Horror im Henkermuseum
03.05.2022 Bezirk Sissach, Kultur, Gemeinden, SissachDer Gelterkinder Moises Bürgin stellt unheimliche Kreaturen aus
Normalerweise sind im Henkermuseum nur Originalstücke zu bestaunen, die einen historischen Hintergrund aufweisen. Aktuell macht Betreiber Guido Varesi aber eine Ausnahme: Es sind mehr als zehn Horrorkreaturen postiert – ...
Der Gelterkinder Moises Bürgin stellt unheimliche Kreaturen aus
Normalerweise sind im Henkermuseum nur Originalstücke zu bestaunen, die einen historischen Hintergrund aufweisen. Aktuell macht Betreiber Guido Varesi aber eine Ausnahme: Es sind mehr als zehn Horrorkreaturen postiert – hergestellt von einem Theaterplastiker des Opernhauses Zürich.
Janis Erne
Wer in diesen Tagen das Henkermuseum in Sissach besucht, muss doppelt starke Nerven mitbringen. Zusätzlich zu den üblichen, von Betreiber Guido Varesi ausgestellten Originalexponaten sind an drei Sonntagen im Mai Hexen, Teufel, erhängte Jungfrauen und weitere düstere Gestalten zu bestaunen. Hergestellt wurden sie von Moises Bürgin aus Gelterkinden, der als Theaterplastiker am Opernhaus Zürich arbeitet und dort Kreaturen oder Doubles modelliert. «Neben meinem Vollzeitjob habe ich praktisch jede freie Minute genutzt, um die Objekte für die Ausstellung herzustellen», so Bürgin.
Der Gelterkinder erzählt, dass er Varesi, der das Henkermuseum seit über 20 Jahren betreibt, vom Sehen her schon lange kenne. Miteinander in Kontakt gekommen seien die beiden aber erst vor ein paar Jahren an einer Ausstellung in Gelterkinden. «Zwischenmenschlich hat es auf Anhieb gepasst», erinnert sich Varesi. Die beiden Oberbaselbieter teilen die Faszination für die Kunst: Varesi in Sissach als Tätowierer, Bürgin in Zürich als Theaterplastiker am Opernhaus.
Der Weg zum festen Angestellten bei einem der renommiertesten Kunstadressen der Schweiz war für Bürgin aber alles andere als vorgezeichnet. Da hierzulande weder Maskenbildner noch Theaterplastiker anerkannte Berufe sind, musste er das Handwerk an einer kostspieligen Privatschule erlernen. Dort konnte der Auszubildende über das Erlernen von künstlerischen Fertigkeiten hinaus wertvolle Kontakte knüpfen. «Zwei Dozenten empfahlen mir, beim Opernhaus Zürich reinzuschauen», erzählt Bürgin, der seine Kenntnisse als Maskenbildner bei den Theaterplastikern einbringen konnte. Nach einem Praktikum folgten einige Jahre als Aushilfe, ehe er 2009 eine Festanstellung erhielt und heute Vollzeit als stellvertretender Chef der Theaterplastik tätig ist.
Der Traum vom Film
Wenn in Zürich heute Abend «Das Rheingold», eine Oper des weltberühmten deutschen Regisseurs Richard Wagner, aufgeführt wird, werden einige von Bürgin hergestellte Requisiten zu sehen sein. Am Drachen, der das Rheingold beschützt, habe sein Team monatelang gearbeitet, so der Theaterplastiker und ergänzt mit einem Lachen: «Im Stück ist er für ein paar Sekunden zu sehen.» Trotz des immensen Aufwands, den die Leute in der Theaterplastik betreiben, stehen sie stets im Schatten der Schauspieler und Opernsängerinnen. Wer Bürgin zuhört, erkennt schnell, dass ihn das nicht weiter stört. Stressig seien eher die Deadlines, die eingehalten werden müssen.
Die Tätigkeit am Opernhaus gefällt ihm zwar sehr, doch einen grossen Traum hat der Gelterkinder noch: «Ich möchte bei ausländischen Filmproduktionen mitarbeiten.» Um diesem Ziel näher zu kommen, absolviert er regelmässig Weiterbildungen. Bürgin schwärmt von England: von den Warner Bros Studios in London, den Veranstaltungen und den Leuten. «Einer meiner englischen Freunde hat über zehn Jahre hinweg die Modelle für die Harry-Potter-Filme gestaltet.» Ohnehin sei die relativ kleine Szene gut vernetzt. Über die Sozialen Medien werden Tipps und Tricks ausgetauscht – Bürgin bezeichnet dies als Weiterbildung. Wahrscheinlich hätte er sein Glück in England versucht, wenn er nicht vor ein paar Jahren Vater geworden wäre. Heute hat er drei Kinder.
«Nach der Geburt meines ersten Kindes haben sich die Prioritäten verschoben. Ich muss sowohl in finanzieller Hinsicht für meine Kinder mitsorgen als auch physisch anwesend sein.» Seine eigene Kindheit und Jugend hat Bürgin bei seiner Mutter im Kanton Zürich verbracht, ehe er als 17-Jähriger zurück zu seinem Vater nach Gelterkinden gezogen und seither in der Region wohnhaft ist. Trotz der Vaterpflichten bleibt der Traum bestehen, für Filmprojekte temporär im Ausland zu arbeiten. Aktuell steht aber die Ausstellung im Henkermuseum im Vordergrund.
Nichts für schwache Nerven
«Es hat sich ein Künstler angemeldet, der regelmässig in der international bekannten Modezeitschrift Vogue erscheint», sagt ein sichtlich stolzer Varesi zu Bürgin. Varesi war es, der das Projekt mit den unheimlichen Kreaturen angestossen hatte, indem er seinen Freund anfragte, ob dieser in einer geheimnisvollen Umgebung eine Ausstellung machen wolle. «Ursprünglich hätte die Ausstellung am letzten Halloween beginnen sollen», sagt Varesi, «doch Corona hat den Plan vereitelt.» Deshalb waren die Hexenmasken erstmals am vergangenen Wochenende pünktlich zur Walpurgisnacht zu sehen.
Noch am Freitag gab Bürgin seinen Kreaturen den letzten Schliff. «Künstler sind nie zufrieden und haben stets etwas zu verbessern», meint er. Die Mehrheit der Masken wurden eigens für die Ausstellung in seinem Gelterkinder Atelier angefertigt. Unter den aus Latex, Schaum, Silikon, Gips und Harz produzierten Gestalten befindet sich eine grimmige, grüne Hexe, die den Besuchenden direkt in die Augen schaut – ein gruseliger und zugleich faszinierender Anblick.
Nicht ohne Grund hat Varesi die Ausstellung mit einem Alterslimit versehen: Unter 18-Jährige müssen draussen bleiben. Laut Varesi eine Vorsichtsmassnahme: «Aufgrund von Ohnmachtsfällen bei Besuchenden des Henkermuseums musste ich schon zwei Mal den Krankenwagen rufen.» Heuer hat Varesi vorgesorgt: Im Eintritt zur Ausstellung ist ein Goodie Bag enthalten, der Besuchende mit einem Traubenzucker und einem Erfrischungstüchlein versorgt.
Die Ausstellung im Henkermuseum ist an den Sonntag, 15. und 29. Mai, jeweils von 14 bis 17 Uhr zu besichtigen.