«Tausendmal lauter als erlaubt»
25.02.2022 Auto, Polizei, Verkehr, Baselbiet
Christian Horisberger
Herr Studer, immer häufiger sollen Neulenker Boliden mit vielen Hundert PS im Wert von 100 000 Franken und mehr fahren. Stimmt das?
M. Studer: Diese Beobachtung machen wir auch. Die Junglenker werden für die ...
Christian Horisberger
Herr Studer, immer häufiger sollen Neulenker Boliden mit vielen Hundert PS im Wert von 100 000 Franken und mehr fahren. Stimmt das?
M. Studer: Diese Beobachtung machen wir auch. Die Junglenker werden für die Finanzierung ihrer Fahrzeuge oft von ihrer ganzen Familie unterstützt. Das Auto scheint für die Halter einen höheren Stellenwert zu haben als die Wohnung: Hubraum statt Wohnraum. Dabei geht um Status – darum, welchen Eindruck man auf der Strasse hinterlässt.
Es geht also ums Angeben.
Man muss unterscheiden zwischen den erwähnten Junglenkern und Autoposern. Man darf nicht alle in denselben Topf werfen. n
Worin unterscheiden sie sich denn? Wenn nicht um zu protzen, weshalb schafft sich ein unter 20-Jähriger so einen Boliden an?
Poser definieren wir dadurch, dass es ihnen in erster Linie ums Auffallen mit dem Auto geht: durch dessen Leistungsstärke, dessen möglichst lautes Motorengeräusch oder eine Kombination von beidem.
Bitte beschreiben Sie den klassischen Poser.
Das mag jetzt nach Schublade klingen: Meist handelt es sich um junge Männer von 18 bis 24 Jahren, oft haben sie einen Migrationshintergrund.
Der Begriff «Autoposer» ist in den Mitteilungen der Polizei seit einiger Zeit häufiger zu lesen. Neu ist das Phänomen aber nicht …
Nein, aber in den vergangenen zwei Jahren stellten wir eine auffällige Zunahme der Klagen wegen Lärms von einzelnen Autos fest. Ausgeprägt war dies während des Lockdowns im Frühling 2020: Bei geringerem Gesamtverkehr stechen Fahrzeuge, die entweder stark beschleunigt werden oder deren Auspuffe knallen, stärker aus dem allgemeinen Verkehrslärm heraus. Dementsprechend nahmen die Beschwerden zu. Ebenfalls sehr häufig sind die Reaktionen aus der Bevölkerung wegen Lärms jeweils auch während der Sommermonate. Insgesamt nimmt die Zahl der auffällig lauten Fahrzeuge zu.
Auffällig laut bedeutet auch illegal?
Das gilt es herauszufinden. Wenn wir ein vermeintlich zu lautes Auto antreffen, entscheidet eine Überprüfung des Standgeräuschs mit einem Lärmmessgerät und die visuelle Kontrolle der Abgasanlage, ob das Fahrzeug zur näheren Untersuchung sichergestellt werden muss. 2021 verzeichneten wir gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme der Sicherstellungen um 40 Prozent.
Ein Auto sicherzustellen ist eine drastische Massnahme für den Halter. Was sind die Voraussetzungen dafür?
Die Fachleute unserer Gruppe können die Fahrzeuge beim Stützpunkt mit einem Fahrzeuglift unter die Lupe nehmen. Dort können die verbauten Teile – in den meisten Fällen geht es um die Auspuffteile – aufgrund der Seriennummern mit der Originalausrüstung verglichen und auf allfällige unzulässige Manipulationen überprüft werden.
Welche Manipulationen treffen Sie bei Auspuffen an?
Wir haben schon viel gesehen: Katalysator, Schalldämpfer, Ottopartikelfilter oder mehrere dieser Teile wurden entfernt und durch ein Leerrohr ersetzt oder der ganze Originalauspuff wurde durch ein nicht zugelassenes Modell ersetzt. Ferner geht es um Manipulationen an der elektronischen Steuerung für die Auspuffklappen. Aber auch Fernbedienungen zum Öffnen und Schliessen der Klappen sind zunehmend festzustellen. Das Extremste, das ich bisher erlebte, war ein Auto, das nach Abzug der Messtoleranz 30 Dezibel zu laut war – das bedeutet tausendmal lauter als erlaubt!
Worauf muss jemand gefasst sein, der mit einem manipulierten Auspuff erwischt wird?
Wenn sich der Verdacht bestätigt, wird der Lenker verzeigt. Er muss das Fahrzeug in vorschriftsgemässem Zustand vorführen, ehe er es wieder in Verkehr setzen darf. Schliesslich lässt die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl ergehen. Ein Führerausweisentzug ist für solche Manipulationen im Strassenverkehrsgesetz nicht vorgesehen. Die heutigen Sanktionen sind nicht extrem abschreckend, was ich sehr bedauere. Allerdings ist im Nationalrat ein Postulat hängig, das verlangt, wirksame Instrumente zur Bekämpfung von lärmproduzierenden Fahrzeugen zu kreieren, zum Beispiel auch den Führerausweisentzug.
Vor wenigen Wochen fand im Parkhaus des Sissacher Coop Bau und Hobby ein Autotreffen statt. Auf wie hoch schätzen Sie an Treffen wie diesem den Anteil an Fahrzeugen, an denen illegal geschraubt worden ist?
Das ist ohne Kontrolle unmöglich abzuschätzen. Es ist gut möglich, dass 80, vielleicht auch 95 Prozent der Autos zumindest in Bezug auf die Abgasanlagen in Ordnung sind.
Die Polizei löste das Treffen, das kurioserweise etwa 200 Meter vom Stützpunkt Ihrer Abteilung entfernt stattfand, auf. Ihre Spezialisten rückten aber nicht aus. Warum nicht?
Es braucht Fachwissen und die entsprechende Ausrüstung, um eine Triage machen zu können, was legal und was möglicherweise manipuliert ist. Unsere Spezialisten stehen nicht während 7 Tagen und 24 Stunden auf Abruf bereit. Daher beschränkte sich der Einsatzleiter darauf, das Treffen aufzulösen und damit Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Die Polizei war an jenem Samstagabend von mehreren Anwohnern wegen Lärmbelästigung alarmiert worden. n
Wo trifft sich die Szene im Baselbiet sonst?
Wir haben im Kanton keine Zentrumsstadt, daher gibt es nicht einen speziellen Szenetreff, sondern viele Orte, wo kleinere Gruppen zusammenkommen. Wir haben Kenntnis von rund 20 Hotspots, verteilt im ganzen Kanton.
Wo zum Beispiel?
Der grösste Treffpunkt ist der Landi-Parkplatz in Aesch. Die Teilnehmer haben sich mit dem Eigentümer des Grundstücks auf einen Verhaltenskodex geeinigt: kein unnötiger Lärm bei der Hin- und Wegfahrt, keinen Abfall liegen lassen. Das scheint zu funktionieren.
Diese Regeln passen aber nicht zu Posern, die ihre Motoren aufheulen und die Räder durchdrehen lassen …
Tatsächlich trifft sich dort in der Regel die Tuning-Szene. Auto-Fans, die ihr Fahrzeug aus Freude und mit viel Aufwand individualisieren und es so verändern, damit es aus der Masse heraussticht – mit legalen Mitteln. Doch bewegen sich in deren Umfeld auch Lenker, die illegal unterwegs sind.
Unser Interviewpartner möchte zum Schutz seiner Privatsphäre nicht mit vollem Namen genannt werden.