Mit der Spritze zu den Leuten
02.07.2021 Baselbiet, Gesundheit, GesellschaftDavid Thommen
Mit dem starken Rückgang der Fallzahlen scheint die Angst in der Bevölkerung vor einer Ansteckung mit Covid-19 zu schwinden. Gerade noch vier neue Ansteckungen wurden beispielsweise am Mittwoch für das Baselbiet gemeldet, in Spitalpflege war wegen ...
David Thommen
Mit dem starken Rückgang der Fallzahlen scheint die Angst in der Bevölkerung vor einer Ansteckung mit Covid-19 zu schwinden. Gerade noch vier neue Ansteckungen wurden beispielsweise am Mittwoch für das Baselbiet gemeldet, in Spitalpflege war wegen Covid-19 nur eine Person. Zuvor waren die Spitäler während Tagen sogar frei von Corona-Patienten.
Dass die Pandemie die Schlagzeilen nicht mehr ganz so stark dominiert, spiegelt sich in der schwindenden Impfbereitschaft: Im April liessen sich täglich noch rund 1000 Personen für die Impfung registrieren, was die Computersysteme zuweilen an den Rand des Absturzes brachte. Im Mai waren es noch 600 bis 700 Impfwillige, die sich anmeldeten, im Juni hingegen weniger als 400 – wobei die Tendenz in den vergangenen Tagen eher Richtung 300 gegangen sei, wie Roman Häring, der Sprecher des Kantonalen Krisenstabs, auf Anfrage sagt. Einen starken Rückgang bei den Impfanmeldungen gibt es offensichtlich auch in anderen Regionen: Der Kanton Schwyz schlug gestern deswegen Alarm. Derzeit kommt im Baselbiet hinzu, dass vor den Sommerferien auffällig viele kurzfristig ihren Impftermin – auch den zweiten – verschieben und auf Covid-19-Tests setzen, um ins Ausland reisen zu können.
Immerhin rund 8000 Personen, die für die Erst- oder Zweitimpfung angemeldet sind, haben angegeben, dass sie während eines gewissen Zeitraums während der Ferienzeit nicht aufgeboten werden wollen.
Hochgerechnet komme man im Baselbiet derzeit auf nur noch rund 9000 Anmeldungen pro Monat, dabei würde Impfstoff für 20 000 Personen zur Verfügung stehen. Die Kapazität, um so viele Spritzen zu setzen, sei ohne Weiteres vorhanden. Am «Spitzen-Spritzentag» – am 20. Mai dieses Jahres – wurden im Kanton mehr als 5600 Dosen appliziert.
Grosse Differenzen
Ungeimpfte Personen gibt es aus der Sicht des Krisenstabs im Baselbiet noch mehr als genug: Vor allem die Impfquote bei den 17- bis 49-Jährigen lasse noch stark zu wünschen übrig: Erst magere 17 Prozent sind in dieser Alterskategorie vollständig geimpft. Ebenfalls zu den «Impfmuffeln» zählt der Krisenstab die Landbevölkerung: Je kleiner die Dörfer und je weiter weg von Basel, desto geringer die Durchimpfung. Krisenstab-Sprecher Häring belegt dies gegenüber der «Volksstimme» mit Zahlen, wobei in der Statistik nur Gemeindegrösse und Bezirkszugehörigkeit, nicht aber Ortsnamen ersichtlich sind, damit «auffällige» Gemeinden nicht an den Pranger gestellt werden. In zahlreichen Dörfern der Bezirke Laufen, Sissach und Waldenburg mit weniger als 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern sind gemäss dieser Statistik zur Monatsmitte weniger als ein Drittel bereits zwei Mal gepikst worden. Im Gegensatz dazu sind in grösseren Gemeinde des Bezirks Arlesheim schon knapp 50 Prozent vollständig geimpft. In den grösseren Gemeinden des Bezirks Sissach und Liestal sind es rund 40 Prozent.
Stark ausgeprägt scheint die Impfskepsis in einer einzigen Laufentaler Gemeinde mit einer Bevölkerungszahl zwischen 1000 und 2000 Personen zu sein: Dort waren Mitte Juni erst 11,5 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner erstmals geimpft: ein einmalig tiefer Wert. In der Gemeinde mit der zweitkleinsten Impfquote – ebenfalls im Laufental – waren es immerhin bereits 25,5 Prozent. Häring schliesst einen Statistik-Fehler bei der auffälligen 11,5-Prozent-Gemeinde aus, mag über mögliche Gründe für die offensichtliche Impfunlust aber nicht spekulieren: «Das wurde nicht genauer untersucht.»
«Wir müssen die Jungen und die Landbevölkerung besser erreichen», sagt Häring. Im Falle der Jungen starte der Kanton Baselland zusammen mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) in den Sozialen Medien eine Werbekampagne. Ziel ist es, dass man mit einem einzigen Klick direkt auf das Anmeldeformular kommt. Laut dem Krisenstab gilt es, während der Sommermonate möglichst viele vom Gang in die Impfzentren zu überzeugen: Im Herbst und Winter, so sind sich viele Fachleute einig, wird die Ansteckungskurve wieder nach oben zeigen, zumal die hoch ansteckende Delta-Mutation von Covid-19 auch in der Schweiz immer häufiger nachgewiesen wird. Da Kinder unter 12 Jahren noch nicht geimpft werden, besteht die Befürchtung, dass vor allem die Schulen zu «Hotspots» werden könnten. Impfungen für Jugendliche ab 12 Jahren sind im Baselbiet seit Ende Juni möglich.
Improvisierte Impfzentren
Während die Jungen auf elektronischem Weg angesprochen werden sollen, will der Kanton bei den Bewohnerinnen und Bewohnern kleiner Dörfer einen anderen Weg einschlagen: Dort sollen die mobilen Impfteams beispielsweise in Gemeindesälen die Impfung anbieten. Begonnen werden könne beispielsweise in denjenigen Dörfern, in denen die Impfquote besonders tief ist.
Einen weiteren Schub dürfte es laut Krisenstab geben, sobald in Arztpraxen und Apotheken zur Spritze gegriffen werden darf. Dies ist ab August der Fall. Eine Beschleunigung wäre ganz im Sinne von Gesundheitsminister Alain Berset: Die Impfkampagne schreite in der Schweiz zwar gut voran, sagte er am Mittwoch vor den Medien, jedoch bleibe Luft nach oben: «Wir müssen weiter vorwärtsmachen.»
Impfen in Zahlen
tho. Per Ende Monat haben im Baselbiet 53 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner zumindest eine Spritze erhalten, vollständig geimpft waren 38,5 Prozent der Bevölkerung. Bei den Über-75-Jährigen beträgt die Quote der vollständig Geimpften rund 83 Prozent, bei den 64- bis 70-Jährigen sind es 78,5, bei den 50- bis 64-Jährigen 60,5 und bei den 17- bis 49-Jährigen erst rund 17,3 Prozent.