Andreas Bitterlin

Herr Dalhäuser, wie fühlten Sie sich als Verantwortlicher für das Heim auf dem Höhepunkt der Dramatik?
Roland Dalhäuser: Man darf nicht fragen, wie man sich fühlt. Du musst in dieser Situation einfach funktionieren. Ein Telefon folgt auf das andere. Gefordert ist das Managen und das Entgegennehmen von Informationen, diese zu verarbeiten und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Hatten Sie schlaflose Nächte?
Es ging mir immer gut. Ich konnte abschalten. Es hätte nichts genützt, wenn ich ausgefallen oder vermindert leistungsfähig gewesen wäre. Ich habe auch unser Kader darauf aufmerksam gemacht: Ihr müsst auch zu euch schauen! Es nützt nichts, wenn ihr aussteigt. Wir müssen die Verantwortung tragen und auch zu uns selbst schauen. Wir müssen unsere Pflicht erfüllen.

Hatten Sie auch Ärger?
Es gab teilweise schwierige Anspruchshaltungen von Angehörigen unserer Bewohnerinnen und Bewohner. Aber das war die Ausnahme, die meisten Personen waren mit unserer Arbeit zufrieden.

Hat Ihre Frau eine wichtige Rolle gespielt bei der Arbeit?
Ja, zu Hause finden die persönliche Hygiene und ein Gedankenaustausch statt. Meine Frau hat dafür gesorgt, dass daheim alles in Ordnung war. Ich musste mich dort um nichts kümmern.

Konnten Sie trotz der zahlreichen Ausfälle bei den Pflegenden die Betreuung gewährleisten?
Wir konnten sie gewährleisten, aber alles spielte sich auf einer sehr schmalen und fragilen Basis ab. In einigen Phasen befanden sich drei Viertel des Pflegepersonals in Isolation. Ich möchte hier einen grossen Dank aussprechen, denn wir konnten die Pflege nur leisten, weil Freiwillige, welche die notwendige Qualifikation aufweisen, spontan einsprangen und uns unterstützten.

Konnten Sie auf pensionierte Pflegefachkräfte zurückgreifen?
Ja, aber nicht alle Angefragten haben zu-, sondern zum Teil aus respektablen Gründen auch abgesagt. Letzteren habe ich deutlich vermittelt, dass kein schlechtes Gewissen angebracht ist. Jeder Mensch hat das Recht, sich frei zu entscheiden, wie er auf eine Anfrage reagiert. Wir fanden Personen, die in anderen Heimen Teilzeit beschäftigt sind und bei uns tageweise eingesprungen sind.

Wie präsentiert sich die Situation zurzeit?
Unsere Belegung ist reduziert, weil viele Personen Angst haben und nicht in ein Heim wechseln möchten. Wir müssen nun wieder daran arbeiten, die Belegung hochzufahren. Die tiefe Belegungszahl ist für uns eine grosse finanzielle Belastung, die von unserer Stiftung als Trägerschaft getragen werden muss. Aber wir können es uns nicht leisten, über mehrere Jahre Verluste einzufahren.

Befürworten Sie eine Impf-Verpflichtung?
Ja, aber nur, wenn sie für alle gilt und nicht nur für einzelne Berufsgruppen. Bei den erhofften und bevorstehenden Lockerungen der Corona-Vorgaben wünsche ich mir, dass durch die Politik in den Altersheimen keine Parallelgesellschaft gebildet wird. Wir und unsere Bewohnerinnen und Bewohner sind ein Teil dieser Gesellschaft, und wir wollen keine Einschränkungen, um uns so quasi zu schützen. Unsere Bewohnerinnen und Bewohner können sich mit Impfungen und Booster schützen. Wer dies ausdrücklich nicht will, muss auch im Altersheim das entsprechende Risiko oder die Konsequenz tragen.

Wie handhaben Sie das Testen?
Vor einiger Zeit haben wir einmal pro Woche Tests für die Mitarbeitenden organisiert, jetzt sogar zwei- bis dreimal. Für das Personal besteht eine Testpflicht.

Wie stehen Sie zur Zertifikatspflicht?
Ich stehe positiv dazu, da es mir im Heim die Sicherheit gibt, dass die Menschen geimpft, getestet oder genesen sind.

Auf dem Höhepunkt der Infektion ist im Heim ein Besuchsverbot verfügt worden. Gilt dies nach wie vor?
Nein. Wir haben die Besuchszeiten auf 9 bis 17 Uhr beschränkt, damit wir die Kontrollen organisatorisch bewältigen können.

Besteht eine Testpflicht?
Bei Neueintritten von Personen aus dem Spital ist es Bedingung, dass das Spital vor dem Übertritt noch einen Test durchführt. Bei den Besuchenden ist die Regel, dass sie geimpft sind oder ein Testat vorlegen, dass sie sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können.

Wie beurteilen Sie die Stimmung beim Personal?
Dass und wie wir diese Krise gemeistert haben, hat unter dem Personal wie Kitt gewirkt. Der kantonsärztliche Dienst hat zu den Anfangszeiten der Pandemie kontrolliert, wie wir die Bewohnerinnen und Bewohner betreuen. Wir erhielten sehr positive Feedbacks. Auch die Bewohnerinnen und Bewohner haben unsere Covid- 19-bedingten Massnahmen sehr gut weggesteckt. Ich spreche unseren betreuenden Personen ein grosses Kompliment aus.

Zur Person

abi. Der am 12. April 1958 in Birsfelden geborene Roland Dalhäuser erlernte den Beruf eines Werkzeugmachers und bildete sich anschliessend im kaufmännischen Bereich weiter. Bekannt wurde er in seinen jungen Jahren als international erfolgreicher Hochspringer. 1981 wurde er Hallen-Europameister, 1980 Olympia-Fünfter in Moskau und neunmal Schweizer Meister. Den Schweizer Rekord von 2,31 Metern hielt er von 1981 bis 2021. Er wohnt in Ormalingen und ist seit 19 Jahren Leiter des Jakobushaus, «Begleitung und Pflege», in Thürnen. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

«Du musst einfach funktionieren»

Image Title

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Ja. Ich benötige ein Abo.

Article

Image Title