«Menschen brauchen liebevolle Begegnungen»
22.11.2022 Gesellschaft, Porträt, LausenPfarrer Daniel Meichtry über Christsein und Gerechtigkeit
Daniel Meichtry ist seit August vollamtlich reformierter Pfarrer in Lausen. Im Pfarrteam der drei Gemeinden engagiert er sich zudem weiterhin in Bubendorf und Ramlinsburg. Und in seiner Freizeit setzt er sich für das von ihm ...
Pfarrer Daniel Meichtry über Christsein und Gerechtigkeit
Daniel Meichtry ist seit August vollamtlich reformierter Pfarrer in Lausen. Im Pfarrteam der drei Gemeinden engagiert er sich zudem weiterhin in Bubendorf und Ramlinsburg. Und in seiner Freizeit setzt er sich für das von ihm gegründete Hilfswerk «Vision Ost» ein.
André Frauchiger
Daniel Meichtry, das wird im Gespräch sofort klar, ist ein Mann der Tat. Der christliche Glaube ist für ihn Auftrag, sich für mehr Gerechtigkeit in der Welt zu engagieren. Soziale Fragen stehen für ihn im christlichen Sinn im Zentrum seines Engagements. Doch alles der Reihe nach: Der heute 55-jährige Daniel Meichtry ist, wie sein Dialekt unschwer verrät, ein Berner, genauer ein Emmentaler. Dort, in Kirchberg, ist er auch aufgewachsen. Mit 16 Jahren kam er in die Region Basel nach Schweizerhalle, wo er bei einem Pharmaunternehmen eine dreijährige Chemielaboranten-Lehre absolvierte.
Sein damals grösstes Hobby: Tischtennis. Er war bei dieser Sportart erfolgreich – und schaffte es in die Nationalliga B. Schon träumte er von einem Tischtennis-Profi-Leben. Er ging als 20-Jähriger nach der Lehre sogar für ein Jahr als Profispieler nach Budapest. Er wollte Top-Spieler werden. Doch es sollte anders kommen: Verschiedene Verletzungen zwangen ihn, seinen Traum aufzugeben.
Heute bilanziert er ganz klar: «Das war mein erster Bruch im Leben.» Er kam ins Nachdenken darüber, was ihn im Leben trägt, was für ihn entscheidend ist. In Schweizerhalle begann er sich auch für soziale Fragen der Arbeiterschaft zu sensibilisieren.
Doch für ihn steht heute fest, dass ihn mehrere Brüche im Leben auch als Menschen weitergebracht haben. Eine grosse Rolle in seiner persönlichen Entwicklung während der «Sturmund-Drang-Zeit» spielte seine Grossmutter, die ihm auf ihre geradlinige Weise vorlebte, was Glaube ist, wie er heute betont.
Entscheid für Theologie
Es folgten verschiedene Engagements in der Freizeit, unter anderem in der kirchlichen Jugendarbeit. Schliesslich entschied er sich, berufsbegleitend die Matura zu machen. Alte Sprachen interessierten ihn seit jeher. Er wollte aber nicht Lehrer werden. In einem zweiten Schritt entschloss er sich dann, gefestigt im Glauben, für die Theologie. Er studierte in Basel und machte seinen Abschluss in Bern.
Während des Studiums lernte er auch seine Frau Yvonne kennen, die ebenfalls Theologie studierte. Noch während des Studiums heirateten sie. Es folgte für sechs Jahre eine erste 60-Prozent-Pfarrstelle im bernischen Lengnau. In dieser Zeit wurde er Vater von zwei Kindern, von Nahum und Jael. Seine Frau Yvonne schloss ihr Theologiestudium später ebenfalls ab. Daraufhin fassten sie den Beschluss, eine Pfarrstelle zu suchen, die sie sich teilen können. Vor zwölf Jahren erhielten sie diese Möglichkeit in der Kirchgemeinde Bubendorf-Ramlinsburg. Er arbeitete mit einem Pensum von 60 Prozent, seine Frau Yvonne zuerst 40 und später auch 60 Prozent.
Und nun hat er am 1. August dieses Jahres die 100-Prozent-Stelle in Lausen angetreten, als Nachfolger von Pfarrer Hardy Meyer. Die beiden Kirchgemeinden Lausen und Bubendorf-Ramlinsburg haben ein gemeinsames Pfarr- und Sozialdiakonie-Team. Deshalb wird er zum Teil auch an seinem alten Wirkungsort in Bubendorf-Ramlinsburg tätig sein. Seine bisherige 60-Prozent-Stelle musste von den Kirchgemeinden aus Spargründen gestrichen werden.
Fünfjährige Unterstützung
Daniel Meichtry sieht, wie er unterstreicht, sein Wirkungsfeld als Pfarrer auf lokaler und regionaler, aber auch auf internationaler Ebene. Er gründete das Hilfswerk «Vision Ost», das sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelte, und wurde dessen Geschäftsführer.
Nur ein paar Zahlen: «Vision Ost» ist heute mit rund 250 Mitarbeitenden in sechs Ländern tätig, hat über 150 Kirchgemeinden gegründet, hat über die Jahre rund 400 Strassenkinder begleitet, betreibt 5 Waisenhäuser und 20 Rehazentren und verteilt täglich Essen an rund 250 Kinder und Obdachlose. Auch die Hilfe für Behinderte wird grossgeschrieben. Die Mitarbeitenden sind Leute aus den jeweiligen Ländern. Ein Projekt wird jeweils fünf Jahre lang mit Spenden unterstützt, dann muss es auf eigenen Beinen stehen.
Daniel Meichtry war selbst auch für ein Jahr für sein Hilfswerk in der sibirischen Stadt Nischni Tagil tätig und baute in dieser grossen Industriestadt östlich des Urals, also bereits im asiatischen Teil, mit Gleichgesinnten die evangelisch-christliche Jugendarbeit auf. Die Erlebnisse in den 1990er-Jahren – in der Zeit des grossen Umbruchs in Russland – waren für ihn sehr prägend.
Daniel Meichtry setzt bei «Vision Ost» nun jüngere Kräfte ein und übergibt viel Verantwortung an andere Mitarbeitende. In seiner Freizeit wird er im Rahmen des zeitlich Möglichen vor allem auf strategischer Ebene noch Unterstützung leisten. Grundsätzlich sei es an der Zeit, beim Hilfswerk neue Führungskräfte wirken zu lassen, um das Ganze breiter abzustützen, unterstreicht er.
Seelsorge und Verkündigung
Mit seiner neuen Pfarrstelle in Lausen sei er, im Verbund mit der zweiten Kirchgemeinde Bubendorf-Ramlinsburg, voll ausgelastet und wolle sich hier auf die spezifischen Aufgaben in den Kirchgemeinden konzentrieren, insbesondere in der Seelsorge und Verkündigung. Eine lokale Verankerung und eine weltweite Perspektive seien für ihn in der täglichen Kirchenarbeit aber von besonderer Bedeutung.
Wichtig ist dem neuen Lausner Pfarrer die Beziehungspflege, die Seelsorge von Mensch zu Mensch. Meichtry: «Ich bin der Hauptpfarrer für die Lausner Bevölkerung.» Zwei Aufgaben seien für ihn dabei zentral: Erstens die älteren Mitglieder der Kirchgemeinde im letzten Lebensabschnitt zu begleiten und für sie da zu sein. Und zweitens soll die Lausner Kirche im Dorf verankert sein. Hierfür brauche es auch interessante Angebote wie zum Beispiel Podiumsdiskussionen mit Themen wie «Die Kunst zu sterben». Eine Veranstaltung zu diesem spezifischen Thema wurde erfolgreich in Bubendorf durchgeführt.
Meichtry zusammenfassend: «Ich will die Menschen in ihren aktuellen Lebenslagen unterstützen. Nur der sonntägliche Gottesdienst ist hierfür nicht ausreichend. Menschen brauchen Unterstützung in der Situation, in der sie sich gerade befinden, und es braucht liebevolle Begegnungen in der Gemeinde.»