Jürg Gohl
«Wenn der Abend sich hinter den Tannen aufschichtete, die nasse, spiegelnde Eisfläche weiss und hart wurde und die Schlittschuhläufer wie Schwalben umherflitzten, wunderte ich mich, dass sie nie aneinanderstiessen.» Mit diesem Satz beginnt der ...
Jürg Gohl
«Wenn der Abend sich hinter den Tannen aufschichtete, die nasse, spiegelnde Eisfläche weiss und hart wurde und die Schlittschuhläufer wie Schwalben umherflitzten, wunderte ich mich, dass sie nie aneinanderstiessen.» Mit diesem Satz beginnt der Beitrag «Der ungewöhnliche Junge und das besondere Mädchen». Geschrieben wurde er von der vor 25 Jahren verstorbenen Adelheid Duvanel, einer Autorin mit Baselbieter Wurzeln (siehe «Volksstimme» vom 6. Januar, Seite 10).
Ebenfalls mit diesem Text hat Charles Brauer den Schlusspunkt seiner traditionellen Neujahrslesung in Böckten gesetzt – es war die längste Kurzgeschichte in seinem Programm. In ihr möchte die hinkende Ich-Erzählerin mit autobiografischen Zügen dem elegant tanzenden Rolf etwas näherkommen. Doch Scheitern gehört zum Programm von Adelheid Duvanel, nicht nur in den acht Beiträgen, die Charles Brauer aus dem fast 800 Seiten starken Gesamtwerk «Fern von hier» ausgewählt hat.
Ob grammatikalisch in der dritten Person (sie/er) oder in der ersten Person (ich) geschrieben, immer stehen Menschen mit Makel im Mittelpunkt von Duvanels Kurzprosa. Die Einsamkeit ist allgegenwärtig. «Zu zweit kann man über Dinge lachen, über die man alleine weinen würde», trägt Charles Brauer, der in Böckten lebende Schauspieler und begnadete Vorleser, etwa in «Willibald» vor.
Eigenwillige Sprachbilder
Gleichwohl macht sich unter den gut 70 Gästen im Gemeindehaus in Böckten nie eine trübe Stimmung breit, weil die Texte oft auch ein Schmunzeln auslösen. Weniger oft liegt das an einer Pointe wie beim Mädchen, das zur Antwort gibt: «Ich bin nicht Jüdin, ich bin Susanne.» Meist liegt es an den schräg-skurrilen Sprachbildern, Vergleichen und Formulierungen, die Duvanel schafft. Oft weisen ihre Texte wie im Einstiegssatz der besagten langen Kurzgeschichte expressionistische Züge auf oder dann finden sich im gleichen Text ganz beiläufig Sprachperlen wie: «Der Oktober gebärdet sich manchmal, als sei er der Vorbote des Frühlings.» Das fährt gerade im Januar ein.
Im Namen von «Kultur Böckten» bedankte sich Roland Bauhofer für die «Gedankenbruchstücke». Habe das Publikum frühere Lesungen von Brauer einfach geniessen können, so habe Adelheid Duvanel das Denken ständig auf Trab gehalten, sagte er und bezog das gleich noch auf den musikalischen Rahmen des Anlasses. Der Gelterkinder Cellist Markus Stolz trug kurze und längere Werke von Komponisten wie Reger, Henze und Bloch vor, die ebenfalls kein Wegdämmern erlaubten.