Schule mit Spuren von «Summerhill»
05.05.2023 Bezirk Sissach, SissachPrivatschule Nova ist fünf Jahre nach ihrem Start ausgelastet
Vor bald fünf Jahren hat in Sissach die Privatschule Nova ihren Betrieb aufgenommen. Inzwischen hat sie ihren Wunschbestand von 30 Kindern und Jugendlichen erreicht. Mit einem Tag der offenen Tür gewähren die Schülerinnen ...
Privatschule Nova ist fünf Jahre nach ihrem Start ausgelastet
Vor bald fünf Jahren hat in Sissach die Privatschule Nova ihren Betrieb aufgenommen. Inzwischen hat sie ihren Wunschbestand von 30 Kindern und Jugendlichen erreicht. Mit einem Tag der offenen Tür gewähren die Schülerinnen und Schüler Einblick in ihre Räume und vor allem in die pädagogischen Grundsätze.
Jürg Gohl
Der Antrag eines Schülers lautet: Wollen wir uns für 20 Franken Chinapapier für Origami leisten? Zwei ältere Schüler leiten diesen Morgen an der Schule Nova die tägliche Schulversammlung um jeweils 10 Uhr und erteilen das Wort. Neben Mitteilungen und Anregungen gehören da auch Anträge zum Inhalt, wie eben die Anschaffung des speziellen Faltpapiers. Die monatlich zur Verfügung stehenden 50 Franken für Material sind Anfang Mai noch unangetastet. Also sind die Meinungen schnell gemacht, die Ausgaben werden von den Schülerinnen und Schülern (fast) einstimmig bewilligt, auf eine «zweite Lesung», wie es die Moderatoren nennen, wird ebenfalls einstimmig verzichtet.
Marianne Plattner, die die Schule leitet, sitzt mitten unter den Schülern und stimmt dem Antrag ebenfalls zu. Doch ihre Stimme hat nicht mehr Gewicht als die aller anderen bis hin zum Fünfjährigen im Saal. Wenn sie etwas beizusteuern hat, und das kommt in ihrer Rolle oft vor, so erhebt sie im Rund die Hand und wartet, bis ihr das Wort erteilt wird.
Wie einst «Summerhill»
Nur am Anfang der Versammlung rückt sie in den Mittelpunkt, weil sie das Schullied auf der Gitarre begleitet, das sie und ihr Ehemann Pfarrer Matthias Plattner auf die Melodie von «Lady in Black» gedichtet haben und das mit variierender Inbrunst gesungen wird. Aber sonst läuft alles antiautoritär ab wie damals in der legendären «Summerhill School».
Morgen Samstag lädt die Schule zum Tag der offenen Tür ein, und da muss noch vieles auf die Reihe gebracht werden. So wird nach der Schulversammlung, die per Beschluss ebendieser Versammlung für alle obligatorisch ist, die Mehrheit damit beschäftigt sein, Führungen für diesen speziellen Tag zu trainieren. Denn nicht die sechs «Mitarbeitenden», wie sie sich, den Begriff «Lehrpersonen» vermeidend, bezeichnen, erklären den Gästen ihr Refugium an der Hauptstrasse 134 in Sissach. Das ist Aufgabe der Kinder.
Mit 30 Kindern am Ziel
Die gelebte Demokratie galt vor fünf Jahren, als die Schule mit sieben Kindern mutig eröffnet wurde, als der wichtigste Unterschied zur Regelschule. Inzwischen sind es 30 Jugendliche zwischen 5 und 16 Jahren, darunter zwei Kinder mit Migrationshintergrund. Die Schüler stellen aktuell die Mehrheit, Schülerinnen die Minderheit. Damit hat die Schule Nova, die ihren Namen selber in Grossbuchstaben schreibt, die angepeilte Sollgrösse erreicht. Zwei 16-Jährige werden im Sommer ausscheiden und eine Lehre in Angriff nehmen.
Noch vor der demokratischen Struktur fällt einem beim Besuch auf, dass an der Schule sämtliche Alters- und Klassenstrukturen aufgelöst sind – Jahrgangsklassen adé. Die «Mitarbeitenden» verstehen sich nicht als klassische Erzieher und Wissensvermittler, sondern eher als Coaches, welche die Schülerinnen und Schüler anweisen und beraten. Dazu gehört halt auch, die Älteren nötigenfalls darauf aufmerksam zu machen, dass Französisch auch zum Stoff zählt, den sie bis zum Abschluss intus haben müssen. Es werden alle Fächer angeboten.
Die Altersdurchmischung
Nach einer Einlaufzeit, welche die Schüler selber bestimmen, beginnt der offizielle Unterricht um zehn Uhr mit der Versammlung. Danach verteilen sie sich in verschiedene Räume, die jüngsten ziehen das Spielzimmer vor, umgekehrt gibt es eine Bibliothek, ein Musikzimmer und einen Raum für stilles, konzentriertes Arbeiten. Alle essen am Mittag gemeinsam. Die Schülerinnen und Schüler haben unter sich auch ein Rechtskomitee gewählt, das bei Regelverstössen und Streitereien interveniert, schlichtet und Konsequenzen spricht.
«Die Altersdurchmischung halte ich für unsere beste Errungenschaft», sagt Leiterin Marianne Plattner. Lange arbeitete sie als Lehrerin an Regelschulen, sass selber sogar im kantonalen Bildungsrat, befasste sich dabei aber schon lange mit alternativen Schulformen. Schliesslich entschloss sie sich, eine Privatschule zu gründen, an der die Kinder «weniger müssen und mehr dürfen», wie sie es ausdrückt. Diese Schule richtet sich nach dem sogenannten Sudbury-Modell. Noten gibt es keine. Es gehört zur Selbstverantwortung, sich selber einzuschätzen oder ein Urteil dazu einzuholen.
Die Schule Nova zählt zu den insgesamt 23 vom Kanton bewilligten Privatschulen im Bereich der obligatorischen Volksschule. Bekanntere Vertreter sind die Rudolf-Steiner-Schulen oder die International School. 2006 wurde eine Initiative, die forderte, dass der Kanton auch die Kosten für Privatschulen trägt, mit fast 80 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.