Gemüse blühen lassen und nicht essen
29.11.2022 Bezirk Liestal, NaturPro-Specie-Rara-Workshop zur Förderung alter Schweizer Sorten
Gegen 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten das Angebot, um in der Kantonsbibliothek Liestal mehr zum Thema Saatgutgewinnung zu erfahren. Sie helfen künftig im Auftrag der Organisation Pro Specie Rara mit, alte ...
Pro-Specie-Rara-Workshop zur Förderung alter Schweizer Sorten
Gegen 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten das Angebot, um in der Kantonsbibliothek Liestal mehr zum Thema Saatgutgewinnung zu erfahren. Sie helfen künftig im Auftrag der Organisation Pro Specie Rara mit, alte Gemüsesorten zu erhalten.
Brigitt Buser
Durch den Workshop führte Nicole Egloff, die während 15 Jahren bei Pro Specie Rara als Medienverantwortliche tätig war und heute als freie Journalistin arbeitet. Im ersten Teil führte sie durch die Geschichte der Entstehung der Kulturpflanzen. In der Jungsteinzeit, noch bevor die Menschen sesshaft wurden, waren sie als Jäger und Sammler unterwegs. Neben Fleisch standen gesammelte Wildkräuter, -beeren und Wurzeln auf dem Speiseplan. Nur ganz wenige der heute gebräuchlichen Gemüsearten wuchsen wild und wurden in unseren Breitengraden genutzt, so zum Beispiel die Pastinake.
Als der Mensch sesshaft wurde und auch Ackerbau betrieb, war er natürlich darum bemüht, Saatgut zu gewinnen, um im kommenden Jahr wieder ernten zu können. Dies ohne Kenntnisse von Genetik und Vererbungslehre – und somit auch ohne bewusste Selektion. Jede Gemeinschaft entwickelte im Laufe der Jahrhunderte ihr eigenes, lokales Saatgut. Erst in Klöstern des Mittelalters wurde bewusst selektioniert, wobei man beispielsweise die schönsten Salatköpfe blühen liess, um davon Samen zu gewinnen. Im 17. Jahrhundert fing man sogar an, Sorten aus der ganzen Welt zu kreuzen. Ein Beispiel: «So wurde unsere einheimische wilde Möhre, die weisse Rüben produziert, mit aus dem Fruchtbaren Halbmond – vom nördlichen Rand der Syrischen Wüste – mitgebrachten violetten oder roten Varietäten gekreuzt, woraus das bekannte orange Rüebli entstand», erklärt Nicole Egloff den interessierten Teilnehmern.
Im 19. Jahrhundert gab es dann auch die ersten Samenhändler und gegen Ende dieses Jahrhunderts war die Sortenvielfalt immens, wobei es aber schon damals 10 bis 15 Jahre benötigte, bis eine Züchtung gelang, die sich auch bewährte.
Anfang des 20. Jahrhunderts ging es dann an die Züchtung von sogenannten F1-Hybriden. Dabei gehen von zwei reinerbigen (homozygoten) Eltern (sogenannte Inzuchtlinien) Nachkommen (Hybriden) hervor, die deutlich leistungsfähiger, grösser, widerstandsfähiger oder vitaler als die Eltern sind. Auch haben alle Sämlinge dieselben Eigenschaften, ihre Nachkommen fallen jedoch wieder sehr unterschiedlich aus.
Ab 1980 kauften Agrochemiekonzerne einen Grossteil der Saatgutproduzenten auf. Heute beherrschen die vier grössten Konzerne mehr als 50 Prozent des weltweiten Saatgutmarkts. Sie bestimmen nicht nur, was wir essen, sondern sorgen auch dafür, dass die Vielfalt an Arten und Sorten fortlaufend schwindet. Früher hatte jede Region ihre Sorten, heute bestimmen die Agrochemiekonzerne, was die Bauern auf dem Feld und wir im Garten kultivieren.
Die Lösung
Pro Specie Rara hat es sich 1982 zur Aufgabe gemacht, die schon längst vergessenen Sorten nicht nur zu suchen, sondern auch zu vermehren und wieder in Umlauf zu bringen.
Damit dies auch gelingt, sucht sie laufend freiwillige Helfer, sogenannte Sortenerhalterinnen und Sortenerhalter, die bei Pro Specie Rara die gewünschten Samen bestellen, anziehen, setzen, um letztlich neue Samen zu ernten. Am einfachsten geht dies mit selbstfruchtenden Arten wie Tomaten, Kopfsalat oder Bohnen, da sich diese nicht verkreuzen. Einziger Nachteil für die Sortenerhalterinnen und Sortenerhalter ist vielleicht, dass die schönsten Salatköpfe nicht in die Schüssel wandern, sondern man sie aufschiessen, blühen und Samen ansetzen lässt. Danach geerntet und getrocknet, gehen sie sorgfältig angeschrieben an Pro Specie Rara zurück. Ist die Ernte sehr ergiebig und fallen einige Salatköpfe eher klein aus, so kann man das überschüssige Gemüse natürlich auch gerne selber geniessen.
Damit Pro Specie Rara sicherstellen kann, dass die Sorten sorgfältig und nachhaltig vermehrt werden, ist es Bedingung, dass die Sortenbetreuerinnen und -betreuer einen Samenbaukurs besuchen. Konzentriert man sich auf die selbstfruchtenden Arten, reicht der zweieinhalbstündige Workshop. Möchte man sich auch den fremdbefruchtenden Arten wie Zucchetti, Kohl oder Karotten widmen, ist der Besuch des viertägigen Kurses Voraussetzung, wo man tief in Themen wie Handbestäubung, Überwinterung von zweijährigen Pflanzen und vieles mehr eintaucht.
Mehr zu den Samenbaukursen auf prospecierara.ch/sorten-retten