Jahren als Chauffeur wurde er Mitarbeiter in einem Betrieb der «Chemischen» in Sisseln.
«Engländer» als Hobby
Zur Arbeit fuhr der töffbegeisterte Mann täglich mit seinem Motorrad der Marke Norton. Englische Motorräder waren gleichzeitig sein grösstes Hobby. Neben der «Norton Command» besass er damals auch eine «Triumph». Mit diesen unternahm er Touren, meistens zusammen mit zwei Freunden. Auf der legendären «Route 66» durch die USA, auf die ein Blechschild neben dem Biergarten hinweist, war er aber nie. Nein, das wäre ihm «eh zu weit weg» gewesen. Aber nach Schottland, dahin wäre er gerne einmal gefahren – durchs Mutterland seiner geliebten englischen Motorräder. Oder vielleicht sogar einmal an die berühmten Strassenrennen «Isle of Man». «Wäre», wenn nicht jener verhängnisvolle Tag 1989 diesen und vielen anderen Plänen einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.
Es war morgens nach der Frühschicht. Seine langjährige Freundin hatte ihn kurz zuvor verlassen und er war an einem moralischen Tiefpunkt. Alkohol schien dem damals 34-Jährigen in diesem Moment die richtige Lösung gegen den Schmerz zu sein. Sich danach wieder auf das Motorrad zu schwingen und heimfahren zu wollen, muss schon als das Schicksal herausfordernd bezeichnet werden, das gibt Bussinger unumwunden zu.
Er stürzte in einer Kurve schwer. An den Unfall kann er sich noch erinnern, sagt Bussinger, an die darauffolgenden Wochen nicht mehr. Zwei Monate lag er im Koma. «Ich fasse jetzt nicht mehr Holz an, wenn ich mir oben an den Kopf fasse, sondern Kunststoff», sagt er augenzwinkernd und meint damit, dass damals ein riesiges Loch in seinem Schädel klaffte und dieses mit einer künstlichen Schädeldecke abgedeckt wurde. Eine Narbe rundherum, bedeckt mit dem Strohhut, zeugt davon.
Zurück ins Leben
Sechs Monate Reha brachten viele, aber nicht mehr alle Fähigkeiten zurück. Gleichgewichtssinn und Feinmotorik blieben beeinträchtigt. Auch ein starkes Schielen mit dem rechten Auge blieb zurück, was mit einem speziellen Brillenglas, so gut es geht, ausgeglichen wird. Bussinger ist dankbar dafür, dass es den Ärzten damals gelungen sei, ihn zu retten.
Führen eines Fahrzeugs, welcher Art auch immer, war ihm danach nicht mehr erlaubt – und auch gar nicht mehr möglich durch all die Beeinträchtigungen. Arbeiten wollte er aber wieder und er hatte das Glück, dass bei seinem Arbeitgeber eine geeignete Stelle in Basel, die er mit dem öffentlichen Verkehr erreichen konnte, gefunden wurde. Dort konnte er weiterarbeiten bis 1997. Dann schickte man ihn gegen seinen Wunsch in Frühpension.
Das Motorrad, mit dem er verunglückte, steht seit dem Umfall mehr oder weniger unangetastet in einem Lagerraum des Hauses. «Bei mir hat es den ‹Computer› zerschlagen und an meinem Töff ist nicht mal der Spiegel zu Bruch gegangen», staunt Bussinger jedes Mal, wenn er das beinahe unbeschadete Gefährt anschaut.
Diese und noch eine zweite Maschine, beide mit mehr als 50 Jahren auf dem Buckel, gehörten eigentlich längst restauriert, dessen ist sich Bussinger bewusst. Bisher konnte er sich noch nicht davon trennen. Er weiss aber, wer sie dereinst erben soll. Ein bisschen Wehmut, dass er sie nie mehr selber fahren kann, bleibt.