AUSGEFRAGT | WERNER STAMPFLI, FEUERWEHRINSPEKTOR BASELLAND
13.08.2021 Baselbiet, Zeglingen, Bezirk Waldenburg, Bezirk Sissach, Schweiz«Man hört oft auf die, die am lautesten brüllen»
Die Baselbieter Feuerwehr hat das Hochwasser-Ereignis von Ende Juni gut prästiert. Zu diesem Schluss kommt der Feuerwehrinspektor Werner Stampfli. Fehler seien dennoch passiert.
Sebastian ...
«Man hört oft auf die, die am lautesten brüllen»
Die Baselbieter Feuerwehr hat das Hochwasser-Ereignis von Ende Juni gut prästiert. Zu diesem Schluss kommt der Feuerwehrinspektor Werner Stampfli. Fehler seien dennoch passiert.
Sebastian Schanzer
Herr Stampfli, Sie leiten das Projekt der kantonalen «Feuerwehrreform 2025+». Haben Sie aus den Unwettern Ende Juni neue Erkenntnisse gewonnen für die künftige Organisation der Feuerwehr?
Werner Stampfli: Neue Erkenntnisse gibt es nicht. Der Einsatz hat funktioniert. Wir konnten unseren Auftrag erfüllen. Zum Glück wird ja jeweils nicht der ganze Kanton überschwemmt. Das heisst, wir konnten unsere kantonal verfügbaren Einsatzkräfte nach Bedarf verschieben. Klar, im diesmal stark betroffenen Oberbaselbiet, also im Ergolz-, Frenken- und Diegtertal, benötigten wir enorm viele Kräfte und haben auch relativ lange gebraucht, bis alles erledigt war. Aber für solche Ereignisse sind wir generell gut aufgestellt. Was wir seit einigen Jahren aber feststellen ist zum Beispiel, dass die Keller heute anders genutzt werden als früher. Wo vor Jahrzehnten noch Kartoffeln oder Äpfel lagerten, befinden sich heute Tonstudios, Hobbyräume, Kinderzimmer von Jugendlichen oder ähnliches. Das heisst, die Sachschäden sind heute tendenziell höher, wenn Keller geflutet werden.
Entsprechend lauter wurden wohl die Rufe von Privatpersonen nach Hilfe.
Ja, und das ist ja auch verständlich. Es ist aber jeweils schwierig die Anrufe richtig zu gewichten, und wir haben hier auch Fehler gemacht. Im Grundsatz richten wir die Priorität immer auf Mensch, Tier und die Umwelt und erst dann auf Sachwerte. Umgekippte Öltanks beispielsweise, die bei fast jeder Überschwemmung vorkommen, haben eine höhere Priorität als die teure Anlage im Tonstudio. Es kommt natürlich aber auch vor, dass wir manche am Telefon geschilderten Situationen falsch einschätzen. Man hört oft auf die, die am lautesten brüllen. Das Verständnis, dass wir nicht gleichzeitig überall helfen können, ist in der Regel aber da bei der Bevölkerung. Es kommt auch vor, dass wir aufgrund einer Fehleinschätzung das falsche Gerät einsetzen. Mit einer kleinen Pumpe kann man nicht den Keller einer grossen Firma auspumpen.
Solche Wetterereignisse dürften sich in Zukunft häufen. Sind im Baselbiet mehr Massnahmen zum Hochwasserschutz nötig?
Das Thema hat in den vergangenen Jahren zum Glück eine viel höhere Priorität bekommen. Ich bin der Meinung, dass man das nun gut angeht, auch wenn wir das Ziel noch nicht erreicht haben. Aber wir haben heute beispielsweise die Gefahrenkarten und wissen, wo das Wasser bei einer Überschwemmung hinfliesst. Wichtig ist einfach, dass man bei den Massnahmen den Blick auf das Ganze wirft. Wenn irgendjemand ein Mäuerchen vor sein Haus stellt, dann fliesst das Wasser einfach zum Nachbarn. Das ist noch keine nachhaltige Lösung.
Was wäre denn das Ziel?
100-prozentige Sicherheit gibt es nicht. Ein Ziel könnte es beispielsweise aber sein, dass wir bei Hochwasserlagen das Siedlungsgebiet möglichst schützen und dafür geplante Überschwemmungsgebiete einrichten − etwa indem wir das Wasser auf ein grosses Feld leiten und den Bauern entsprechend entschädigen. Das wäre bei Weitem günstiger als Hunderte überschwemmter Keller und zerstörter Autos. Bei den privaten Bauten sind wir im Bereich der Elementarschäden noch nicht soweit wie etwa beim Brandschutz. Dabei ist die Gebäudeversicherung durchaus bereit, sich an präventiven Massnahmen finanziell zu beteiligen.
In Deutschland diskutiert man über neue Warnsysteme, um Privatpersonen bei solchen Ereignissen möglichst schnell zu alarmieren. Wie ist die Schweiz diesbezüglich aufgestellt?
Wir haben die Gratis-App von Alertswiss, über welche der Staat jederzeit Warnungen verbreiten kann. Das funktioniert an sich gut. Aber natürlich nutzt diesen Dienst bei weitem keine Mehrheit der Bevölkerung. Auch Meteo Swiss warnt vor kommenden Unwettern und Hochwasser. Das liest mittlerweile aber niemand mehr, weil einfach zu viele Warnungen abgesetzt werden für Ereignisse, die dann gar nicht eintreten.Wir setzen uns aktuell dafür ein, dass bei Meteo Swiss solche Warnungen nur dann abgesetzt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass das Ereignis auch eintrifft, erhöht ist. Ich frage aber bewusst provokativ: Muss mich der Staat eigentlich vor allem und jedem warnen, oder soll ich mein Hirn auch hin und wieder einschalten? Auf eine App alleine sollte man sich ohnehin nicht verlassen.
Was wäre Ende Juni anders gelaufen, wenn die anfänglich angesprochene Reform mit drei grossen Regionalfeuerwehren und Aussenstandorten bereits vollzogen wäre?
Gar nichts. Die Mittel, die es für den Einsatz brauchte, wären auch nach der Neuorganisation vorhanden. Knapp ein Drittel der Feuerwehrleute im Baselbiet war bei den Ereignissen Ende Juni im Einsatz. Wahrscheinlich müsste man einfach früher auf Personal aus den anderen Regionen zurückgreifen − inklusive Basel-Stadt. Gemeinden wie auch Kantone müssen bei solchen Ereignissen einfach aufhören, sich an ihren geografischen Grenzen zu orientieren. Es geht, zumindest bei überfluteten Kellern, ja nicht um Minuten wie etwa bei der Sanität.
Auf welchem Stand befindet sich das Projekt denn aktuell?
Die Pandemie und auch diese Unwetter haben das weitere Vorgehen ein wenig verzögert. Wir haben nun rund 50 Interessenvertreter in die Arbeitsgruppe integriert − vom Feuerwehrmann über den Kommandanten bis zum Regionenvertreter oder Landrat. Diese Gruppe soll nun im Herbst die Ausgangslage prüfen und sich den Kopf zerbrechen, ob und wie wir die Feuerwehr neu aufstellen sollen. Ich freue mich über konstruktive Vorschläge. Im Frühjahr 2022 geht es dann um einen konkreten, mehrheitsfähigen Lösungsvorschlag.
Zur Person
ssc. Werner Stampfli ist der oberste Feuerwehrmann des Kantons Baselland. Als Projektleiter der kantonalen «Feuerwehrreform 2025+» plant der 56-jährige Zeglinger die Regionalisierung und Teilprofessionalisierung der Feuerwehr im Baselbiet. Stampfli ist Vater von vier Kindern.