Hoffen auf ein friedliches Zusammenleben mit dem Wolf
25.11.2021 Baselbiet, Landwirtschaft, Natur
Sebastian Schanzer
«Ein prächtiges Exemplar», postete Maya Graf auf Facebook nach der Meldung vom Montag über den in Zeglingen fotografierten Wolf. Die Grüne Ständerätin aus Sissach freut sich offensichtlich über die Rückkehr des Raubtiers im Baselbiet ...
Sebastian Schanzer
«Ein prächtiges Exemplar», postete Maya Graf auf Facebook nach der Meldung vom Montag über den in Zeglingen fotografierten Wolf. Die Grüne Ständerätin aus Sissach freut sich offensichtlich über die Rückkehr des Raubtiers im Baselbiet nach über 150 Jahren. Auch ihre Parteikollegin Meret Franke, ehemalige Landrätin und Präsidentin von Pro Natura Baselland, sagt auf Anfrage: «Natürlich freue ich mich darüber, dass trotz der vielen Strassen und der Zersiedelung in der Schweiz ein so grosses Wildtier den Weg unbeschadet zu uns gefunden hat. Das ist ein gutes Zeichen.»
Der Wolf habe als Teil des Ökosystems ein Recht, seinen ursprünglichen Lebensraum wieder zu besiedeln. Seine «Aufgabe» bestehe in der Regulierung des Rotwilds, die im Moment von der Jagd übernommen werde. «In einer intakten Natur soll ein natürliches Gleichgewicht herrschen», so Franke.
«Das ist eben Natur»
Gar nicht erfreut zeigt sich hingegen Marc Brodbeck, Präsident des Bauernverbands beider Basel. Der Wolf sei im Moment das Tagesgespräch bei den Baselbieter Landwirtinnen und Landwirten. Man dürfe nun zwar nicht in Panik verfallen, aber: «Dieses Thema wird uns ab jetzt für längere Zeit beschäftigen.» Spätestens im Frühling, wenn die Tiere wieder auf die Weide geschickt werden, muss sich jeder Tierhalter Gedanken zum Herdenschutz machen. Allerdings sei im Bündnerland ein Wolf auch schon in einen Stall eingedrungen. «Heute gibt es viele offene Ställe mit Auslauf für die Tiere und wenn ein Wolf Hunger hat, dann kann er so manches Hindernis überwinden», so Brodbeck.
Philipp Miesch, Präsident des Schafzüchtervereins Baselland und Umgebung, zeigt sich derweil gefasst. «Das ist eben Natur», sagt er. «Wir haben Respekt vor dem Wolf, aber wir sind auf seine Ankunft auch vorbereitet.» Wichtig sei es jetzt, Sicherheitsmassnahmen zu ergreifen, also Zäune zu errichten, die Tiere über Nacht im Stall unterzubringen und sich gegebenenfalls von Experten beraten zu lassen.
Wie sich Tierhalter konkret vor einem Wolf schützen können, weiss Fabian Dettwiler. Er ist Kantonaler Herdenschutzbeauftragter beim Ebenrain-Zentrum für Landwirtschaft, Natur und Ernährung und stellt eine Verunsicherung bei Landwirten, aber auch privaten Tierhaltern fest. «Es ist nicht nur dieses einzelne fotografierte Exemplar, sondern vielmehr auch die Frage nach der näheren Zukunft, welche die Bauern nun umtreibt. Was, wenn sich einmal ein Rudel hier niederlässt?» Dabei sind es keineswegs nur Halter von Ziegen und Schafen, die sich Sorgen machen. Auch Landwirte aus dem Oberbaselbiet mit jungen Rindern oder Kälbern auf den Weiden seien verunsichert, so Dettwiler. Gerade im oberen Kantonsteil gebe es unwegsame Gebiete, in denen es schwierig sei, die empfohlenen Schutzmassnahmen wie beispielsweise die elektrifizierten Weidenetze umzusetzen.
Die Sorge, dass sich künftig auch Wanderleute vor dem Wolf in Acht nehmen müssen, scheint derweil klein. Mögliche Konflikte des scheuen Tiers mit dem Menschen würden als gering eingeschätzt, sagt Gabriel Sutter vom Amt für Wald beider Basel (siehe rechts). Entsprechend sieht auch Stefan Flückiger, Wanderleiter bei den Naturfreunden beider Basel, keinen Grund zur Sorge. «Auf unsere Wanderungen im Oberbaselbiet hat die Präsenz eines Wolfs keinen Einfluss», sagt er auf Anfrage.
Auf ein dereinst friedliches Zusammenleben von Menschen, Nutztieren und Grossraubtieren hofft auch Meret Franke von Pro Natura, die selbst drei Geissen besitzt. Die Naturschutz-Organisation lässt mehrere Schutzgebiete im Kanton regelmässig durch Geissen beweiden, um sie vor der Vergandung zu bewahren und sie so ökologisch aufzuwerten. Für Franke ist klar: «Die Rückkehr des Wolfs wird uns im Baselbiet vor Herausforderungen stellen.» Durch effektive Herdenschutzmassnahmen, koordiniert durch den kantonalen Herdenschutz, könne dies aber ermöglicht werden.
«Ein Rudel hätte hier zu wenig Rückzugsraum»
Herr Sutter, ein Wolf ist im Baselbiet gesichtet worden – eine gute Nachricht oder eine schlechte?
Gabriel Sutter: (lacht) Diese Wertung überlassen wir der Bevölkerung. Es war aber ein zu erwartendes Ereignis. Für uns war dieser Nachweis eine Frage der Zeit. Wir haben uns deshalb so gut wie möglich darauf vorbereitet.
Ist denn auch zu erwarten, dass der Wolf früher oder später im Baselbiet sesshaft wird?
Das wird die Zeit zeigen, wir wissen es nicht. Aufgrund von Habitatsmodellierungen gehen wir aber nicht davon aus, dass sich der Wolf in grösseren Rudeln im Baselbiet niederlassen wird. Es ist in erster Linie mit durchwandernden Einzeltieren zu rechnen.
Was spricht dagegen?
Dagegen sprechen in erster Linie die Kleinstrukturiertheit und die hohe Bevölkerungsdichte, die ihm wahrscheinlich nicht ausreichend Rückzugsraum liessen. Dazu kommt auch das fehlende Rotwild, seine bevorzugte Nahrungsquelle – zumindest gehen wir nach heutigem Stand davon aus.
Auf welche Nutztiere des Menschen hat es der Wolf abgesehen?
Grundsätzlich ist das Konfliktpotenzial im Baselbiet sicher geringer als in den Sömmerungsgebieten in den Alpen. Die Nutztiere sind hier in der Regel durch Zäune geschützt. Gegebenenfalls gibt es noch etwas Anpassungsbedarf. Wenn er Nutztiere angreift, dann sind es eher die kleineren: Schafe und Ziegen. Bei ausgewachsenen Kühen, also sowohl Milch- als auch Mutterkühen, gibt es bisher in der Schweiz keinen bestätigten Wolfsriss.
Und wie sieht es mit Angriffen auf Menschen aus?
Wandernde Wölfe verhalten sich in ungewohnter Umgebung sehr vorsichtig. Mögliche Konflikte mit dem Menschen werden nach wie vor als gering eingeschätzt. Durch die temporäre Wolfspräsenz besteht keine Gefahr für die Bevölkerung.
Interview Sebastian Schanzer