Das Leben nach dem Krebs
17.02.2022 Baselbiet, Gesundheit, Bezirk Liestal
Raja Breig
Mit der Genesung endet der Leidensweg vieler an Krebs erkrankter Kinder nicht: So gut wie alle Überlebenden kämpfen Jahre oder gar Jahrzehnte nach der Heilung mit Langzeitfolgen. Zu den Beschwerden können Diabetes, Bluthochdruck, ...
Raja Breig
Mit der Genesung endet der Leidensweg vieler an Krebs erkrankter Kinder nicht: So gut wie alle Überlebenden kämpfen Jahre oder gar Jahrzehnte nach der Heilung mit Langzeitfolgen. Zu den Beschwerden können Diabetes, Bluthochdruck, Schilddrüsenprobleme, Hörstörungen, verkalkte Herzklappen oder auch psychische Schäden gehören. Die Lebensqualität der «Survivors» wird dadurch teilweise stark eingeschränkt. Da die Herausforderungen in diesem Bereich trotz Verbesserung des Nachsorgeangebots noch immer gross sind, lag der Fokus des diesjährigen internationalen Kinderkrebstags vom vergangenen Dienstag auf der Lebensqualität der «Survivors».
Jedes Jahr erkranken in der Schweiz rund 300 Kinder und Jugendliche an Krebs. Die häufigsten Arten sind laut Kinderonkologin Eva Maria Tinner Leukämie und Hirntumore. Die Therapien werden immer erfolgreicher. Während in den Siebzigerjahren lediglich die Hälfte der an Krebs erkrankten Kinder überlebte, können heute rund 85 Prozent geheilt werden. Auf bessere Arzneimittel ist dieser Fortschritt nicht zurückzuführen. «Wir verwenden relativ alte Medikamente, haben jedoch gelernt, wie wir sie für eine effiziente Behandlung zusammenstellen müssen», so Tinner. Die Medikamente könnten den Krebs zwar heilen, würden jedoch oftmals die Organe schädigen: «Diese Schäden machen sich häufig nicht direkt nach der Therapie, sondern erst später im Leben bemerkbar.»
Folgeschäden einschätzen
Die Symptome der Spätfolgen sind für Hausärztinnen und Hausärzte oft schwierig einzuordnen. Aus diesem Grund bietet das Kantonsspital Liestal seit 2017 Nachsorgesprechstunden für erwachsene Kinderkrebs-Überlebende an, die jeweils einen ganzen Tag andauern. «Wenn wir wissen, welche Therapien eine Person als Kind oder Jugendliche gemacht hat, können wir die Risiken für Folgeschäden einschätzen», sagt Tinner. So könne sie gezielt Nachsorgeempfehlungen zusammenstellen und die potenziell geschädigten Organe kontrollieren. Das Spezielle am Nachsorgemodell in Liestal ist, dass die «Survivors» von Internisten klinisch gesehen werden, die sich für alle Organsysteme interessieren.
Dem Beispiel des Kantonsspitals Liestal folgten bereits weitere Schweizer Spitäler, etwa in Bern oder Luzern. «Leider sind die Sprechstunden sehr aufwendig. Ein Drittel der Kosten ist nicht gedeckt», so Tinner. Die Patientinnen und Patienten, die ein Durchschnittsalter von 31 Jahren aufweisen, würden sich jedoch oft sehr dankbar zeigen.
Strenge Besuchsregeln
Neben ihrer Tätigkeit im Kantonsspital Liestal ist Tinner Oberärztin im kinderonkologischen Team des Inselspitals Bern. Dort betreut sie Kinderkrebspatientinnen und -patienten sowohl stationär als auch ambulant. «So eine schwere Erkrankung stellt für die ganze Familie eine enorme Belastung dar», sagt sie. Eltern seien in die Therapie stark eingebunden. Oft würde ein Elternteil seine Arbeitsstelle aufgeben, um sich ganz dem kranken Kind widmen zu können. Davon hätten sich viele Familien auch Jahre nach der Genesung finanziell noch nicht erholt. Seit vergangenem Sommer haben Eltern nun rechtlichen Anspruch auf 14 Wochen Betreuungsurlaub. «Das ist zwar ein Riesenfortschritt, die 14 Wochen sind aber immer noch viel zu wenig», so die Onkologin. Schliesslich würden die Therapien teilweise bis zu zwei Jahre dauern.
Da der Fokus in den Familien stark auf dem kranken Kind liegt, stellt die Situation auch für die Geschwister der Kinderkrebs-Betroffenen eine enorme Belastung dar. «Viele kommen sich unsichtbar vor», sagt Tinner. Die strengeren Besuchsregeln in der Pandemie hätten dies zusätzlich verstärkt.
Trotz des vielen Leids und der Schicksalsschläge, denen sie fast täglich ausgesetzt ist, fühlt sich Tinner in ihrem Beruf nach wie vor wohl:«Es ist schön, diese schwere Zeit für die Familien erträglicher machen zu können.» Grosse Freude bereite ihr zudem, bei den Nachsorgebehandlungen zu sehen, wie ehemalige Kinderkrebspatientinnen und -patienten heute trotz Spätfolgen mitten im Leben stehen.