«Die Menschen haben gut zu mir geschaut»
18.08.2023 Bezirk Sissach, Kultur, Gemeinden, SissachDie Mühle feiert ihr 700-Jahre-Jubiläum – das Gemäuer weiss viel zu erzählen …
Im Jahr 1223 wurde die Sissacher Mühle erstmals urkundlich erwähnt. Das 700-Jahre-Jubiläum wird am 26. August gefeiert. Können Wände reden? Ausnahmsweise ja! Eine Mühlebewohnerin hat genau ...
Die Mühle feiert ihr 700-Jahre-Jubiläum – das Gemäuer weiss viel zu erzählen …
Im Jahr 1223 wurde die Sissacher Mühle erstmals urkundlich erwähnt. Das 700-Jahre-Jubiläum wird am 26. August gefeiert. Können Wände reden? Ausnahmsweise ja! Eine Mühlebewohnerin hat genau hingehört.
Esther Franov
Liebe Mühle, wir möchten Ihnen ganz herzlich zu Ihrem beeindruckend hohen Jubiläum gratulieren!
Mühle: Sehr freundlich, vielen Dank! Um ehrlich zu sein, bin ich vielleicht sogar noch ein paar Jährchen älter. 1223 ist einfach die erstmalige urkundliche Erwähnung meiner Wenigkeit. So wurde es jedenfalls von Quelle zu Quelle überliefert, ob es diese Ur-Urkunde allerdings überhaupt noch gibt oder jemals gab …?
Oha, dann sind Sie ja vielleicht viel älter als 700 Jahre oder auch viel jünger?
Kann sein. Aber man soll Feste feiern, wie sie fallen. Und unter uns gesagt, bezieht sich ein weiteres regionales Jubiläum auf die gleiche Urkunde. Damals hat uns der ehrenwerte Ritter Peter von Eptingen alle ans Kloster Olsberg verkauft – mich, Zunzkon, Diepphlikon, Gelterkingen …Übrigens, ich fühle mich gar nicht alt, darum darf man mich ruhig duzen. Ausserdem kennen wir uns ja!
Gerne! Wie kommt es, dass Du Dein Alter so gar nicht spürst? Papier ist ja geduldig, aber dendrologische Untersuchungen Deiner Balken haben eindeutig bewiesen, dass zumindest gewisse Bauteile von Dir 400 Jahre alt sind …
Da hast Du recht. Ich glaube, es liegt an zwei Dingen: Zum einen haben mich die Menschen immer sehr wertgeschätzt und bestens zu mir geschaut. Ich bin ja keine Ruine. Zweitens bin ich nicht einfach ein Relikt, das nur noch gepflegt wird, um als Zeitzeugin bestehen zu bleiben. In mir wurde schon immer gelebt und das wird es heute noch. Und jeder grössere und kleinere Tapetenwechsel hält jung!
Davon hast Du ja schon einige erlebt.
Allerdings. Zuerst war ich ja einfach ein rechteckiges, eingeschossiges Häuschen! Erst nach und nach wurde ich dann erweitert, erhöht, wieder erweitert, wieder erhöht, bis ich 1672 zu meiner jetzigen ausgewachsenen Figur fand. Ab dann wurde ich etliche Male umgebaut und umgenutzt.
Und das hat Dich nie gestört?
Im Gegenteil. Ich wurde immerzu verwandelt und ging sozusagen mit der Zeit. Aber um ganz ehrlich zu sein: Als ich 1905 das letzte Weizenkorn zu Mehl gemahlen hatte und mein Mühlrad endgültig zum Stillstand kam, da war mir schon ein wenig weh ums Herz. Doch wenig später entstanden dafür mehr Wohnungen in mir, die Arbeiterschaft der Seidenfabrik zog ein, das Leben kam zurück und das war schön! Es sind ja die Menschen, die ein Gebäude wie mich beleben.
Du hast schon vielen Menschen ein Zuhause gegeben in Deinem Leben, nehme ich an.
In der Tat, so vielen Menschen und so viele Geschichten …
Könntest Du einige mit uns teilen?
Dann beginne ich mit einer traurigen vom kleinen Mühliknaben Johannes. Johannes starb als Kind, denn damals, im 17. Jahrhundert, war die Kindersterblichkeit sehr hoch. Einige Jahre später kam sein Brüderchen auf die Welt, ebenfalls ein Johannes. Doch auch er starb. Erst das dritte Bübchen mit Namen Johannes wurde in meiner Obhut erwachsen, sodass der Name nicht mehr ein viertes Mal vergeben werden musste. Das waren harte Zeiten!
Das sind allerdings traurige Erinnerungen …
Doch die Geschichte geht weiter! Der Sohn ebenjenes Johannes, Jakob Senn, wurde später einer meiner aufmüpfigsten Müller. Als Rädelsführer stellte er sich in den Bauernkriegen gegen die Stadt Basel und schloss den Vogt auf der Farnsburg ein! Dafür wurde er eigentlich zu einer Galeerenstrafe verurteilt und sollte nach Venedig gebracht werden. Nur dank der Bittschriften seiner lieben Frau wurde er begnadigt! Es wurde ihm jedoch ein Bann auferlegt und er musste versprechen, «mein Lebtag ehr- und wehrlos sein, in dem Dorf und Bann zu Sissach verbleiben und mich aller ehrlichen Gesellschaften und Zusammenkünften aussert Besuchung des göttlichen Worts, auch aller Wirts und Weinhäuser bei Strafe des Schwertes zu enthalten, und mich zu ewigen Zeiten nimmermehr zu rächen».
Das war im Jahr 1653, in Deiner Jugendzeit, sozusagen … Kannst Du uns auch etwas aus dem aktuellen Jahrhundert berichten?
Gerne. Worauf ich besonders stolz bin: Ich wurde in diesem Jahrhundert, genauer 2010, als Pilotprojekt für die Anwendung eines damals ganz neuen Hochleistungsdämmputzes auserkoren. Man hat mich von meiner Zementverkleidung, die sowieso zu dicht war und meiner Substanz nicht gut bekam, befreit und meine Aussenfassade wurde ganz neu aufgebaut. Einige Wochen war ich darum ganz eingepackt, wie ein Kunstwerk von Christo! Dann wurde ich in ein Netz eingehüllt und anschliessend hat man mich mit Aerogel-Dämmputz bespritzt. Das war vielleicht ein Arbeiten an mir! Ein Vermessen, Analysieren und Diskutieren – das hätte ich mir nie träumen lassen …
Das sind für ein denkmalgeschütztes Haus ja ziemlich grosse Veränderungen.
Das stimmt. Zum kantonal denkmalgeschützten Gebäude wurde ich damals 1975, nach dem vorletzten grösseren Umbau. Das bedeutet strenge Auflagen für jegliche Veränderungen im Innen- und Aussenbereich. Dadurch wird meine historische Substanz geschützt. Ich profitiere seither von einer aufmerksamen Begleitung durch Fachpersonen der Denkmalpflege, was ich sehr zu schätzen weiss. Und ich bin stolze Trägerin des Minergie-Labels! Für Neubauten ist dies in der heutigen Zeit und mit den heutigen Möglichkeiten vielleicht normal, aber für eine so bejahrte Baulichkeit wie mich war das schon nicht einfach zu erreichen. Das ist nur dank des grossem Enthusiasmus und der Kompetenz der Baufachkräfte gelungen! Auch dank der engagierten Besitzerfamilie, insbesondere Emil Franov, der beharrlich nach optimalen Lösungen Ausschau gehalten und das Energiekonzept für mich ausgearbeitet hat. Sie alle haben so gezeigt: Das Minergie-Label ist auch für uns denkmalgeschützte Gebäude möglich!
Kommen wir zu Deinem grossen Tag. Bist Du schon nervös?
Nervös ist gar kein Ausdruck! Meine Grundfeste zittert! Aber ich freue mich enorm, mich am 26. August allen interessierten Menschen öffnen zu dürfen. Lange Zeit war ich doch einer der Mittelpunkte im Dorf. Mühle und Kirche – daran war einst kein Vorbeikommen, wollte man eine dörfliche Gemeinschaft entstehen lassen. Und auch heute noch verstehe ich mich als Teil des Dorfs und historisches Gut der Sissacher Bevölkerung, auch wenn meine Türen normalerweise nicht allen offen stehen. Nur jeweils am Donnerstagabend ist ein Kommen und Gehen. Dann holen die Abonnentinnen und Abonnenten der «Gmüeserei» Sissach ihre wöchentliche Gemüsetasche ab, die in meinem kühlen Gemäuer lagern.
Wie wirst Du Deinen grossen Tag feiern?
Am Morgen des 26. Augusts um 11 Uhr werde ich mein Garagentor und das Hoftor öffnen und ab dann alle herzlich willkommen heissen. Es wird Dorfrundgänge und Hausführungen geben, Vorträge und eine Fotoausstellung. Am Abend gibt es ein feines Gerstotto für die Hungrigen. Und natürlich darf Musik nicht fehlen! Ich habe einen hübschen Hof bei schönem Wetter und bei Regen kann man unter meinem grossen Dach im Dachstuhl sitzen und den Tropfen auf meinen Ziegeln zuhören.
700 Jahre Mühli Sissach
vs. Das Jubiläum wird am Samstag, 26. August, von 11 bis 23 Uhr an der Mühlegasse 6 in Sissach gefeiert. Zum Programm gehören mehrere Führungen und Vorträge:
– «Wasser auf die Mühle; die Mühli im dörflichen Kontext» (Ruedi Epple)
– «Hausführung; die Mühli im Wandel der Zeit» (Markus Zentner, Esther Franov)
– «Energetische Sanierung; Nachhaltigkeit für d’Mühli!» (Samuel Brunner, Empa, Dimitri Franov)
– «Denkmalschutz; Theorie und Praxis am Beispiel der Mühli» (Walter Niederberger, kantonale Denkmalpflege Baselland) Um 18 Uhr gibt es Live-Musik mit dem Duo Accobella (Ariane Rufino dos Santos, Stefan Zemp). Um 20 Uhr folgt der Auftritt von «by jence», einem jungen Acoustik-Folk-Duo aus dem Oberbaselbiet. Ferner wird im Schopf eine Fotoausstellung gezeigt. Getränke und Kaffee und Kuchen gibts den ganzen Tag sowie ein «Mühli-Gerstotto uf em Füür» ab 18 Uhr.
Die genauen Zeiten der Führungen und Vorträge sind auf www.muehlifest.com publiziert.