Das Ringen ums Personal
05.08.2022 Baselbiet, BildungMelina Mundschin
Schon seit einiger Zeit hört man sie: die immer verzweifelter werdenden Rufe nach mehr Lehrkräften. In der gesamten Schweiz fehlen in den Schulen ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. Und auch im Kanton Baselland seien noch fast 100 Stellen ausgeschrieben, ...
Melina Mundschin
Schon seit einiger Zeit hört man sie: die immer verzweifelter werdenden Rufe nach mehr Lehrkräften. In der gesamten Schweiz fehlen in den Schulen ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. Und auch im Kanton Baselland seien noch fast 100 Stellen ausgeschrieben, wie die Regierung Anfang Juni mitteilte. Die Anzahl vakanter Stellen an Primarschulen im Mai sei im Vergleich zum Vorjahr um rund ein Viertel gestiegen. An Sekundarschulen fehlen sogar rund 50 Prozent mehr.
Trotzdem hält der Kanton an der Aussage fest, dass im Baselbiet kein pauschaler Mangel an Lehrkräften festzustellen sei. Zumindest nicht auf Sekundarstufe II.
Anders sieht es aber auf Primarstufe und Sekundarstufe I aus. Laut der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) seien in den Primarschulen vor allem Stellen mit Vollpensum schwer zu besetzen. In den Sekundarschulen liessen sich in den naturwissenschaftlichen, den sogenannten MINT-Fächern, nur schwer geeignete Lehrkräfte finden.
Kein Bewerbungsansturm
Wirft man einen Blick in die drei grössten Sekundarschulen im Oberbaselbiet, sieht die Situation ähnlich düster aus. Vom Waldenburgertal über Sissach bis nach Gelterkinden heisst es von den Schulleitungen, dass es nicht einfach sei, die Stellen adäquat zu besetzen. Es gehen nur wenige Bewerbungen ein und oft stehen die Schulen bei den Arbeitssuchenden in Konkurrenz. «Bei geeigneten Bewerbungen reissen sich mehrere Schulen um eine Person», fasst Dieter Gunzinger, Schulleiter der Sekundarschule Sissach die Situation zusammen. Für das neue Schuljahr im August konnten jedoch mit Ach und Krach in allen Schulen die Pensen besetzt werden, und nur wenige Lektionen seien bis kurz vor den Sommerferien noch offen gewesen.
Wie die BKSD meldet, fehlen in den sogenannten MINT-Fächern zahlreiche Lehrpersonen. Dies stellen auch die Sekundarschulen fest. Schlimm sei es tatsächlich in den naturwissenschaftlichen Fächern und auch in Französisch, erklärt Caroline Stähelin, Schulleiterin der Sek Waldenburg. Aus Sissach tönt es ähnlich. Dort seien allgemein die Fremdsprachen-Fächer, mit Französisch an der Spitze, wenig beliebt. Die Knappheit an Lehrkräften widerspiegele sich aber nicht ausschliesslich in diesen Fächern. In Gelterkinden beispielsweise gebe es nicht ein Fach, das speziell auffällt. Es sei immer schwankend, so der Schulleiter Roger Leoni.
Es stelle sich häufig heraus, dass die Fächerkombinationen, vor allem bei jungen Lehrerinnen und Lehrern, nicht optimal und passend seien, erklärt wiederum Stähelin. Je nach Ausschreibung habe es nur sehr wenige Bewerbungen gegeben. Oder eben nur solche, die nicht genügend qualifiziert waren. «Wir sind überzeugt, dass dies nur der Beginn ist und wir in den kommenden Jahren ein Problem haben werden, offene Stellen mit gut ausgebildeten Lehrpersonen zu besetzen», gibt Stähelin zu bedenken.
Auch auf Primarstufe hapert es
Der Mangel an Lehrkräften zeigt sich auch in den Primarschulen. In der Unterstufe fehle es laut der BKSD hauptsächlich an Klassenlehrpersonen mit Vollpensum. Dies bestätigt auch die Kreisschule der Dörfer Tenniken, Eptingen und Diegten (TED) auf Anfrage. «Wir haben effektiv mit einem Lehrermangel zu kämpfen», heisst es von der Schulleitung. Die Situation sei sehr problematisch und schwierig für die Schule. Es gehe gar so weit, dass gelegentlich nachmittags der Unterricht ausfalle, da keine Lehrkräfte zur Verfügung ständen. Vor allem in den Sprachfächern lasse sich eine deutliche Lücke verzeichnen. Ausserdem seien während der Corona-Pandemie viele Lehrpersonen weggefallen, was zu einer generellen Überbelastung des Lehrerpersonals führte und bis heute noch spürbar sei.
In den Primarschulen in Lausen und Hölstein sieht es hingegen etwas besser aus. «Wir haben aktuell keine Probleme, wir können uns noch glücklich schätzen», so Stefan Kränzle, Schulleiter der Primarschule in Hölstein. Er stehe aber in Kontakt mit anderen Schulleitungen der Region, bei denen die Situation etwas dramatischer aussehe.
Auch in Lausen sei die Personalrekrutierung im vergangenen Schuljahr sehr herausfordernd gewesen. Die Schulleitung habe den ausgedünnten Personalmarkt zu spüren bekommen. Dennoch konnten alle Stellen für das folgende Schuljahr besetzt werden.
Teilzeitpensen beliebt
Besorgniserregend in beinahe allen Schulen sei der Mangel an Heilpädagoginnen und Sonderpädagogen. Diese sind schwer zu finden, denn es braucht sie überall und es gibt sie nicht wirklich im Überfluss. Bei allen angefragten Schulen im Oberbaselbiet lassen die Schulleitungen vermelden, dass mehr als die Hälfte der Angestellten in einem Teilzeitpensum arbeitet. «Ein beträchtlicher Teil will nicht Vollzeit arbeiten», bekräftigt der Schulleiter aus Hölstein. Doch seien die Schulleitungen eben genau an einem hohen Pensum interessiert, so Kränzle.
Oft müssten Teilzeit-Lehrkräfte ausserplanmässig einspringen, damit die Stunden nicht ausfallen. Teilweise haben die Schulen das Glück, dass Lehrpersonen bereit sind, ihr Pensum zu erhöhen.
In der Primarschule TED lässt sich der Graben zwischen Vollzeitund Teilzeitpensum gut verdeutlichen: Für die insgesamt 17 Klassen gibt es je eine Klassenlehrperson mit einem obligatorischen 100 Prozent Pensum. Insgesamt seien laut der Schulleitung allerdings rund 50 Lehrerinnen und Lehrer beschäftigt.
Die meisten Schulen greifen auf Lehrkräfte im Teilzeit-Pensum zurück. Viele fragen bei Bedarf ebenfalls Studierende der Pädagogischen Hochschule an. Im besten Fall sind das solche, die bereits Erfahrungen gesammelt und sich im Klassenzimmer bewährt haben.
Dies steht allerdings etwas im Widerspruch zu den kantonalen Regelungen: Denn der Landrat möchte so weit wie möglich daran festhalten, dass weiterhin keine Lehrpersonen ohne Diplom eingestellt werden. Jedoch müssen sich die Schulen hierbei fragen, was das grössere Übel ist: Unterricht ausfallen zu lassen oder auf noch nicht qualifizierte Lehrkräfte zurückzukommen.
Andere Lage in Privatschule
Bei der Schule für offenes Lernen (SOL) in Liestal sieht die Situation nicht so dramatisch aus. Matthias Held, Schulleiter der SOL erkennt keinen Lehrpersonenmangel an seiner Schule. Im Gegenteil: «Wir erhalten viele Bewerbungen», sagt Held. Die Schule stelle ausschliesslich ausgebildete und qualifizierte Lehrkräfte ein und Praktikanten oder Studierende werden nur ergänzend dazugeholt. Beispielsweise im Rahmen einer Zivildienst-Stelle.
Anders als in Primar- und Sekundarschulen der Region seien in der SOL die meisten Stellen Vollzeitpensen, und es gebe nur wenige Teilzeitstellen. Mit 16 festangestellten Lehrkräften für 13 Stellen und 60 Schülerinnen und Schülern sieht der Schulleiter auch in Zukunft kein Problem. «Es ist aber tatsächlich so, dass Staatsschulen am Limit sind», erklärt Held, der in Kontakt mit anderen Schulleitungen staatlicher Schulen steht.
Trägt der Kanton die Schuld?
Eine Zuspitzung der Lehrpersonen-Situation wird sich im Lauf der nächsten zehn Jahren zeigen. Dann wird gemäss dem Landrat knapp ein Viertel der Baselbieter Lehrpersonen pensioniert, was rund 1100 vakante Stellen bedeuten wird. Dem Landrat ist der Ernst der Lage bewusst. Er gib zu, in Sachen Bindung der Lehrkräfte während der vergangenen Jahre zu wenig geleistet zu haben. Seit 20 Jahren hat es mehrmals Lohnsenkungen gegeben, drei Sparpakete sind umgesetzt worden und zusätzlich wurde die Altersentlastung für Lehrpersonen gestrichen.
Die Bildungsdirektorin Monica Gschwind hat Mitte Juni im Landrat mögliche Gegenmassnahmen aufgezählt. Dazu gehören eine bessere Unterstützung von Quereinsteigenden, Studienabgängern und Wiedereinsteigerinnen. Es müssten wohl auch gezielt pensionierte Lehrkräfte verpflichtet werden. Als weitere «Eskalationsmassnahmen», wie Gschwind sie bezeichnete, müsse man vielleicht sogar so weit gehen und auf Lehrpersonen ohne Diplom zurückgreifen.
Eine Erklärung dafür, weshalb es immer weniger Lehrerinnen und Lehrer gibt, können die Schulleitungen des Oberbaselbiets nicht liefern. Mit Attraktivität und Lohn habe die nachlassende Anfrage nichts zu tun, wie der Gelterkinder Schulleiter Roger Leoni präzisiert. Der Beruf gebe viel Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten. Der Job sei höchstens anspruchsvoller geworden.
Fest steht aber der Fakt, dass sich der Lehrpersonenmangel immer mehr abzeichnet. Darin sind sich die Schulen im Oberbaselbiet einig.