«Bin kein Fan von Fünf-vor-zwölf-Botschaften»
06.01.2022 Baselbiet, Langenbruck, Energie/Umwelt, Bezirk Waldenburg
Daniel Zwygart
Frau Jucker, in Ihren vier Jahren Arbeit am Ökozentrum haben Sie den inneren «Umbau» des traditionsreichen Instituts «hautnah» miterlebt. Was ist geschehen?
Linda Jucker: Das basisdemokratisch geführte Ökozentrum war ...
Daniel Zwygart
Frau Jucker, in Ihren vier Jahren Arbeit am Ökozentrum haben Sie den inneren «Umbau» des traditionsreichen Instituts «hautnah» miterlebt. Was ist geschehen?
Linda Jucker: Das basisdemokratisch geführte Ökozentrum war in seiner bisherigen über 40-jährigen Geschichte Vorreiterin für viele Innovationen zugunsten eines nachhaltigen Umgangs mit unserer Umwelt. Die Abteilung Forschung und Entwicklung wurde im Lauf der Jahre mit dem Bereich Bildung und Gesellschaft ergänzt. Seit 2021 setzen wir ganz auf Bildung, Beratung und damit Befähigung und bewahren dabei den technologischen Bezug und das technische Know-how. Alle industrienahen Forschungsprojekte wurden abgeschlossen oder übergeben. Seit diesem Sommer bin ich Geschäftsleiterin des Ökozentrums in Langenbruck.
Was sind die Gründe, die zu diesen deutlichen Ziel- und Strukturänderungen führten?
Wir stellten seit einiger Zeit ein grosses Wachstum bei der Nachfrage für unsere Bildungs- und Sensibilisierungsprojekte fest. In der mittlerweile bedeutenden Energie-Forschungslandschaft in der Schweiz wurde es für unser kleines Team immer schwieriger, in allen Bereichen technologisch an der Spitze mitzuhalten und Projekte zu finanzieren. Deshalb wurde im Frühling 2021 der Entschluss gefasst, die industrienahe Forschungsund Entwicklungstätigkeit am Ökozentrum zu beenden. Die Tätigkeiten, welche Forschung und Wirtschaft vernetzen, werden weitergeführt. Auch technische Beratungen bieten wir weiterhin an. Die Tatsache, dass zahlreiche Technologien vorhanden sind, aber nicht in der Breite gekauft und angewendet werden, zeigt uns, dass wir mit unserem Fokus auf Beratung, Bildung und Befähigung unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure auf dem richtigen Weg sind.
Gingen diese Umstrukturierungen ohne grosse Proteste über die Bühne?
Wir mussten mit unserem Schritt leider 6 Teilzeitstellen abbauen. Für die Betroffenen war diese Entscheidung nicht leicht. Immerhin konnten wir durch unser Netzwerk und mit Beratung und Hilfestellungen seitens des Stiftungsrates bewirken, dass die Betroffenen entweder ihr ehemaliges Thema als Selbstständige weiterführen konnten oder an adäquaten Arbeitsorten eine Stelle fanden. Einige wenige langjährige Mitglieder und Gönner waren nicht einverstanden mit unserer Neuausrichtung und haben ihre Mitgliedschaft gekündigt. Im Grossen und Ganzen haben wir aber viel Zuspruch, Wohlwollen und Verständnis erfahren, was uns natürlich enorm freut.
Was sind die Erfahrungen Ihres ersten halben Jahres als Geschäftsleiterin?
Wir haben unsere Angebote trotz grosser Herausforderungen aufgrund von Corona weitergeführt und ausgebaut. Die Verantwortung als Geschäftsleiterin ist gross, aber ich sehe sie als bereichernde Chance, Rahmenbedingungen fürs Gesamtgeschäft zu schaffen, dieses neu auszurichten und zum Erfolg zu führen.
Was freut Sie am meisten?
Das Vertrauen der Mitarbeitenden. Und dass wir dieses schwierige Jahr voraussichtlich mit einer schwarzen Null abschliessen können. Wir haben viel an der Qualitätssicherung der Angebote gearbeitet, manche inhaltlich überarbeitet und unsere quantitativen Ziele beispielsweise im Bereich Schule erreicht oder übertroffen. Das war nur möglich dank des grossen Engagements der Menschen, die an die Vision glauben und mit grossem Einsatz in Richtung Neuausrichtung Ökozentrum arbeiten. Dafür bin ich dankbar. Neue Strukturen und eine neue Führung brauchen immer die Veränderungsbereitschaft des Teams. Da ich einen grossen Teil des jetzigen Teams bereits seit 2019 führe, ist die Veränderung etwas sanfter und wird geschätzt. Ich bin überzeugt, dass flache, aber transparente Hierarchien und Funktionsstufen sowie das Führen nach Zielen Erfolg versprechend sind. Ich stelle fest, dass es Mitarbeitende motiviert, wenn sie wissen, wofür sie arbeiten und gleichzeitig innerhalb des gesetzten Rahmens frei sind, selbst zu entscheiden.
Die Geldknappheit war am Ökozentrum immer ein Thema. Wie sieht die Situation momentan aus?
Wenn Sie die Position des Pioniers haben, sind sie selten reich. Daher stimmt es, dass die Geldknappheit das Ökozentrum immer schon begleitet hat und dies auch heute noch tut. Mir ist es sehr wichtig, hier Entspannung schaffen zu können. Denn es ist klar: Für die Arbeit an der sozialen Innovation, mit der das Ökozentrum in die Zukunft geht, braucht es eine Anfangsinvestition. Genauso liegt mir die Weiterbildung der Mitarbeitenden am Herzen – auch hierfür braucht es Reserven und Mittel. Ich schätze, dass die nächsten zwei Jahre herausfordernd bleiben, bin aber auch überzeugt, dass es für uns Wege gibt, das Geschäft so auszurichten, dass es auch finanziell erfolgreich sein wird. Natürlich freuen wir uns sehr über weitsichtige Menschen, die uns mit einer Mitgliedschaft oder mit Spenden unterstützen, weil sie an uns und die Wirkung unserer Arbeit glauben. Ohne sie wird es schwierig, die Transformation zu stemmen.
Der Klimagipfel von Glasgow ging kürzlich zu Ende. Kommentieren Sie aus Ihrer Sicht den Aufwand und den Ertrag?
Internationale Klimaverhandlungen sind sehr wichtig, da die Klimakrise eine globale Krise ist, die ein gemeinsames Verständnis über Dringlichkeit und Handlungsbedarf braucht. Positiv gesprochen, haben zum ersten Mal, seit es internationale Klimaverhandlungen gibt, alle Staaten die Ursachen des Klimawandels anerkannt: das Verbrennen von fossiler Energie. Begriffe wie Netto-Null sind inzwischen Mainstream. Das ist aus meiner Sicht schon bemerkenswert. Wenn wir dagegen sehen, wie unglaublich viel sich in kurzer Zeit noch verändern muss, damit die Klimaziele erreicht werden können, stimmen einem die Resultate aus Glasgow auch ernüchternd.
Die fossilen Brennstoffe sollen abgelöst werden. Welche Chancen und Gefahren sehen Sie darin?
Der Umbau der Energieversorgung auf erneuerbar ist langfristig alternativlos. Chancen sehe ich in der lokalen Wertschöpfung und den neuen Arbeitsplätzen, die durch diese Veränderung entstehen. Technisch ist die Wende möglich. Wenn die Wende günstig und ressourcenschonend erfolgen soll, muss auch der Verbrauch reduziert werden. Die grösste Gefahr sehe ich im massiven Tempo, das nötig ist für den Wandel.
Wie stehen Sie zur Aussage, dass die Menschheit ohne Verzicht und Reduktion ihrer Ansprüche an die weltlichen Ressourcen keine
Überlebenschance haben wird?
Grundsätzlich bin ich kein Fan von negativen Fünf-vor-zwölf-Botschaften, weil sie wenig handlungsleitend sind. Gleichzeitig ist auch klar, dass wir ohne deutliche Veränderungen mit Vollgas in die Klimakatastrophe fahren. Deswegen glaube ich, dass wir anders ansetzen müssen: Verzicht und Reduktion sind mehrheitlich negativ wahrgenommene Begriffe. Aber das muss nicht so sein. Auf etwas zu verzichten heisst oft, etwas anderes zu erhalten oder erfahren. Das kann auch ein Gewinn sein.
Sie legen viel Augenmerk auf die Bildung der Jugendlichen. Welches sind Ihre Hauptziele dabei?
In unserer Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen setzen wir auf niederschwellige, erlebnisorientierte Bildung, die die Menschen als Ganzes anspricht. Neben Informationsvermittlung wollen wir Erfahrungsräume schaffen und in positiven Diskussionen auf Augenhöhe die Handlungskompetenzen jedes Einzelnen stärken. Die von uns angewandten erlebnisorientierten Installationen führen immer wieder zu verblüffenden Aha-Effekten.
Greta Thunberg und andere Jugendliche haben mit ihrem Engagement viel zur Mobilisierung der Jugendlichen beigetragen. Was trauen Sie der Klimajugend zu?
Wir beobachten seit 2019 einen Anstieg an Buchungsanfragen für unsere speziellen Infotainment-Formate und Bildungsangebote. Wir sind überzeugt, dass die höhere Nachfrage damit zusammenhängt, dass die Gesellschaft als Ganzes deutlich stärker sensibilisiert ist. Und das haben wir zu guten Teilen der Klimajugend zu verdanken.
Ich erlebe viele Jugendliche (und Erwachsene) als wenig umweltbewusst. Täuscht dieser Eindruck?
Je nach Umfeld, wo man sich bewegt, können persönliche Erfahrungen sehr unterschiedlich sein. Sozialwissenschaftliche Studien sind in dieser Hinsicht oft genauer. Und da zeigt das «Sorgenbarometer 2021» deutlich, dass die Klimakrise mindestens so bedeutsam wahrgenommen wird wie die Coronavirus-Pandemie oder die Sorge um die AHV. Das heisst noch nicht, dass die Bevölkerung auch umweltbewusst handelt. Aber es heisst, dass das Thema in der Bevölkerung angekommen ist. Neben Individuen, die vorangehen, braucht es auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Anreizsysteme für den Umbau der Gesellschaft in Richtung Netto-Null.
Die Corona-Pandemie löst drastischere Massnahmen aus als die Klimakrise. Was könnten die Gründe sein?
Ich kann mir vorstellen, dass die unterschiedlichen Massnahmen, die politisch getroffen werden, mit der Unmittelbarkeit der Bedrohung und der physischen Nähe zusammenhängen: Wir alle haben sogenannte Risikopatienten im Umfeld, die wir schützen wollen. Aber nicht alle von uns kennen Menschen im näheren Umfeld, die aufgrund der Klimakrise bereits ihr Zuhause verloren haben. Die Coronakrise ist für uns geografisch näher. Sie ist unmittelbar und sie hat ein Gesicht.
Ein neues Jahr hat gerade begonnen. Nennen Sie uns zwei Ziele, die Sie geschäftlich unbedingt erreichen möchten.
Neben dem Bereich Schulen möchte ich im neuen Jahr deutliche Akzente setzen in den Bereichen Firmen und Gemeinden. Erste Erfahrungen zeigen, dass diese von unserem Knowhow und unseren Angeboten profitieren können. Intern möchte ich die grössten Veränderungen dieses Jahr abschliessen und fortan als lernende und agile Organisation die weiteren Schritte gehen.
Und privat – bezüglich Umwelt?
Das Wichtigste scheint mir, vor jedem Konsumentscheid zu überlegen: Brauche ich das Produkt wirklich? Ist es gerechtfertigt, dass mein Konsum diese oder jene Folgen hat? Ich erlebe die Befreiung vom Zwang zu konsumieren als grosse Erleichterung und Unabhängigkeit.
Zur Person
zwy. Linda Jucker ist 32-jährig, hat an den Universitäten Basel und Bern Soziologie, politische Philosophie und Ethik studiert, sich in Leadership weitergebildet und absolviert aktuell eine Weiterbildung in Management. Sie sammelte berufliche Erfahrungen in Non-Profit-Organisationen, in der Landwirtschaft, an der Universität und in diversen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Linda Jucker arbeitet seit 2017 am Ökozentrum. Im Juni 2021 wurde sie zur Geschäftsleiterin ernannt. Sie lebt mit ihrem Partner im Oberbaselbiet.