Fredi Zwahlen übergibt an Hansruedi Müller
04.05.2021 Baselbiet, Finanzen, Bezirk Liestal, RegionOtto Graf
Herr Zwahlen, warum treten Sie als Verwaltungsratspräsident zurück?
Fredi Zwahlen: Einerseits aus Altersgründen und andererseits ist es nach zehn Jahren an der Zeit, wieder neue, jüngere Kräfte ans Ruder zu ...
Otto Graf
Herr Zwahlen, warum treten Sie als Verwaltungsratspräsident zurück?
Fredi Zwahlen: Einerseits aus Altersgründen und andererseits ist es nach zehn Jahren an der Zeit, wieder neue, jüngere Kräfte ans Ruder zu lassen.
Wie haben Sie den Skandal um den ehemaligen Chef von Raiffeisen Schweiz, Pierin Vincenz, erlebt? Haben die Kontrollorgane versagt?
Das Nichtfunktionieren der Aufsichtsorgane war der Grund, weshalb ich mich mit meinen Kollegen vom Raiffeisenverband Nordwestschweiz dermassen stark für eine Neuorganisation der Gruppe einsetzte. Daraus ist dann die grosse Reform 21 mit einer neuen Eignerstrategie (Eigner sind die heute 226 Raiffeisenbanken) und einer komplett neuen Governance-Struktur entstanden.
Wie hat sich die Vincenz-Affäre direkt auf die Raiffeisenbank Liestal-Oberbaselbiet ausgewirkt?
Sie hatte praktisch keine Auswirkungen auf unsere Bank. Unsere Kundinnen und Kunden konnten sehr gut unterscheiden zwischen den Vorkommnissen bei Raiffeisen Schweiz in St. Gallen und dem seriösen Wirken ihrer eigenen Raiffeisenbank im Oberbaselbiet nach genossenschaftlichen Idealen. Wir hatten keine ausserordentlichen Kundenabgänge zu verzeichnen. Die Leute hat das Thema jedoch sehr stark beschäftigt und wir konnten sowohl an unserer GV als auch in persönlichen Gesprächen immer wieder Fragen beantworten und auf unsere Autonomie als eigenständige, regionale Bank hinweisen.
Die von Guy Lachappelle, dem Präsidenten von Raiffeisen Schweiz, ins Leben gerufene «Impulsgruppe Reform 21» will die Position der kleinen Banken unter dem Dach von Raiffeisen Schweiz stärken. Inwiefern sind diese Genossenschaftsgrundsätze umgesetzt worden?
Die Genossenschaftsgrundsätze sind im Zuge der Reform überarbeitet und unserer Zeit angepasst worden. Dabei ist uns wichtig, dass die Kundennähe, die Bodenständigkeit und die Nachhaltigkeit vor reinem Gewinnstreben stehen. Die Position der kleineren Banken ist insofern gestärkt worden, als keine rein strukturbedingten Fusionen mehr angestrebt werden, sondern vielmehr die Vielfalt und Heterogenität der Banken innerhalb der Gruppe im Fokus steht.
Sie waren ja als Co-Projektleiter für die neue Raiffeisen-Gruppenstrategie 2025 verantwortlich. Was sind die wesentlichen Veränderungen, die dadurch in den nächsten Jahren auf die Raiffeisengruppe zukommen werden?
Die Gruppenstrategie wird einen riesigen Schub bei den Banken auslösen. Dieser ist auf der einen Seite gekennzeichnet durch neue Ertragsfelder im indifferenten Geschäft sowie andererseits durch Effizienz- und Kostengewinne über digitalisierte Prozesse. Das heisst wegkommen vom Produkteanbieter zum Lösungsanbieter, sei es im Ökosystem Wohnen eigene Leistungen mit qualitativ stimmigen Leistungen von Drittanbietern zu kombinieren, wie dies zum Beispiel die neue Kooperation Raiffeisen-Mobiliar mittels Plattformgeschäften anbietet, oder das Angebot auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtet zu erweitern.
Wie hat sich die Raiffeisenbank Liestal-Oberbaselbiet in Ihrer Ära wirtschaftlich entwickelt?
Unsere Bank hat sich in den vergangenen zehn Jahren auch im Vergleich zur gesamten Gruppe überdurchschnittlich gut entwickelt. Und dies in allen Belangen. Erwähnt sei an dieser Stelle die Verdoppelung der Mitgliederanzahl auf heute 13 000, fast die Verdreifachung der Bilanzsumme auf stattliche 1,5 Milliarden Franken, die Verdreifachung des Bruttogewinns auf stolze 7,2 Millionen Franken und, in der heutigen Zeit sehr wichtig, die im Vergleich zu damals dreimal höhere Eigenkapitalquote von heute 16,3 Prozent. Wir beschäftigen heute an unseren drei Standorten Liestal, Sissach und Gelterkinden insgesamt 55 Mitarbeitende, aufgeteilt auf 47 Vollzeitstellen.
Wie fällt die Bilanz Ihres Wirkens an der Spitze der Bank aus? Haben Sie die von Ihnen gesteckten Ziele erreicht?
Wir – ich spreche hier bewusst von wir, denn alleine können sie als Verwaltungsratspräsident gar nichts bewegen – haben mit einem starken Verwaltungsrat und einem operativ starken Führungsteam sehr viel bewegen können. Neben den oben erwähnten Kennzahlen ist dies vor allem die Positionierung als starke Bank für Privat- und Firmenkunden im Oberbaselbiet und unsere Marktstellung in den 55 Gemeinden rund um Liestal, Sissach und Gelterkinden. Die Kunden- und Mitgliederentwicklung zeigt es deutlich. Wir haben uns neben unserer Kernkompetenz im Zinsgeschäft auch als kompetitiven Anbieter von Anlage- und Vorsorgeberatungen positionieren können. Unsere neue Strategie wird uns nun auch in der ganzen digitalen Transformation einen grossen Schritt weiter bringen. Ohne unsere bestehenden Kunden zu vergraulen, werden wir unsere Leistungen den Kunden vermehrt über die digitalen Kanäle, Plattformen und neuen Medien anbieten. Wir werden zudem unsere Kunden vermehrt in die Angebots- und Produkteentwicklung mit einbeziehen.
Gab es Projekte, die Sie nicht realisieren konnten?
Nein, spontan kommt mir keines in den Sinn.
Welche Veränderungen stehen im Verwaltungsrat (VR) und in der Geschäftsleitung (GL) sonst noch an?
Für die nächsten vier Jahre ist in beiden Gremien Kontinuität angesagt. Wir sind ideal aufgestellt und decken sämtliche auch in Zukunft erforderlichen Anforderungen im VR und in der GL sehr gut ab.
Wenn überhaupt, was wird sich unter Ihrem Nachfolger Hansruedi Müller bei der Raiffeisenbank ändern?
Hansruedi Müller hat die Entwicklung der vergangenen Jahre sehr stark mitgeprägt und steht wie alle Verwaltungsräte ebenfalls für den nachhaltigen Erfolg der Bank. Er wird sicherlich die Geschicke der Bank im Sinne der Genossenschafterinnen und Genossenschafter erfolgreich weiterführen und dabei die sich rascher ändernden Bedürfnisse und Möglichkeiten adaptieren. Dazu zählt unter anderem die neu initiierte Vertriebsstrategie mit der auch baulich sichtbaren Modernisierung der Geschäftsstellen. Was wir bestimmt auch unter der neuen Führung sicherstellen werden, ist die gelebte Kundennähe durch unsere drei physischen Standorte mit Mitarbeitenden aus unserer Region.
Welche Bedeutung kommt der von Friedrich Wilhelm Heinrich Raiffeisen vertretenen genossenschaftlichen und sozialpolitisch geprägten Bewegung heutzutage zu?
Ich bin ein vehementer Verfechter der genossenschaftlichen Rechtsform. Ich bin überzeugt, dass wir mit den bereits laufenden und noch anstehenden Veränderungen die Genossenschaft zu einer modernen und attraktiven Rechtsform entwickeln werden. Mit unseren genossenschaftlichen Werten stellen wir im Übrigen die von Friedrich Wilhelm Heinrich Raiffeisen angedachten Ideale und Grundwerte nachhaltig sicher.
Was steht bei Ihnen nach der «Pensionierung» so alles an?
Ich bin immer noch als Verwaltungsrat und Präsident des Strategieausschusses im UKBB (Universitäts-Kinderspital beider Basel) tätig und bin noch Mitglied verschiedener Stiftungs- und Beiräte. Zudem unterstütze ich weiterhin gezielt Unternehmensführungen in strategischen Fragestellungen. Aber zweifellos wird es mit dem Wegfall der Raiffeisenmandate eine Art zeitliche Zäsur geben. Ich bin sicher, dass ich diese neue Freizeit zu nutzen weiss.
Wann gibt es wieder eine physische Generalversammlung der Raiffeisenbank Liestal-Oberbaselbiet?
Voraussichtlich am 6. Mai 2022. Das dachten wir vergangenes Jahr schon für 2021! Aber ich schätze, dass wir in der Schweiz mit den bisherigen Massnahmen und der Impfquote auf gutem Weg sind, schon diesen Herbst wieder Versammlungen und Veranstaltungen in dieser Grössenordnung physisch durchführen zu können und dass wir im Mai kommenden Jahres auf jeden Fall wieder eine physische Generalversammlung durchführen werden.
Zur Person og.
Der Banker Fredi Zwahlen (69) war bis 1989 als Sitzdirektor der BLKB in Gelterkinden tätig und wechselte dann als Mitglied der Geschäftsleitung zur Bank Heusser. Während 15 Jahren war er als geschäftsführender Partner bei der Gsponer Consulting Group International in Basel aktiv, gefolgt von zehn Jahren als Unternehmer für Unternehmensentwicklung und Strategieberatung sowie als Verwaltungsrat Raiffeisenbank Liestal-Oberbaselbiet, Präsident Raiffeisenverband Nordwestschweiz, Verwaltungsrat des Universitäts-Kinderspitals beider Basel und weiteren Beirats- und Stiftungsratsmandaten. Zwahlen ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Er wohnt seit Kurzem mit seiner Frau in Allschwil und war zuvor während 38 Jahren in Rickenbach sesshaft. Auf das Datum der virtuellen Generalversammlung vom 7. Mai 2021 legt er sein Mandat als VR-Präsident nieder.
Sein Nachfolger heisst Hansruedi Müller (56). Der diplomierte Bauingenieur ETH und Wirtschaftsingenieur Fachhochschule St. Gallen war zwischen 1991 und 2017 in mehreren Firmen in leitender Stellung tätig und ist seit 2017 in der von ihm gegründeten Baliox AG als selbstständiger Unternehmer in den Bereichen Energie, Infrastruktur, Immobilien, Verkehr und Gesundheitswesen tätig. Er ist mit Christina, geborene Maurer, verheiratet, hat zwei erwachsene Söhne und wohnt in Wintersingen, wo er im Gemeinderat das Amt des Vizepräsidenten bekleidet. Seit 2007 sitzt Müller im Verwaltungsrat der durch Fusion entstandenen Raiffeisenbank Liestal-Oberbaselbiet.