Französisch erst ab der Sekundarschule?
17.11.2022 Baselbiet, BildungVorschlag von Landrätin trifft bei Bildungsexpertin auf Ablehnung
Primarschülerinnen und -schüler seien überfordert mit dem Lernen von zwei Fremdsprachen, findet Anita Biedert. Die SVP-Landrätin und Lehrerin setzt sich deshalb für die Abschaffung des Frühfranzösisch ein. Eine ...
Vorschlag von Landrätin trifft bei Bildungsexpertin auf Ablehnung
Primarschülerinnen und -schüler seien überfordert mit dem Lernen von zwei Fremdsprachen, findet Anita Biedert. Die SVP-Landrätin und Lehrerin setzt sich deshalb für die Abschaffung des Frühfranzösisch ein. Eine PH-Professorin widerspricht – und befürwortet mehr Fremdsprachenunterricht.
Janis Erne
Zehn Jahre ist es her, als im Zuge der Schulharmonisierung zwischen den Kantonen Baselland und Basel-Stadt der Französischunterricht ab der 3. Klasse eingeführt worden ist. Jetzt aber wird wieder die Abkehr davon gefordert. In einem Landratsvorstoss verlangt Anita Biedert (SVP, Muttenz) von der Regierung die Ausarbeitung eines entsprechenden Gesetzes, sodass der Französischunterricht künftig erst in der Sekundarschule, also ab der 7. Klasse, beginnt. Englisch solle die einzige Fremdsprache auf Primarstufe sein.
Biedert, beruflich seit Langem als Lehrerin tätig, schreibt in ihrer Motion, dass die Primarschülerinnen und -schüler mit dem Lernen von zwei Fremdsprachen überfordert seien. Die französische Grammatik sei sehr komplex. Englisch werde leichter gelernt, weil die Begegnung mit dieser Sprache alltäglich ist. Die erreichten Kenntnisse im Fach Französisch am Ende der Primarschulzeit stünden in keinem Verhältnis zum grossen Aufwand. Und die Fremdsprachenfächer würden erhebliche zeitliche Ressourcen in Anspruch nehmen, vor allem zulasten des Deutschunterrichts.
Mirjam Egli Cuenat, Professorin für Fremdsprachendidaktik an der Pädagogischen Hochschule (PH) der Fachhochschule Nordwestschweiz, hält die Abschaffung des Frühfranzösisch für keine gute Idee. «Das Überforderungsargument mag im Einzelfall zutreffen, stimmt aber generell sicher nicht», sagt sie auf Anfrage. Mehrere Studien zeigten, dass sich eine Mehrheit der Schülerinnen und Schüler nicht überfordert fühlt.
Idee widerspricht Lehrplan 21
Zwar geht die PH-Professorin mit Anita Biedert einig, dass Französisch, im Gegensatz zu Englisch, besonders im Anfängerstudium als schwerer zugänglich gilt. Doch sie zieht gegenteilige Schlüsse aus dieser Erkenntnis als die Landrätin: Der Französischunterricht solle gestärkt und nicht geschwächt werden. Egli Cuenat verweist auf eine Studie aus der Zentralschweiz aus dem Jahr 2016 mit mehr als 3500 Schülerinnen und Schülern:
«Kinder in Kantonen, die mehr Jahreswochenlektionen im Französisch vorsehen, erzielen bessere Resultate.»
Allerdings kann sich auch Landrätin Anita Biedert in ihrer Argumentation auf Untersuchungen stützen. So etwa auf eine kürzliche Umfrage des Vereins «Starke Schule beider Basel», dessen offizielle Interessensvertreterin die SVP-Politikerin im Landrat ist. An dieser Umfrage nahmen knapp 550 Lehrpersonen und Bildungsinteressierte teil. 82,4 Prozent von ihnen sind der Meinung, dass das Fremdsprachenkonzept der Primarstufe überarbeitet werden müsse.
Zudem verweist Biedert auf eine Studie der Linguistin Simone Pfenninger der Universität Zürich. Diese zeigte, dass Lernende, die fünf Jahre später in den Fremdsprachenunterricht einstiegen, Frühlernende bereits nach wenigen Monaten eingeholt haben. Ist also das Frühfranzösisch obsolet?
Nein, meint Bildungsexpertin Egli Cuenat. Im Französischunterricht auf der Primarstufe werde eine wertvolle Basis geschaffen, auf welche die Sekundarstufe aufbaut. «Wenn die Kinder am Ende der 6. Klasse beispielsweise mit einer Vorlage einen kurzen Text schreiben, einem einfachen Hörtext wichtige Informationen entnehmen oder sich sebst mündlich vorstellen können, dann kann auf der Sekundarstufe daran angeknüpft werden.» Dieser allmähliche Kompetenzaufbau sei sinnvoll, findet Egli Cuenat – «und entspricht übrigens auch dem Lehrplan 21». Heute sind in der 3. und 4. Klasse drei Wochenlektionen Französisch vorgesehen, in der 5. und 6. Klasse deren zwei. Englisch wird ab der 5. Klasse in zwei Wochenlektionen unterrichtet.
Der Lehrplan 21 vereinheitlicht die Lehrpläne der Volksschule, vom Kindergarten bis zur Sekundarschule, und gilt in allen deutschsprachigen Landesteilen. Beim Frühfranzösisch ist bislang nur Appenzell-Innerrhoden ausgeschert; dort wird auf der Primarstufe nur Englisch unterrichtet. Volksabstimmungen in anderen Kantonen, die den Verzicht auf eine zweite Fremdsprache forderten, blieben bisher allesamt erfolglos, wie Egli Cuenat sagt. Im Baselbiet scheiterte 2018 eine Volksinitiative, die den Englischunterricht in der Primarschule abschaffen wollte – mit einem Nein-Anteil von fast 68 Prozent.
Ob nun Anita Biedert, die auf das Französisch abzielt, Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Die erste Hürde wird der Entscheid im 90-köpfigen Landrat sein, wo sie eine Mehrheit für ihr Anliegen finden muss. Zehn Mitglieder aus der SVP-, der FDP- und der Grüne/EVP-Fraktion haben den Vorstoss mitunterzeichnet.