«Gute Aussichten für die ‹Volksstimme›»
06.01.2022 Baselbiet, Medien, Buckten, Schweiz
Matthias Manz
Herr Matter, Sie sind schweizweit bekannt als erster «Superdirektor» von Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Von welchen Leistungen profitierte das Publikum in der Zeit Ihrer Direktion von 2011 bis 2019?
Ruedi Matter: Das ...
Matthias Manz
Herr Matter, Sie sind schweizweit bekannt als erster «Superdirektor» von Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Von welchen Leistungen profitierte das Publikum in der Zeit Ihrer Direktion von 2011 bis 2019?
Ruedi Matter: Das grösste Projekt hiess «Konvergenz», später «digitale Transformation». Die Journalistinnen und Journalisten von Radio und Fernsehen sollten stärker zusammenarbeiten und ihre Inhalte auch online und in den Social Media verbreiten – überall dort, wo das Publikum ist. In diesem Projekt konnten einige Redaktionen, die Geschäftsleitungen und die Supportabteilungen zusammengelegt werden …
... ein Sparprogramm also ...
Nein, es war keine klassische Sparübung. Vielmehr wurden Mittel intern freigespielt, um neue Programmangebote für das Publikum zu finanzieren, zum Beispiel die Serien «Der Bestatter» oder «Wilder», oder die Internet-Plattform srf.ch, Apps und den SRF-Player.
Was ist Ihnen in der Zeit Ihrer Direktion nicht oder nicht gut gelungen?
Es gab immer wieder Projekte oder Sendungen, die nicht wie gewünscht liefen. Wichtig ist, aus Misserfolgen Schlüsse zu ziehen. SRF ist eine lernende Organisation, die Mitarbeitenden haben einen hohen Qualitäts- und Dienstleistungsanspruch und sind gerade in angespannten Situationen sehr motiviert. Die Kraft und der Zusammenhalt im Unternehmen zeigten sich in der schwersten Bewährungsprobe meiner Direktionszeit, der Volksabstimmung über die Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren («No Billag») im Jahr 2018.
Wurden Sie als SRF-Direktor mit Hassmails und Ähnlichem eingedeckt?
Unqualifizierte und beleidigende Mails und Telefone wurden von den hervorragenden Mitarbeitenden unseres Kundendienstes abgefangen und beantwortet. An mich persönlich adressierte Briefe mit ernsthaften Beschwerden habe ich bisweilen direkt mit einem Telefonanruf beantwortet; daraus haben sich oft interessante Gespräche ergeben.
Ihre ersten Schritte als Journalist haben Sie 1974 bei der «National-Zeitung», einer Vorgängerin der «Basler Zeitung», gemacht. Diesem Beruf sind Sie seither treu geblieben. Was waren der Anlass und die Motivation für Ihre Berufswahl?
Nach der Matur 1973 hatte ich zunächst keine Lust auf ein Studium, das habe ich erst später nachgeholt. Meine ersten kurzen Zeitungsartikel schrieb ich schon als Schüler in der «Volksstimme» über Gemeindeversammlungen in Buckten. Bei der «National-Zeitung» gab es damals eine Gruppe jüngerer, spannender Journalisten, deshalb habe ich mich im Lokalteil beworben. Und hatte das Glück, dass ich nach einem Praktikum angestellt wurde.
Hatten Sie ein Vorbild als junger Journalist?
Ja, weit entfernte Vorbilder. Ich hatte das Buch der amerikanischen Journalisten Carl Bernstein und Bob Woodward über die Watergate-Affäre verschlungen. Die beiden hatten als Lokalreporter der Zeitung «Washington Post» die kriminellen Machenschaften von US-Präsident Nixon aufgedeckt. Ihr journalistisches Handwerk war für mich eindrücklich und lehrreich.
Welche andere Berufswahl konnten Sie sich damals oder später vorstellen?
Ich war – und bin es bis heute – stark an Theater und Film interessiert. Am Theater Basel gab es in den 1970er-Jahren am Montag jeweils Diskussionsabende mit Spielszenen, an denen ich gelegentlich mitarbeiten durfte.
Schon als 23-Jähriger haben Sie ein erstes Mal zum Schweizer Fernsehen gewechselt und sind von da an bei den elektronischen Medien geblieben.
Ich hatte auch da Glück. Als ich zum Studium nach Zürich ging, erhielt ich die Anfrage, ob ich am Wochenende in der Redaktion der «Tagesschau» aushelfen wolle. Und so bin ich beim Fernsehen hängen geblieben.
Was machte das Fernsehen für Sie attraktiver als die Printmedien?
Das Fernsehen war noch ein junges Medium und entwickelte sich in jener Zeit schneller als jedes andere. Die «Tagesschau» wurde umgestaltet. Besonders attraktiv fand ich, bei neuen Formaten wie «Karussell» mitzuwirken.
Sie haben nicht nur lange bei einem öffentlich-rechtlichen Sender gearbeitet, sondern fast 10 Jahre bei einem Privatsender in Deutschland. Was kann ein privater Sender besser als ein gebührenfinanzierter?
Scharf kalkulieren. Dafür ist der Handlungsspielraum in einem privaten Sender grösser. Die SRG muss eine Vielzahl öffentlicher Ziele verfolgen und erhält dafür Gebührengelder. Sie ist deshalb zu Recht einer starken öffentlichen Kontrolle unterworfen. Beim Privatsender konnte ich lernen, wie man seriöse Nachrichtensendungen zu wesentlich tieferen Kosten produziert. «ntv» beherrschte das sehr gut: mit bescheidenen Mitteln eine gute Arbeit abzuliefern. Jeder Euro, den man ins Programm steckte, musste zuerst verdient werden. Davon habe ich später in meinen leitenden Funktionen bei SRF enorm profitiert. Und es hat mein Verständnis für die Herausforderungen der privaten Medienunternehmen gefördert, die ihr Geld am Markt verdienen müssen.
Wenn auch Privatsender Qualitätsmedien sein können: Was spricht dagegen, in der Schweiz den Privatsendern mehr Raum und Geld zu überlassen, zulasten der SRG?
Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Deutschland und der Deutschschweiz. Hier gibt es einen Markt mit 6 Millionen Menschen, in Deutschland sind es 80 Millionen. Bei uns ist es unmöglich, ohne substanzielle Gebühren auch nur ein einziges vielfältiges, informationslastiges Qualitätsprogramm zu finanzieren. Im riesigen deutschen Markt konnte «ntv» damals mit einem Marktanteil von nur 0,8 Prozent neben ARD, ZDF und den grossen Privatsendern überleben.
Sie blicken auf 45 Jahre Medienerfahrung zurück. 1974 gab es bei uns weder Privatradio noch Privatfernsehen, keine Social Media. Konsumentinnen und Konsumenten mussten für allen Medienkonsum bezahlen. Die Printmedien wiesen eine grosse Vielfalt auf. Seither gab es bei den gedruckten Medien eine starke Konzentration und bei den elektronischen Kanälen eine enorme Ausdehnung. Sowohl die Medienkonzentration als auch die Ausbreitung der Social Media machen einem Sorgen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Die Entwicklung ist tatsächlich unglaublich. Damals wurde eine Zeitung noch mit Bleisatz produziert, heute kann das Fernsehen mit einem Handy kurzfristig eine Live-Schaltung in ein Krisengebiet organisieren. Unverändert hat das Publikum – gerade in Krisenzeiten wie die der aktuellen Pandemie – das Bedürfnis nach verständlicher und glaubwürdiger Information. Unabhängig davon, ob diese Information auf Papier oder auf elektronischem Weg verbreitet wird. Fundamental verändert hat sich, dass die Redaktionen nicht mehr exklusiv den Zugang zu Informationen ermöglichen, sondern dass heute jede und jeder Informationen verbreiten kann.
Finden Sie diese Demokratisierung der Informationsverbreitung positiv oder negativ?
Grundsätzlich positiv. Aber wir müssen noch lernen, mit der Informationsflut umzugehen: Welche Nachrichten sind glaubwürdig? Welche News sind gut recherchiert? Wo will man mich manipulieren? Es gibt das Risiko, sich in einer Informationsblase zu bewegen, wo sich alle gegenseitig ihre Meinung bestätigen, oder dass ein Algorithmus bestimmt, welche Inhalte ich zu Gesicht bekomme. Plattformen sollten nicht nur liefern, was mich bestätigt; Redaktionen bleiben wichtig, um eine breite Palette relevanter Informationen anzubieten.
In welche Richtung wird sich die Medienlandschaft in den nächsten 20 Jahren entwickeln? Wird sie noch einmal völlig anders aussehen?
Eine zuverlässige Prognose ist für diesen langen Zeitraum nicht möglich. Es wird sicher neue Technologien geben, die wir noch nicht kennen, so wie wir vor 20 Jahren nichts von einem Smartphone wussten. Und es dürften sich Trends fortsetzen. Es wird noch schwieriger werden, Qualitätsmedien im kleinen Schweizer Markt zu finanzieren. Die Social-Media-Angebote werden zunehmen, die Zahl der eigenständigen Zeitungen wird weiter zurückgehen.
Haben in diesem medialen Getümmel kleine regionale Printmedien wie die «Volksstimme» eine Zukunft?
Sie haben gute Aussichten. Lokale Informationen werden immer interessieren. Vielleicht wird die «Volksstimme» nur noch ein Mal pro Woche erscheinen und dafür mehr Informationen über ihre Website oder über Social Media verbreiten. Die Marke «Volksstimme» wird im Oberbaselbiet weiterhin eine Rolle spielen.
Und die Finanzierung?
Die Leute werden weiterhin bereit sein, für lokale Informationen etwas zu bezahlen. Und lokale Nachrichten lassen sich kostengünstiger produzieren als Reportagen aus einem internationalen Konfliktgebiet. Aber man muss nirgends so genau arbeiten wie im Lokaljournalismus, weil die abgehandelten Themen und Ereignisse sehr vielen Menschen aus der Region vertraut sind und Fehler sofort aufgedeckt werden.
Sie haben während Jahrzehnten ausserhalb unserer Region gelebt und möglicherweise nicht jeden Buckter Banntag mitgemacht. Wie ist heute Ihr Verhältnis zum Baselbiet und zum Heimatort Buckten?
Ein Teil meiner Familie lebt im Baselbiet, ich treffe regelmässig Freunde dort und in Basel. Und ich liebe die Landschaft. Wo immer auf der Welt eine Landschaft dem Jura ähnelt, erinnert sie mich an meine Heimat.
Zur Person
ma. Ruedi Matter (68) ist in Buckten aufgewachsen und blickt auf eine lange Karriere als Journalist und Medienmanager in der Schweiz und in Deutschland zurück. 1974 Redaktor bei der «National-Zeitung» (einer Vorgängerin der BaZ). 1976 Wechsel zum Schweizer Fernsehen DRS als Reporter, Produzent und Moderator der «Tagesschau; und der Vorabendsendung «Karussell». Ab 1988 einige Jahre freier Journalist und Abstecher zur Unternehmensberatung McKinsey. 1993 Aufbau der Wirtschaftssendung «Cash-TV» für den Ringier-Konzern. 1997–2006 führende Positionen beim deutschen Nachrichten-Fernsehsender ntv in Berlin und in Köln. 2006 Rückkehr in die Schweiz als Chefredaktor von Schweizer Radio DRS. 2011–2019 erster Direktor des fusionierten Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Heute ist Ruedi Matter als Berater tätig und in Startup-Unternehmen engagiert.
Matter ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Er lebt in der Nähe von Zürich.