Heimatkunde bringt Land und Stadt zusammen
25.07.2023 Bezirk Sissach, Häfelfingen, NaturFreiwillige haben eine umfassende Pflanzenliste vom Gebiet der Gemeinde erste de Pflanzenliste vom Gebiet der Gemeinde erstellt
Müsste die Gemeinde Häfelfingen eine für sie typische Pflanze wählen, dann könnte das nur die Teufelskralle sein. Sie wächst noch zu Hunderten auf ...
Freiwillige haben eine umfassende Pflanzenliste vom Gebiet der Gemeinde erste de Pflanzenliste vom Gebiet der Gemeinde erstellt
Müsste die Gemeinde Häfelfingen eine für sie typische Pflanze wählen, dann könnte das nur die Teufelskralle sein. Sie wächst noch zu Hunderten auf Häfelfinger Magermatten. In anderen Gemeinden fehlt sie oder ist selten. Diese blaue Rapunzelart war auch der Ausgangspunkt für eine grosse Pflanzen-Bestandesaufnahme.
Andres Klein
Die Gemeinde Häfelfingen ist daran, ihre erste Heimatkunde zu erstellen. Ein engagiertes Team hat unter der Leitung von Marcel Schoch ein interessantes Konzept erstellt: Häfelfingen will keinen dicken Wälzer für das Bücherregal herausbringen, sondern versucht, die neuen Medien zu nutzen. Neben einem handlichen Buch soll eine Homepage entstehen. Das hat den Vorteil, dass Informationen aktualisiert werden können und Neues sofort aufgeschaltet werden kann. So gibt es auch die Möglichkeit, vermehrt mit Bildern und Videos zu arbeiten.
Da die Finanzmittel in einer kleinen Gemeinde mit 260 Einwohnerinnen und Einwohnern sehr beschränkt sind, konzentrierte sich das Team auf die Themen, für die es Fachleute im Dorf gibt. Dazu braucht es Einwohnerinnen und Einwohner, die das Wissen und die Zeit haben um zu forschen, zu fotografieren und zu schreiben.
Vielfältige Landschaft
Die Gemeinde Häfelfingen am Nord- und Westhang des Wisenbergs hat eine Fläche von vier Quadratkilometern und weist vom tiefsten bis zum höchsten Punkt eine Höhendifferenz von beachtlichen 527 Metern auf. Zudem liegt die Gemeinde sowohl im Tafel- als auch im Kettenjura, was zur Folge hat, dass neben Ackerflächen auch Mähwiesen, Weiden, verschiedenartige Wälder sowie Felsabbrüche und steile Talflanken die Landschaft prägen. In einer so vielfältigen Landschaft sind viele unterschiedliche Tiere und Pflanzen zu erwarten. Da zu Beginn des Projekts noch keine Biologiefachleute zur Verfügung standen, wollte man vorerst auf dieses Kapitel in der Heimatkunde verzichten.
Ein Vertreter des Vereins Flora beider Basel (siehe Kasten) vernahm dies und meldete sich bei der Kommission, denn eine Heimatkunde ohne Pflanzen und eine Häfelfinger Heimatkunde ohne Teufelskralle wären unvollständig. Er schlug vor, mit Freiwilligen eine möglichst vollständige Pflanzenliste aus dem Häfelfinger Bann zu erstellen. Die Heimatkunde-Kommission nahm dieses Angebot dankend an. Dadurch wird das Werk um ein wichtiges Kapitel, das für die Gemeinde von grosser Bedeutung ist, reicher und die Freiwilligen erhalten Gelegenheit, mit ihrer Arbeit und ihrem Wissen direkt einen Nutzen zu erzielen.
Mehr als 400 Pflanzenarten
Am letzten Wochenende im Juni schwärmten rund 20 Freiwillige aus und nahmen die Pflanzen der Gemeinde im wahrsten Sinne unter die Lupe. Von der Bergmatte bis ins «Chrintel» und von den Reben bis auf den Ramsach wurden Wiesen, Weiden, Wälder, andere Lebensräume und auch der Siedlungsraum nach Gewöhnlichem und Seltenem abgesucht und das Gefundene festgehalten. Arten, die nicht sofort erkannt wurden, sind zu einem späteren Zeitpunkt gemeinsam oder zu Hause unter dem Binokular bestimmt worden. Am Ende dieser beiden Tage waren 1064 neue Fundmeldungen von mehr als 400 Pflanzenarten in die Datenbank in Bern eingeflossen. Nimmt man alle Fundmeldungen von Freiwilligen von Flora beider Basel aus Häfelfingen aus dem Jahre 2023, so sind das sogar mehr als 1300 Meldungen.
Am ersten Tag der Bestandesaufnahme wurden die Kartiererinnen und Kartierer von Marcel Schoch und vom ehemaligen Gemeindepräsidenten Eugen Strub im Dorf begrüsst und zu einem Mittagessen auf der Bergmatte eingeladen. Nach der Pflanzensuche an den steilen Hängen des Wisenbergs wurden die Freiwilligen nach Strich und Faden von allen Kommissionsmitgliedern verwöhnt. Zum Dessert gab es selbstverständlich einheimische Kirschen, die Eugen Strub und Arlette Nebiker extra gepflückt hatten. Die angehende Bäuerin interessierte sich besonders für die Arbeit der Fachleute, da sie während ihrer Ausbildung ein umfassendes Herbar zu erstellen hat. Nach dem Essen entstanden interessante Gespräche über Naturschutz, Düngung, Schnittzeitpunkt, Artensterben und die bunten Arten, die entdeckt worden waren.
Eine Art kultureller Austausch
Der grösste Teil der Kommission stammt aus dem bäuerlichen Umfeld, während bei den Freiwilligen die meisten aus einem städtischen Gebiet kommen. Mehr als drei Viertel von ihnen waren vorher noch nie in Häfelfingen. Es war somit nicht nur ein botanisches Fachsimpeln, sondern auch eine Art kultureller Austausch in friedlicher Atmosphäre. Verschiedene der urbanen Gäste waren erfreut über die unerwartete herzliche Gastfreundschaft. Einen prägenden Eindruck hat auch der ehemalige Bürgerrat, Waldchef und Landwirt Willi Schmutz hinterlassen, zeigte er den Ortsfremden doch einige Fundorte von seltenen Pflanzenarten. Zudem führte er eine Gruppe zum Fundort eines Gelben Enzians, der vor 35 Jahren zum letzten Mal dokumentiert worden war. Eine Kartierungsgruppe liess sich von der innovativen Bäuerin Katharina Bitterli das Seidenraupen-Projekt vorstellen und berichtete danach den übrigen Teilnehmenden voller Begeisterung.
Erstmals dokumentiert
Eine erste Auswertung der Meldungen ergab, dass etwas mehr als 100 Arten zum ersten Mal in Häfelfingen gefunden wurden. Diese Zahl erscheint hoch, muss aber mit Vorsicht interpretiert werden. Denn es wurde noch nie von so vielen Leuten so intensiv nach Arten gesucht. Viele häufige und alltägliche Arten sind bisher gar nie notiert worden, da sich auch Botanikerinnen und Botaniker eher für das Seltene und Schöne als für das Unscheinbare und das Kleine interessieren. Hinzu kommt, dass sehr viele Neufunde aus dem Siedlungsraum stammen, wo noch nie eine Erhebung stattfand und wo auch viele Gartenflüchtlinge und Neophyten gefunden wurden.
Arten sind verschwunden
Weiter ist zu beachten, dass auch einige Arten vor Jahren noch gefunden wurden und heute ausgestorben sind. Besonders zu erwähnen bleibt die Beobachtung der anwesenden Landwirte, dass viele Arten nicht ganz verschwunden sind, sondern lediglich ihre Häufigkeit in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen habe.
Vonseiten einzelner Kartierer besteht das Angebot, die gewonnenen Daten so aufzubereiten und zu interpretieren, dass sie in der Heimatkunde publiziert werden und hoffentlich auch regelmässig aktualisiert werden können. Auch wenn die gewonnenen Daten noch nicht vollständig ausgewertet sind, bleibt neben einer Erinnerung an einen schönen gemeinsamen Tag die gemeinsame Erkenntnis, dass das Problem des raschen Verschwindens vieler Blumenwiesenarten aktiv angegangen werden muss.
Alle Teilnehmenden waren gespannt auf die Ergebnisse der beiden Kartiertage und ebenso darauf, wie sich die Pflanzenwelt von Häfelfingen weiterentwickeln wird infolge der anstehenden politischen Entscheidungen zum Klimawandel, Artensterben und zu Bewirtschaftungsvorgaben.
Andres Klein (Gelterkinden) ist Botaniker. Er ist Autor unserer regelmässigen Kolumne «Ahnig vo Botanik».
Citizen Science-Projekt
ak. Flora beider Basel ist ein Citizen Science-Projekt, auf Deutsch Bürgerforschung genannt. In Citizen Science-Projekten sammeln in der Regel Laien und Fachleute freiwillig und unentgeltlich Daten zu einem bestimmten wissenschaftlichen Ziel. Flora beider Basel ist ein Projekt der wichtigen regionalen Naturschutzorganisationen, der botanischen Gesellschaft Basel, von WaldbeiderBasel und der Uni Basel. Das Projekt hat zum Ziel, möglichst viele Pflanzenarten zu finden und über eine App zu dokumentieren. Die Daten werden für die ganze Schweiz in einer Datenbank gespeichert, die Planerinnen, Wissenschaftlerinnen und kantonalen Angestellten sowie Interessierten zur Verfügung gestellt werden. Die rund 80 aktiven Freiwilligen von Flora beider Basel haben in den vergangenen zwei Jahren bereits gegen 56 000 Funde gemeldet. Darunter finden sich neben seltenen, geschützten und bedrohten Arten auch Neufunde für die Region. Das Projekt wird von Ramon Müller geleitet. Wer sich dafür interessiert, kann sich auf www.florabeiderbasel.ch informieren oder direkt mit ramon.mueller@unibas.ch Kontakt aufnehmen.
Teufelskralle (Düüfelschralle)
ak. Die Rundköpfige Rapunzel, auch Teufelskralle genannt, gehört zu den Glockenblumengewächsen. Sie ist selten auf mageren Wiesen und Weiden anzutreffen. Auffallend sind die Blütenstände: Zahlreiche blaue Blüten werden von Hüllblättern zu einem kugeligen Kopf zusammengefasst. Vor dem Aufblühen sind die noch geschlossenen röhrenförmigen Blüten wie Finger zur Kopfmitte gekrümmt. Da der Teufel ebenfalls nach innen gekrümmte Krallen haben soll, hat die Pflanze diesen Namen erhalten.
Diese Art wächst im Baselbiet nur in den höheren Lagen des Kettenjuras. Die jungen Blätter dieser Waldpflanze können als Spinat gegessen werden. Die Wurzel kann gekocht auch als Gemüse genossen werden. Medizinische Anwendungen sind keine bekannt. Da die Rundköpfige Rapunzel vor und nach der Blüte nur schwer in ihrer Umgebung zu sehen ist und sie sehr kurz blüht, entsteht der Eindruck, die Art wachse jedes Jahr an einem anderen Ort. Dabei hat man dann nur den Zeitpunkt der Vollblüte verpasst.
Spezielle Neufunde
ak. Im «Chrintel» wurde zum ersten Mal auf Häfelfinger Boden die Pimpernuss (Staphylea pinnata) nachgewiesen. Nach Erna Tribelhorn (1921–2017) – sie war unter anderem Flurnamenforscherin – stammen die Pflanzen von Samen ab, die den elsässischen Pilgerinnen von ihren Kränzchen gefallen waren, als sie Richtung Einsiedeln pilgerten.
Folgende drei Farne wurden zum ersten Mal genau bestimmt und sind deshalb neu für Häfelfingen: der recht häufige Adlerfarn (Pteridium aquilinum), der oft übersehene Dornige Wurmfarn (Dryopteris carthusiana) und der Zerbrechliche Blasenfarn (Cystopteris fragilis), der an schattigen feuchten Lagen an Felsen wächst.
An Orchideen wurden die Violette Stendelwurz (Epipactis purpurata) und eine andere, leider unbestimmbare Stendelwurz gefunden. Der Gelbe Enzian (Gentiana lutea) ist ein typischer Kalkzeiger und kommt im westlichen Kettenjura so häufig vor, dass er als Unkraut bekämpft oder seine Wurzeln zu Schnaps gebrannt werden. Das Vorkommen in Häfelfingen ist eines der östlichsten in der Schweiz.
Der neu gefundene Süsse Tragant (Astragalus glycyphyllos) ist typisch für Waldränder, kommt dort aber nicht sehr häufig vor. Seine Blätter schmecken süsslich und werden gerne vom Rehwild gefressen.
Im Siedlungsgebiet wurden verschiedene Gartenflüchtlinge neu entdeckt, die zum Teil zu den invasiven Neophyten gehören und bekämpft werden müssten. Es sind dies: Essigbaum (Rhus typhina), Kirschlorbeer (Prunus laurocerasus), Mahonie (Mahonia aquifolium), Kanadische Goldrute (Solidago canadensis) und Fünffingerige Jungfernrebe (Parthenocissus quinquefolia).