Eine Stunde ansitzen für ein Kilo Wildsau
30.11.2021 Baselbiet, Rümlingen, Bezirk Sissach
Ferdinand Bolinger
Wildschweine zur Strecke zu bringen erfordert viel Geschick und noch mehr Zeit. Denn Wildschweine gelten als lernfähig, sie spüren Gefahren und sie lernen. So führen beispielsweise Abschüsse bei Kirrungen – das sind Stellen, wo ...
Ferdinand Bolinger
Wildschweine zur Strecke zu bringen erfordert viel Geschick und noch mehr Zeit. Denn Wildschweine gelten als lernfähig, sie spüren Gefahren und sie lernen. So führen beispielsweise Abschüsse bei Kirrungen – das sind Stellen, wo Wildschweine mit kleinen Futtermengen angelockt werden, um sie dort zu erlegen – dazu, dass die Tiere diese Stellen künftig meiden.
Der Rümlinger Metzger Beat Stoller hat daraus folgende Regel abgeleitet: «Pro Kilo Fleisch braucht es in der Regel über eine Stunde ansitzen.» Besonders bei den gegenwärtigen Witterungsverhältnissen müssten die Jägerinnen und Jäger einen starken Durchhaltewillen an den Tag legen.
21 Tiere in einer Woche
Im Bezirk Sissach wurden in diesem Jahr bereits rund 200 Wildschweine erlegt. «Täglich erhalten wir von den Jägern Wildschweine zur Verarbeitung. Die höchste Anzahl in einer Woche waren 21 Tiere.» Viele Jagdgesellschaften in der Umgebung bringen ihre Tiere zur weiteren Verarbeitung nach Rümlingen. Ein Blick in Beat Stollers Kühlraum bestätigt die Aussage eindrucksvoll.
Die «Decke» oder das Fell, Kopf und Knochen machen rund die Hälfte des Gesamtgewichts einer Wildsau aus. Der Arbeitsaufwand für eine sorgfältige Zerlegung beläuft sich je nach Gewicht des Tiers auf zwei bis vier Stunden. Nach der Lagerung packt der Metzger das Fleisch nach den Wünschen der Jägerinnen und Jäger ab. Viele von ihnen geniessen ihren Jagderfolg gerne selber, nur sehr wenig von dem Fleisch, das er verarbeitet, gehe in die Gastronomie, sagt Stoller.
Beliebte Wildbratwürste
Wenn immer möglich, kauft der Metzger den Waidmännern und -frauen auch ganze Tiere ab. Patrizia und Beat Stoller sind sehr bekannt für ihre Wildprodukte und bieten während des ganzen Jahres eine grosse Vielfalt an Wildfleisch an. Nicht nur Schnitzel oder Koteletts, ganz speziell auch Wildbratwürste und der Salami seien sehr gefragt. Trockenfleisch und andere Spezialitäten runden das Angebot ab. All das verkauft der Rümlinger Metzger auf Vorbestellung an Privatkunden, oder im Verkaufswagen an der Hauptstrasse sowie am wöchentlichen «Gnussmärt in Lieschtel» an Laufkundschaft. In Liestal würden die gegrillten Wildbratwürste bei der Käuferschaft besonders gut ankommen, freut sich Patrizia Stoller.
Von der Sau bis zum verkaufsfertigen Produkt braucht es neben Zeit, fachlichem Können auch die entsprechende Einrichtung. Die gut ausgerüstete Metzgerei verfügt neben den erforderlichen, modernen Geräten über eine Reifekammer und einen Räucherschrank. Auf diesen ist der Fachmann besonders stolz. Der Schrank sei technisch auf dem neusten Stand, von der Art und Qualität her aber vergleichbar mit den alten Rauchkammern auf den Bauernhö- fen. «Tradition und Genuss pur vereint», kommentiert Patrizia Stoller.
Beat Stollers Engagement für das Handwerk und die Produkte, die Liebe zur Vielfalt und guten Qualität sind unverkennbar. Mit der eigenen Metzgerei mit dem Schwergewicht Wildspezialitäten ging für ihn und seine Frau im Jahr 2016 ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Neben dem Wild verarbeitet das Ehepaar auch andere Fleischsorten aus der Region und bietet zudem einen Partyservice an.
Hege, Pflege, Gleichgewicht
fb. «Wir Jäger stellen die Hege und Pflege der Bestände in den Mittelpunkt», sagt Franz Gysin, Jäger aus Rümlingen. Die gezielte und tierschutzgerechte Jagd der «Schwarzkittel» sorge für das nötige Gleichgewicht. Klare Vorgaben und Regelungen seien dabei vollumfänglich einzuhalten. Besonders wichtig sei die Zusammenarbeit mit den Landwirten. Diese sind aufgefordert, den Jagdgesellschaften einerseits Saattermine zu melden, andererseits auch frische Schäden an Feldern und Kulturen. Bei der Jagd auf Wildschweine kommt neben der Ansitzjagd auch die Bewegungsjagd zur Anwendung.