Chance oder Gefahr für die Demokratie?
01.02.2022 Abstimmungen, Medien, Politik, Schweiz
sda./tho. In der Sommersession verabschiedete das Parlament verschiedene direkte und indirekte Fördermassnahmen zugunsten der Schweizer Medien. Weil das Referendum dagegen ergriffen worden ist, hat am 13. Februar das Stimmvolk das letzte Wort.
Von der ...
sda./tho. In der Sommersession verabschiedete das Parlament verschiedene direkte und indirekte Fördermassnahmen zugunsten der Schweizer Medien. Weil das Referendum dagegen ergriffen worden ist, hat am 13. Februar das Stimmvolk das letzte Wort.
Von der Förderung profitieren sollen Zeitungen, die Mitglieder- und Stiftungspresse, lokale Radio- und TV-Stationen, Onlinemedien, die Medienausbildung sowie Nachrichtenagenturen wie Keystone-SDA. Im Zentrum stehen lokale und regionale Medien. «Das Paket stärkt die Medienvielfalt in der Schweiz», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) im Dezember bei der Lancierung des Abstimmungskampfs. Es sorge nämlich dafür, dass auch in Zukunft über alle Regionen des Landes berichtet werde: «Keine Region darf abgehängt werden.»
«Entwicklung ist beunruhigend»
Dank lokaler Zeitungen, Lokalradios, regionaler TV-Sender und einheimischer Onlinemedien wüssten die Menschen über das Geschehen in ihrer Umgebung Bescheid, gab Sommaruga zu bedenken. Lokalmedien trü- gen zur politischen Meinungsbildung bei und stärkten den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Doch die einheimischen Medien, gerade die lokalen, sind unter Druck: Sie verlieren Werbeeinnahmen an internationale Plattformen wie Google und Facebook, zudem gehen die Aboeinnahmen zurück. Innert weniger Jahre seien mehr als 70 Zeitungen verschwunden, so Sommaruga. «Diese Entwicklung ist beunruhigend.»
Damit nicht noch weitere Titel verschwinden, Radios geschwächt werden und im Internet über einzelne Regionen gar nicht mehr berichtet wird, wollen Bundesrat und Parlament die heutigen Fördermassnahmen zugunsten der Medien ausbauen.
Kleine und Mittelgrosse im Fokus
Zum einen ist da die indirekte Förderung: Die Zustellermässigung, die der Bund abonnierten Zeitungen sowie Vereins- und Verbandszeitschriften bereits seit Jahrzehnten gewährt, soll von heute 50 auf 120 Millionen Franken aufgestockt werden. Die Zustellkosten für abonnierte Zeitungen wurden in den vergangenen Jahren mehrmals erhöht und wären ohne die vorgesehene Zustellermässigung massiv höher als die Portokosten für Gratiszeitungen. Mehr Zeitungen sollen berücksichtigt und neu unter gewissen Voraussetzungen auch die Frühzustellung unterstützt werden, wovon vorab Zeitungen in dicht besiedelten Regionen profitieren könnten.
Neu ist auch die direkte Förderung von Schweizer Onlinemedien. Dieser Teil des Pakets war im Parlament sehr umstritten. Für Onlinemedien sollen pro Jahr 30 Millionen Franken zur Verfügung stehen. Der Beitrag an ein Medium darf höchstens 60 Prozent des anrechenbaren Umsatzes betragen. Die Massnahmen sind laut Bundesrat so ausgestaltet, dass kleinere Unternehmen verhältnismässig stärker profitieren können. Damit werde die Berichterstattung in ländlichen Regionen und kleineren Städten gestärkt, sagte Sommaruga kürzlich.
Gegenüber heute erhöht werden die Mittel aus der Radio- und Fernsehabgabe für private Lokalradios und regionale Fernsehstationen. Werden 2021 noch 81 Millionen Franken für sie bereitgestellt, sind es laut Bundesamt für Kommunikation (Bakom) im Medienpaket bis zu rund 109 Millionen Franken.
Bis zu rund 28 Millionen Franken aus den Empfangsgebühren sollen schliesslich für Allgemeines zur Verfügung stehen. Gemeint sind Agenturleistungen, Branchen-Selbstregulierungsorganisationen, Ausbildung sowie IT-Projekte von elektronischen Medien. Zum Vergleich: 2021 sind es 5 Millionen Franken für Agenturen und Ausbildung.
Auf sieben Jahre befristet
Neue Abgaben fallen wegen der zusätzlichen Förderung laut Bundesrat nicht an. Die bis zu 151 Millionen Franken für die Förderung werden über die Radio- und Fernsehabgabe finanziert sowie aus Mitteln vom Bund. Die Zustellermässigungen sowie die Fördergelder für Onlinemedien sind auf sieben Jahre befristet.
Sommaruga sagte bei der Eröffnung des Abstimmungskampfs, dass die Unabhängigkeit der Redaktionen mit der Vorlage gewahrt bleibe. «Die Vorschriften sind so ausgestaltet, dass die Behörden gar nicht Einfluss nehmen können.»
Die Gegner der Vorlage sehen dies anders. Es sei schädlich, private Medien durch staatliche Gelder zu unterstützen. Damit verlören sie ihre Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit, kritisieren sie unter anderem. Zudem profitierten von der zusätzlichen Förderung vor allem die grossen und «reichen» Verlage wie Ringier oder Tamedia (TX Group AG). Die Vorlage wird hauptsächlich vom Komitee «Staatsmedien Nein» bekämpft, das für das Referendum 113 000 Unterschriften zusammengebracht hat – mehr als doppelt so viele wie nötig. Gegen den Ausbau der Medienförderung wenden sich vorwiegend Vertreter von SVP und FDP, aber auch Exponenten von kleineren Verlagen sind im Komitee vertreten.
DARUM STIMME ICH JA
Weil es Medien vor Ort braucht
Maya Graf, Ständerätin Grüne, Sissach
Gerade lesen Sie eine der letzten familiengeführten Lokalzeitungen der Schweiz. Sie informieren sich über Vereinsanlässe, unser Gewerbe, das sportliche, kulturelle und politische Geschehen vor Ort. Die «Volksstimme» ist die Stimme für uns hier im Oberbaselbiet. In den letzten Jahrzehnten hat sie ausserdem vielen jungen Journalistinnen und Journalisten die Chance zum beruflichen Einstieg gegeben. Nicht wenige treffe ich heute in Bundesbern wieder.
Allein seit 2003 sind rund 70 «Volksstimmen» verschwunden, weil wir uns immer mehr Informationen über die internationalen Internetplattformen holen. Die Folge: Werbegelder, die früher den Journalismus finanziert haben, fliessen nun ins Internet. Allein Google und Facebook transferieren 1 Milliarde Franken Werbeeinnahmen steuerfrei aus der Schweiz in die USA. Grosse Medienunternehmen finanzieren sich wesentlich aus Geschäftsfeldern neben dem Journalismus. Für kleine Verlage ist das kaum möglich. Wegbrechende Erträge können sie nicht endlos durch Kosteneinsparungen auffangen.
Kritischer Journalismus hinterfragt Informationen, er gibt sich nicht mit Behauptungen zufrieden. Digitalisierung kann die Lücke zu den Internetgiganten verkleinern. Aber gerade kleine Medienanbieter brauchen Zeit und Geld für diesen digitalen Wandel. Wir haben im Parlament die Massnahmen bewusst so gestaltet, dass kleinere Anbieter sowie ländliche Regionen stärker profitieren als grosse Verlage. Insgesamt sind pro Jahr 151 Millionen Franken vorgesehen. 79 Prozent gehen an die Lokalmedien, auch wenn die Gegner das Gegenteil behaupten. Das Massnahmenpaket wird aus der Radio- und Fernsehabgabe und über den Bundeshaushalt finanziert. Es braucht also keine neuen Abgaben. Die Bundesgelder verbilligen die Zustellung von Zeitungen und Zeitschriften, die Frühzustellung und fördern inländische Onlinemedien.
Gratisblätter erhalten nichts. Eine Holdingklausel verhindert, dass etwa die «TX Group» für jede ihrer Zeitungen ein neues Gesuch stellen kann. Das ist wichtig, denn so erhalten grosse Unternehmen nur wenige Prozente Förderung, die Kleinen dagegen 60 Prozent.
Zeitungen werden in der Schweiz seit über 170 Jahren indirekt gefördert; Lokalradios und Regionalfernsehen seit über 30 Jahren: Seit dem 19. Jahrhundert werden die Postporti von abonnierten Zeitungen vergünstigt. Denn schon die freisinnigen Staatsgründer sahen die Verbreitung von Zeitungen und journalistisch aufbereiteten Informationen als demokratiepolitisch unverzichtbar an. Noch nie war die journalistische Unabhängigkeit durch die Medienförderung gefährdet und das wird sie auch in Zukunft nicht sein.
Die «Volksstimme», das «Allschwiler Wochenblatt», «Telebasel», Radio X, «Bajour» und viele andere regionalen Medien brauchen unsere Unterstützung. Sie gehören zu einer unabhängigen und vielfältigen Medienlandschaft als Basis für Meinungsbildung in der direkten Demokratie. Über unsere Medien vor Ort bleiben wir miteinander verbunden. Deshalb Ja zum befristeten Massnahmenpakt für die Medien.
DARUM STIMME ICH NEIN
Schmälert die Medienvielfalt
Sandra Sollberger, Nationalrätin SVP, Liestal/Bubendorf
Haben Sie auch das Gefühl, dass inzwischen fast in jeder Zeitung und auf allen Newsportalen der Medienhäuser die gleichen Schlagzeilen, teilweise sogar die genau gleichen Sätze und gleichen Bilder auftauchen? Mir passiert es heutzutage oft, dass, wenn ich meine Zeitung am Morgen aufschlage, ich die News schon am Vortag irgendwo gesehen habe.
Das stimmt mich nachdenklich. Es stimmt mich aber vor allem deshalb nachdenklich, weil die Medien schon heute rund 440 Millionen Franken pro Jahr Subventionen vom Staat erhalten. Offenbar führen diese staatlichen Zuwendungen zu diesem Einheitsbrei. Und das ist auch der Hauptgrund, weshalb ich Ihnen ein Nein zum neuen Medienpaket empfehle, über welches wir am 13. Februar abstimmen. Mit diesem Subventionspaket würden zusätzliche 178 Millionen Franken pro Jahr gesprochen. Es wären Steuergelder, die vorwiegend an die grossen Medienhäuser gehen. Das sind Verlage, die schon heute Gewinn schreiben und Millionen von Franken erhalten.
Das zusätzliche Geld ist aus meiner Sicht eine Verschwendung. Die kleinen und lokalen Zeitungen haben von diesem Zustupf wenig bis gar nichts. Somit wird das neue Medienpaket die Vielfalt in der Medienlandschaft schmälern und das Unternehmertum bei den Medien schwächen. Es würde die kleinen Verlage noch mehr in Bedrängnis bringen. Die regionale Vielfalt würde weiter eingeschränkt.
Staatliche Subventionierung macht zudem die Zeitungen und Verlage abhängig von der Politik. Das ist zwar aktuell schon ein Problem, aber noch mehr Geld macht diese Tatsache nur noch grösser. Was wir wirklich bräuchten, sind von der Politik und vom Staat unabhängige Medien, damit diese ihre Aufgabe für unsere Demokratie wahrnehmen können. Schliesslich heisst es «Wer zahlt, befiehlt». Das Medienpaket untergräbt also diese Kontrollfunktion der Medien.
Das haben wir teilweise in der Corona-Krise schon gesehen. Wir brauchen aber kritische und hartnäckige Zeitungen, die die richtigen Fragen stellen und der Politik und der Regierung die wunden Punkte aufzeigen. Die geplanten Fördermassnahmen unterlaufen aber genau diese publizistische Unabhängigkeit. Es geht um sehr viel Geld. Diese Verbandelung und diese Abhängigkeiten zwischen Politik und Medien ist definitiv keine gute Sache.
Medienfreiheit und Medienvielfalt erreichen wir nicht mit staatlicher Unterstützung, sondern mit freien Journalisten und unternehmerischen Verlagen. Staatliche Förderung verhindert jedoch Innovation und diskriminiert diejenigen, die auf eigenen Beinen stehen. Unternehmerische Medien werden schlechter gestellt. Werbefinanzierte Medien würden weiter bestraft.
Die Zeitungen und Verlage stecken tatsächlich in der Krise. Aber dieses Problem lösen wir nicht mit Steuergeldern, die verhockte Strukturen aufrechterhalten und den Filz zwischen Politik und Medien stärken. Deshalb sage ich Nein zum Medienpaket, weil es den Einheitsbrei stärkt, einseitig die reichen Grossverlage stützt und mit unserer Demokratie nicht kompatibel ist.