Frieden auf Erden
23.12.2022 Baselbiet, KircheGedanken zu Weihnachten von Pfarrerin Melanie Muhmenthaler
«Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens», singen die Engel in der Weihnachtsgeschichte. Diese Worte werden dieser Tage in vielen Kirchen gelesen und in Liedern ...
Gedanken zu Weihnachten von Pfarrerin Melanie Muhmenthaler
«Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens», singen die Engel in der Weihnachtsgeschichte. Diese Worte werden dieser Tage in vielen Kirchen gelesen und in Liedern besungen.
Frieden auf Erden.
Diese Botschaft scheint auch dieses Jahr so entgegen unserer Realität zu stehen. Seit zehn Monaten herrscht ein Krieg in der Ukraine – in Europa. Dieser Krieg kommt uns nahe, sowohl geografisch als auch durch die komplexen wirtschaftlichen Zusammenhänge, deren Auswirkungen wir spüren.
Auch die Nachrichten aus dem Iran beschäftigen mich in dieser Zeit. Frauen und Männer, die für ihre grundlegenden Rechte einstehen und dafür gefangen genommen, gefoltert und schlimmstenfalls hingerichtet werden. Ähnliches in Afghanistan, wo ebenfalls Rechte der Frauen nach und nach immer mehr beschnitten werden.
Die Fussball-WM in Katar klingt noch etwas nach und mit ihr die Kritik an einer korrupten Fifa und der prekären Menschenrechtslage an diesem Austragungsort.
Frieden auf Erden.
Wie kann man angesichts dieser Nachrichten diese frohe Botschaft feiern, ohne zynisch oder naiv zu klingen? Das frage ich mich dieser Tage immer wieder.
«Es geschah aber in jenen Tagen, dass ein Erlass ausging, vom Kaiser Augustus, alle Welt solle sich in Steuerlisten eintragen lassen.» So beginnt die Erzählung von Jesu Geburt im Lukasevangelium.
Bedeutung der Geburt Jesu
Lukas ordnet die Geburt Jesu zeitlich in die Regierungszeit des Kaisers Augustus ein. Dieser römische Kaiser zeichnete sich aus durch seinen «römischen Frieden», den «Pax Romana». Er hatte erreicht, dass nach vielen Bürgerkriegen im römischen Imperium Frieden herrschte. Das hiess jedoch nicht, dass es an den Rändern seines Imperiums nicht doch zu kriegerischen Auseinandersetzungen kam. Denn Augustus vergrösserte das römische Reich und führte dafür zahlreiche bewaffnete Eroberungskämpfe. Dies widersprach keineswegs seinem Bild als Friedenskaiser.
Sich in Steuerlisten eintragen müssen, ist der Beginn dieser «Pax Romana». Maria und Joseph müssen dafür nach Bethlehem reisen, da Joseph aus dem «Geschlecht Davids» ist und Bethlehem die Stadt Davids ist.
Lukas beschreibt damit nicht historische Tatsachen, er beschreibt vielmehr etwas über die Bedeutung dieses Jesus, der da geboren werden wird. Denn wenn Jesus der Messias ist, muss er in Bethlehem geboren werden, wie es in den biblischen Propheten geschrieben steht. Der Messias bringt Frieden in die Welt, aber keinen Frieden mit kriegerischen Eroberungskämpfen, wie die des Augustus.
Dieser Messias ist ein Nachfahre des grossen Königs David. David war Hirte, bevor er König wurde. Darum waren auch in der Weihnachtsgeschichte von Lukas «Hirten in jener Gegend auf freiem Feld und hielten in der Nacht Wache bei ihrer Herde».
Diesen Hirten erscheinen die Engel und berichten von diesem Kind, das geboren wurde. Bevor sie die Botschaft hören können, erschrecken die Hirten und Hirtinnen zutiefst. Ihnen begegnet der Glanz Gottes, was eher furchterregend und mysteriös wirkt. «Fürchtet euch nicht» spricht es aus diesem Gottesglanz und der Engel erzählt von der Geburt eines Kindes.
Mit religiös aufgeladenen Titeln wird es bezeichnet: der Retter, der Gesalbte, der Herr. Das griechische Wort «kyrios», das mit «Herr» übersetzt wird, ist die Anrede für den Kaiser. Hier wird ein ganz anderer Kyrios geboren, der dem Kaiser Augustus entgegensteht, sagt Lukas damit. Im Gegensatz zu diesen Ehrentiteln stehen der Ort und die Art, wie die Hirten dieses Kind vorfinden werden: in einer Futterkrippe ausserhalb der Herberge.
Und dann singen die Engel: «Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.»
Friede auf Erden war auch damals nicht.
Lukas inszeniert die Geburt Jesu als eine Art Gegenentwurf und Kritik der aktuellen politischen Lage und zu Augustus’ Friedenspolitik. Zahlreiche Anspielungen darauf finden sich in seiner Weihnachtsgeschichte. Aber auch zahlreiche Bezüge zu biblischen Texten aus dem Alten Testament. Und auch Paradoxes schreibt Lukas: Der Retter in Windeln ohne Herberge. Der Gesalbte, von dem Hirten und Hirtinnen und nicht der König oder die Priester als Erstes erfahren.
Frieden auf Erden in einer unfriedlichen Welt.
Weihnachten ist ein Gegenentwurf zur Logik der Mächtigen. Weihnachten hat darum für mich auch etwas Trotziges und Widerspenstiges.
Mir ist deshalb die biblische Weihnachtsgeschichte sehr wichtig. Und es tut mir weh, dass sie je länger, je mehr in Vergessenheit zu geraten scheint. Sie passt einfach nicht zu den Vorstellungen eines Weihnachtsfestes, wie es mir aus Film, Fernsehen und Erzählungen entgegenspringt.
Es geht um Hoffnung
Natürlich gehören das Zusammensein mit der Familie, sich gegenseitig zu beschenken und feines Essen auch für mich zu Weihnachten. Doch geht es um mehr als um die Familie. Es geht um mehr als eine vermeintliche harmonische Idylle.
Frieden auf Erden.
Es geht in ihr nicht um das Übertünchen oder Ausblenden von schlimmen und hoffnungslos erscheinenden Zuständen in der Welt.
Es geht um Hoffnung trotz allem und um die Botschaft, dass Gott in diese Welt kommt und ihr etwas entgegenhält.
An Weihnachten 1914 in den Schützengräben in Flandern begann ein deutscher Soldat das Lied «Stille Nacht, heilige Nacht» zu singen. Alle stimmten ein, sowohl deutsche als auch britische Soldaten auf der anderen Seite der Gräben. Sie feierten gemeinsam Weihnachten, legten die Waffen nieder, spielten Fussball, tauschten kleine Geschenke aus.
Die Logik des Krieges wurde einen Moment lang unterbrochen. «Wir sind Sachsen, ihr seid Anglosachsen, warum sollten wir uns gegenseitig erschiessen?», wird einer der Soldaten zitiert.
Der Krieg wurde nach diesem Weihnachten trotzdem noch vier weitere Jahre geführt und kostete etwa 17 Millionen Menschen das Leben. Und doch wirkt diese Geschichte der gemeinsam feiernden feindlichen Soldaten bis heute nach und ist ein kleines Hoffnungszeichen. Was wäre, wenn die Soldaten Weihnachten durchgezogen und die Waffen dauerhaft niedergelegt hätten?
Frieden auf Erden – Hoffnung trotz allem.
Das bedeutet Weihnachten für mich. Widerspenstig und trotzig zu glauben und vertrauen, dass Gott der Gleichgültigkeit und Hoffnungslosigkeit etwas entgegensetzt.
Es bedeutet für mich, diese biblische Weihnachtsgeschichte zu erzählen und auszulegen und zu hoffen, dass die Menschen sie wieder neu hören und kennenlernen möchten.
Und, dass sie daraus Kraft und Hoffnung ziehen, der Logik des Unrechts und der Kriege zu misstrauen und zu widerstehen.
Melanie Muhmenthaler
Melanie Muhmenthaler ist Pfarrerin in der reformierten Kirchgemeinde Diegten-Eptingen.