«Es kam viel zusammen»
25.06.2021 Baselbiet, Porträt, PolitikDavid Thommen
Herr Weber, Sie sind ab dem 1. Juli Regierungspräsident. Sind Sie froh, dass ein neuer Abschnitt beginnt?
Thomas Weber: Ich übernehme das Präsidium zum zweiten Mal und schaue auf das erste Präsidialjahr mit sehr guten ...
David Thommen
Herr Weber, Sie sind ab dem 1. Juli Regierungspräsident. Sind Sie froh, dass ein neuer Abschnitt beginnt?
Thomas Weber: Ich übernehme das Präsidium zum zweiten Mal und schaue auf das erste Präsidialjahr mit sehr guten Gefühlen zurück. Ja, ich freue mich auf das Präsidium, insbesondere auch, weil wir nun hoffentlich den Schritt in die Nach-Corona-Ära machen können und alles wieder etwas leichter wird.
Das zurückliegende Jahr war für Sie als Gesundheitsdirektor zweifellos hart. Wie sehr hat Sie die ganze Corona-Bewältigung «geschlissen»?
Weniger, als anfangs zu befürchten war. Ich bin ja nicht nur Gesundheitsdirektor, sondern auch Volkswirtschaftsdirektor. In beiden Bereichen verursachte die Pandemie riesige Probleme. Ich hatte das Glück, dass mich Finanzdirektor Anton Lauber, mein Stellvertreter in der Regierung, beim Ressort Volkswirtschaft stark unterstützte und die grosse Aufgabe mit den Härtefallhilfen federführend übernommen hat. Somit konnte ich mich auf das Gesundheitswesen und den Kantonalen Krisenstab konzentrieren. Mir kam zugute, dass ich bereits über eine breite Führungserfahrung verfügte. In anderen Kantonen gab es Kolleginnen und Kollegen, die frisch in die Gesundheitsdirektion gekommen sind und sogleich auf Corona reagieren mussten. Das ist hart …
Was hat Ihnen während Corona am meisten zu schaffen gemacht?
Ich habe es früher schon einmal gesagt: Mir macht die Tendenz zum Totalitären Mühe. China hat damit begonnen, Lockdowns zu machen und ganze Regionen abzuschotten. Solche Rezepte haben sich in der internationalen Gemeinschaft danach ausgebreitet, ohne dass dies gross hinterfragt worden ist. Die Schweiz hat zumindest teilweise mitgezogen. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass auch in der Schweiz im März 2020 ernsthaft über Ausgangssperren nachgedacht wurde. Ich habe probiert, hier Gegensteuer zu geben. Natürlich wurden die Massnahmen in guter Absicht angeordnet, aber es war in meinen Augen schon besorgniserregend, wie rasch jahrhundertealte Freiheitsrechte plötzlich kippen können. Bemerkenswert fand ich auch, dass es in unserer Gesellschaft Menschen gibt, die fast danach schreien, in ihren Rechten eingeschränkt zu werden und noch viel härtere Massnahmen forderten. Ich hätte das nicht erwartet.
Es sieht danach aus, als hätten wir diese Krise langsam überstanden. Wenn man zurückschaut: Die Aufregung war riesengross. Haben aus heutiger Optik alle etwas übertrieben?
Es war ein Lehrstück für alle. Wenn man mitten in einer Krise führt, muss man auf der Basis von unvollständigen Informationen weitreichende Entscheide treffen. Das ist das Wesen einer Krise. Mit dem heutigen Wissen können wir sagen, dass wir bei der ersten Welle teilweise wohl zu weit gegangen sind. Schulschliessungen oder totale Ladenschliessungen im Non-Food-Bereich hätten wir vermeiden können. Masken wären das bessere Mittel gewesen, um viele Ansteckungen zu verhindern. Irgendwann wird es eine nächste Pandemie geben. Sie wird uns vor ganz andere Probleme stellen, doch wir haben auf allen Ebenen sehr viel gelernt.
Haben wir zu panisch reagiert?
Sagen wir es so: Alle haben probiert, auf der sicheren Seite zu sein. Ich erinnere mich gut an den denkwürdigen 15. März 2020: Damals haben wir beschlossen, dass ab dem nächsten Tag ein weitgehender Lockdown gelten wird. Wir haben als erster Deutschschweizer Kanton solch weitreichende Massnahmen verfügt. Mit den damals verfügbaren Informationen war der Entscheid richtig. Schaut man es mit dem heutigen Kenntnisstand an, haben wir damals eher über das Ziel hinausgeschossen.
Baselland hat die Lage mehrfach anders beurteilt als der Bund oder der Kanton Basel-Stadt. Zuweilen gab es heftige Kritik. Wie hält man das in einer solchen Situation aus?
1400 Diensttage in der Armee mit Verantwortung für ein Bataillon, berufliche Leitungsfunktionen und viele Jahre in der Politik geben schon eine gewisse Grundlage, um eine Krise meistern zu können. Wir hatten in der Regierung auch Diskussionen, alle brachten sich ein und wir waren immer als geschlossenes Team unterwegs, das hilft. Auch der Krisenstab hat bei uns gut funktioniert, ich konnte mich auf viele Fachleute verlassen. Und es mag altmodisch klingen, aber letztlich spielt bei mir auch ein gewisses Gottvertrauen mit. Das kann man durchaus spirituell sehen: Nichts ist Zufall. Ich bin in dieser Situation in die Verantwortung hineingestellt worden, also hatte ich die Verantwortung auch zu tragen.
Hängen Gottvertrauen und Optimismus zusammen? Sie jedenfalls sind uns als Optimist aufgefallen: Bei unserem letzten grossen Interview im November haben Sie gesagt, dass die Krise im Sommer 2021 weitgehend überstanden sein werde – und behalten nun recht. Andere hatten damals noch schwarzgemalt …
Grundsätzlich bin ich ein Optimist, aber natürlich auch ein nüchterner Realist. Es gibt gute Gründe, weiterhin vorsichtig zuversichtlich zu bleiben: Die Durchimpfungsrate ist bereits sehr hoch und die Wirkung des Impfstoffs hält vermutlich länger an, als dies zu Beginn erwartet worden war. Aber: Corona werden wir nicht so rasch wieder los. Im Herbst oder Winter dürfte es wieder höhere Fallzahlen geben. Die Gefahr allerdings, dass wir wieder in eine Überlastung des Gesundheitssystems hineinlaufen, halte ich für gering. Auch mit den neuen Virusvarianten.
Nicht nur Corona war belastend. Sie mussten wegen der sogenannten ZAK-Affäre auch noch vor Gericht. Was die Öffentlichkeit nicht wusste: Einen Tag, nachdem der Staatsanwalt mit einem aufsehenerregenden Plädoyer ein Jahr Gefängnis für Sie gefordert hatte, verstarb Ihre Mutter. Tags darauf mussten Sie zur Urteilseröffnung erscheinen. Wurde die Belastung nicht langsam zu gross?
Es war schon eine der grösseren Belastungssituationen, die ich in meinem Leben hatte. Es kamen ja noch weitere – relativ unwichtige – Details hinzu: Am zweiten Prozesstag erhielt ich die zweite Corona-Impfung mit entsprechenden Nebenwirkungen – und hatte dazu auch noch den Fuss im Gips …
Eine happige Zeit …
Es kam viel zusammen. Doch habe ich gespürt, dass ich von meinem Umfeld stark getragen werde. Alle, die mich gut kennen, waren wie ich fest davon überzeugt, dass mich das Gericht freisprechen wird, was dann auch geschehen ist. Und der Tod meiner Mutter kam nicht überraschend. Wir konnten – oder mussten – uns schon seit einiger Zeit darauf einstellen. Ich war an der Landratssitzung, als ich die Nachricht erhielt, dass es nun zu Ende gehe. Ich bin sofort ins Altersheim nach Liestal geeilt und konnte dort noch während längerer Zeit Abschied nehmen, obwohl sie nicht mehr ansprechbar war.
In der Öffentlichkeit hat man das Gefühl, dass an Politikern Ihres Ranges jederzeit alles abprallt – auch jegliche Kritik …
Diesen Eindruck gibt es offensichtlich. Gerade während Corona gab es zahlreiche, auch heftige negative Reaktionen und Zuschriften. Irgendwann merkt man jedoch, dass sich die Kritik nicht gegen die Person Thomas Weber richtet, sondern gegen das Amt. Einer meiner Vorgänger hat mich einmal gewarnt, dass das Fell mit den Amtsjahren nicht dicker, sondern im Gegenteil dünner und löchrig werde. Ich stelle diese Löcher bei mir nicht fest, doch es ist auch nicht gerade eine Teflonschicht, die mich umgibt. Die positiven Reaktionen überwiegen zum Glück.
Was kommt während Ihres Amtsjahrs auf das Baselbiet zu?
Ich sehe vor allem drei Dinge: Es gilt, den Weg in die Nach-Corona-Zeit zu finden. Wir haben die staatlichen Interventionen im vergangenen Jahr stark ausgeweitet – mit sehr vielen Vorschriften, aber auch mit sehr viel Geld. Hier muss die Rolle des Staats zurückgestuft werden. Werte wie Eigenverantwortung, Freiheits- und Grundrechte müssen wieder ihren hohen Stellenwert bekommen. Zum Zweiten fordert uns im Baselbiet die Anpassung an den Klimawandel. Ich sage bewusst «Anpassung an den Klimawandel», denn das Baselbiet wird ihn nicht aufhalten können. Wir könnten bei uns sofort alles abstellen, doch das hätte keinerlei Auswirkung auf die weltweite Entwicklung. Daher: Wir müssen beispielsweise den Wald so pflegen und entwickeln, dass er mit den geänderten Gegebenheiten zurechtkommt. Auch in der Landwirtschaft braucht es Anpassungen. Hier ist die Bewässerung während Trockenperioden ein Thema, aber auch der Wandel im Obstanbau. Wir müssen wegkommen von Sorten, die früh blühen und dann regelmässig bei Spätfrösten einen Totalschaden erleiden. Auch die Natur im Siedlungsraum hat Probleme, die es anzupacken gilt: Das Wohnen muss erträglich bleiben, auch wenn es immer längere Hitzephasen gibt. In solche Projekte wollen wir unsere beschränkten Ressourcen stecken. Das bringt mehr, als Unmengen von Geld auszugeben und vieles zu verbieten, nur um schneller ein paar Prozent CO2 einzusparen.
Lassen Sie uns beim dritten wichtigen Thema für das Baselbiet raten: das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest (Esaf) 2022 in Pratteln, wo Sie OK-Präsident sind …
Ja, natürlich! Wir sind seit 2016 an der Planung und das Fest kommt immer näher. Unser Motto ist «Gemeinsam mit Schwung und Herz». Die Vorbereitungen laufen sehr gut und die Vorfreude wächst.
Lange Zeit stand wegen Corona eine Verschiebung um ein Jahr im Raum. Wie sieht es heute aus?
Der Entscheid steht bis Anfang August an. Die verschiedenen Ressorts werden vorgängig ihre Beurteilung abgeben. Ich sage heute: Mit 90-prozentiger Sicherheit werden wir das Fest vom 26. bis 28. August 2022 wie geplant durchführen.
Sie sind Gesundheitsdirektor und Volkswirtschaftsdirektor während einer grossen Krise, Sie sind neu Regierungspräsident und zusätzlich auch noch OK-Präsident eines riesigen Anlasses. «Überlüpfen» Sie sich da nicht?
Nein, da bin ich sehr zuversichtlich. Gewaltige Vorlagen wie der Staatsvertrag über die Gesundheitsversorgung mit Basel-Stadt und Ähnliches sind vom Tisch, es stehen auch keine grossen kantonalen Volksabstimmungen oder Reorganisationen in meiner Direktion an. Für das Esaf habe ich daher den Rücken frei. Wir haben eine gute, professionelle Geschäftsführung und über 140 voll motivierte Leute im OK. Alles ist sehr gut strukturiert. Und es ist ja nicht so, dass ich mich um jedes operative Detail kümmern müsste …
Das Baselbiet bekommt mit dem Esaf die Möglichkeit zur Selbstdarstellung in der Schweiz. Welches Bild soll der Kanton abgeben?
Ein liebenswertes, und zwar in verschiedenster Hinsicht. Es soll nicht nur um den guten Wirtschaftsstandort oder die bevorzugte Verkehrslage gehen, sondern vor allem darum, dass wir eine Gegend sind, die man gernhaben kann, ja muss! Dass lebendige Traditionen und Moderne hier zusammenfinden, dass wir nachhaltig sind. Das Esaf Pratteln im Baselbiet soll ein Fest werden, an das man sich noch jahrzehntelang gerne erinnert – wie beispielsweise an die Expo.02.
Basel-Stadt und Baselland werden in der «Restschweiz» als Einheit wahrgenommen. Nutzen Sie die Gelegenheit, um die Eigenständigkeit des Baselbiets hervorzuheben?
Der Festort heisst ganz offiziell «Pratteln im Baselbiet». Die Besucherinnen und Besucher aus nah und fern wissen also, wo sie hingehen. Doch wir haben beim Signet ganz bewusst auf rote Stäbe und dergleichen verzichtet und haben uns für Eichenlaub entschieden. Das hat einen nahen Bezug zum Schwingsport und auch zum Baselbiet. Eine Abgrenzung gegenüber Basel ist nicht nötig – es ist ein Schwingfest der ganzen Region Basel für die ganze Schweiz.